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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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weiß selbst nicht, wohin man mich schickt; auch habe ich keinen Platz für
Dich, lieber Freund!" war meine Antwort. "Wenn ich erst eingerichtet sein
werde, so nehme ich Dich gern auf, in Irkutsk kannst Du meinen Bestimmungs¬
ort erfahren." Damit trennten wir uns.

Wir fuhren längs des Ufers weiter, über Feld und Wiesen eilend
immer dem Boote nach. Nach einer halben Stunde gelangten wir in die
nächste Richtung zum schwimmenden Fahrzeuge; aus allen Kräften schrie ich
dem Steuermann zu: Halt! Nimm mich auf! -- Aber gibst du mir dafür
2S Rubel? -- Gern! -- Aber 30 Rubel? -- Gut. -- Aber 38 Rubel? --
Abgemacht! -- Aber 40 Rubel? -- Nur geschwind ein Boot!--Zwei Fischer
stiegen aus der Barke in ein kleines Boot und ruderten zum Ufer. Mit
meinen Begleitern stieg ich hinein, ich hatte nur einen Mantelsack, einen Korb
mit etwas Brot und eine Flasche Wein bei mir, die die Fürstin Trubetzkoy
mir zur Reise mitgegeben. Ich hatte keine Zeit gehabt, mich mit Lebens¬
mitteln weiter zu versehen; dabei war der Wind günstig und wir konnten
hoffen in fünf Stunden über den Baikal zu segeln. Auf der Selenga wurde
die Barke mit einem Taue von drei Mann gezogen, die längs des Ufers
langsam fortschritten ; der Steuermann hatte nur sechs Mann, die sein Fahr¬
zeug bedienten. Quer über der Barke stand ein Tarantaß, in demselben
saß ein Mann mit ergrautem Haupte, in einen Militärmantel eingehüllt. --
Unser kleines Boot glitt rasch auf dem klaren Wasser der Selenga hin;
bald hatten wir die Barke eingeholt, wir kletterten hinein, und nachdem ich
meinen unbekannten Reisegefährten begrüßt hatte, befahl ich dem Unterofficier,
daß er sogleich dem Steuermann das verlangte Geld für die Ueberfahrt aus¬
zahlen sollte, indem ich Letzteren bat, alle Mittel zur schleunigsten Fahrt an¬
zuwenden, und in solchem Falle seinen Leuten ein gutes Trinkgeld versprach.
Diese Seeleute, die ihr ganzes Leben auf dem Wasser mit den Fischen zu¬
bringen, waren zögernder und langsamer als Amphibien und schienen den
Begriff Eile nicht zu kennen. Es war drei Uhr Nachmittags; bis zur Mün¬
dung des Flusses zählten sie noch 16 Werst und waren im Begriff, das
Tau an einem Baume zu befestigen, um dann auf dem Fahrzeuge zu essen
und zu ruhen. -- Wir haben Zeit genug, sprachen sie; der Wind ist günstig,
morgen früh sind wir hinüber, wenn wir nur glücklich aus der Selenga
herauskommen, die in vielen Armen und Krümmungen sich in den Baikal
ergießt und in ihrem Delta viele Sandbänke und Klippen birgt. -- Die
Barke blieb am Ufer stehen; ich überredete meine Begleiter herauszuspringen,
um das Tau zu schleppen, bis die Fischer gegessen und geruht hätten. Die
unermüdlichen Soldaten folgten mir sogleich und wir schleppten die Barke
vorwärts. Aber beim Hinausspringen aus derselben hatte ich meinen Fuß
verstaucht, so daß es mir mit jedem Schritte schwerer wurde, aufzutreten.


weiß selbst nicht, wohin man mich schickt; auch habe ich keinen Platz für
Dich, lieber Freund!" war meine Antwort. „Wenn ich erst eingerichtet sein
werde, so nehme ich Dich gern auf, in Irkutsk kannst Du meinen Bestimmungs¬
ort erfahren." Damit trennten wir uns.

Wir fuhren längs des Ufers weiter, über Feld und Wiesen eilend
immer dem Boote nach. Nach einer halben Stunde gelangten wir in die
nächste Richtung zum schwimmenden Fahrzeuge; aus allen Kräften schrie ich
dem Steuermann zu: Halt! Nimm mich auf! — Aber gibst du mir dafür
2S Rubel? — Gern! — Aber 30 Rubel? — Gut. — Aber 38 Rubel? —
Abgemacht! — Aber 40 Rubel? — Nur geschwind ein Boot!—Zwei Fischer
stiegen aus der Barke in ein kleines Boot und ruderten zum Ufer. Mit
meinen Begleitern stieg ich hinein, ich hatte nur einen Mantelsack, einen Korb
mit etwas Brot und eine Flasche Wein bei mir, die die Fürstin Trubetzkoy
mir zur Reise mitgegeben. Ich hatte keine Zeit gehabt, mich mit Lebens¬
mitteln weiter zu versehen; dabei war der Wind günstig und wir konnten
hoffen in fünf Stunden über den Baikal zu segeln. Auf der Selenga wurde
die Barke mit einem Taue von drei Mann gezogen, die längs des Ufers
langsam fortschritten ; der Steuermann hatte nur sechs Mann, die sein Fahr¬
zeug bedienten. Quer über der Barke stand ein Tarantaß, in demselben
saß ein Mann mit ergrautem Haupte, in einen Militärmantel eingehüllt. —
Unser kleines Boot glitt rasch auf dem klaren Wasser der Selenga hin;
bald hatten wir die Barke eingeholt, wir kletterten hinein, und nachdem ich
meinen unbekannten Reisegefährten begrüßt hatte, befahl ich dem Unterofficier,
daß er sogleich dem Steuermann das verlangte Geld für die Ueberfahrt aus¬
zahlen sollte, indem ich Letzteren bat, alle Mittel zur schleunigsten Fahrt an¬
zuwenden, und in solchem Falle seinen Leuten ein gutes Trinkgeld versprach.
Diese Seeleute, die ihr ganzes Leben auf dem Wasser mit den Fischen zu¬
bringen, waren zögernder und langsamer als Amphibien und schienen den
Begriff Eile nicht zu kennen. Es war drei Uhr Nachmittags; bis zur Mün¬
dung des Flusses zählten sie noch 16 Werst und waren im Begriff, das
Tau an einem Baume zu befestigen, um dann auf dem Fahrzeuge zu essen
und zu ruhen. — Wir haben Zeit genug, sprachen sie; der Wind ist günstig,
morgen früh sind wir hinüber, wenn wir nur glücklich aus der Selenga
herauskommen, die in vielen Armen und Krümmungen sich in den Baikal
ergießt und in ihrem Delta viele Sandbänke und Klippen birgt. — Die
Barke blieb am Ufer stehen; ich überredete meine Begleiter herauszuspringen,
um das Tau zu schleppen, bis die Fischer gegessen und geruht hätten. Die
unermüdlichen Soldaten folgten mir sogleich und wir schleppten die Barke
vorwärts. Aber beim Hinausspringen aus derselben hatte ich meinen Fuß
verstaucht, so daß es mir mit jedem Schritte schwerer wurde, aufzutreten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/458>, abgerufen am 06.02.2025.