Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.ein brittischer Minister so unzweideutig eingestanden haben, daß es mit Das kühle Urtheil des leitenden englischen Staatsmanns über die in¬ Es gilt schon gegenwärtig für ausgemacht, daß, wenn die Opposition ein brittischer Minister so unzweideutig eingestanden haben, daß es mit Das kühle Urtheil des leitenden englischen Staatsmanns über die in¬ Es gilt schon gegenwärtig für ausgemacht, daß, wenn die Opposition <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287699"/> <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> ein brittischer Minister so unzweideutig eingestanden haben, daß es mit<lb/> dem „kranken Manne" zu Ende geht, ein Umstand der von der officiellen<lb/> russischen Presse wiederholt und nachdrücklich hervorgehoben und utiMer accep-<lb/> tirt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1069"> Das kühle Urtheil des leitenden englischen Staatsmanns über die in¬<lb/> nere Auflösung des türkischen Reichs steht mit dessen Sympathien für das<lb/> Nichtinterventionsprincip in engem Zusammenhange. Dieses Princip beginnt<lb/> mehr und mehr der Angelpunkt aller auswärtigen Politik Englands zu wer.<lb/> den und seine Anwendung auf das große orientalische Zukunftsproblem ist<lb/> vielleicht nur noch Frage >er ^eit. Schon vor Jahr und Tag behaupteten<lb/> die Münchner „historisch-politischen Blätter" mit der ihnen eigenthümlichen<lb/> Drastik, der Zeitpunkt sei nicht mehr fern, wo die brittischen Mammonsdiener<lb/> in der Hoffnung auf gesteigerten Absatz ihrer Baumwollwaaren die verarm¬<lb/> ten Türken fallen lassen wurden, um mit deren slavischen Feinden und Prä¬<lb/> sumption Rechtsnachfolgern Frieden und Freundschaft zu schließen. Wenn<lb/> es in der bisherigen Weise fortgeht, so ist nicht unmöglich, daß diese Pro¬<lb/> phezeiung sich verwirklicht. Eifrige Theilnahme an der continentalen Politik<lb/> galt in früherer Zeit für eines der Hauptmerkmale alt-englischer Torydoctrin;<lb/> heute fragt sich nur noch, ob Tories oder Whigs in ihrem Abscheu gegen<lb/> jede Betheiligung an europäischen Händeln weiter'gehen und auf welcher Seite<lb/> die Politik von 1853 am härtesten verurtheilt wird. — Stanley und Disraeli<lb/> haben mit den Reden, welche sie auf dem Bankett des Lord-Mayors hiel¬<lb/> ten, um ihren Glauben an Preußens deutsche Zukunft noch einmal zu be¬<lb/> kräftigen, wahrscheinlich ihr ministerielles Schwanenlied gesungen. Troiz aller An¬<lb/> strengungen der Tories und ihrer weitverbreiteten hochkirchlichen Bundesge¬<lb/> nossenschaft sind die nach dem Reformgesetz vorgenommenen Wahlen entschie¬<lb/> den whigistisch ausgefallen. Tories und Radicale sind aufs Haupt geschlagen<lb/> worden und trotz der Vermehrung der Wählerzahl um Hunderttausende von<lb/> Arbeitern gebieten die Gegner des Reformministers über eine Majorität von<lb/> Mindestens 110 Stimmen; John Stuart Mill, Milnar Gibson und Roebuck sind<lb/> der Concurrenz konservativer Gegner unterlegen — der traditionelle Charak¬<lb/> ter des englischen Unterhauses ist aus der Krisis des letzten Winters noch<lb/> siegreicher hervorgegangen, als aus dem großen Kampf von 1832.</p><lb/> <p xml:id="ID_1070" next="#ID_1071"> Es gilt schon gegenwärtig für ausgemacht, daß, wenn die Opposition<lb/> ans Ruder kommt, John Bright neben Gladstone auf der Ministerbank Platz<lb/> finden wird. Bon dieser bevorstehenden englischen Staatsveränderung haben<lb/> wir Deutsche mithin für den Fall eines kriegerischen Zusammenstoßes<lb/> Nichts zu erwarten; der bloße Name des bekannten Manchestermannes ist mit<lb/> entschiedener Abneigung gegen Alles, was nach Krieg oder leisester Schädi¬<lb/> gung der Interessen des englischen Handels klingt, identisch und wir müssen<lb/> uns darauf gefaßt machen, das Nichtinterventionsprincip bis auf die äußerste<lb/> spitze getrieben zu sehen. Einem Politiker, dem kein Ausdruck zu stark war.<lb/> wenn es sich um die Verurtheilung eines Krieges handelte, dessen Unterlas¬<lb/> sung einen vollständigen und principiellen Verzicht auf Englands orientalische<lb/> Stellung und die Auflösung der türkischen Monarchie bedeutet hätte, einem<lb/> -Politiker dieser Art kann zugetraut werden, daß er selbst einer unbeschränkten<lb/> iranzösischen Herrschaft über Mitteleuropa unerschütterlich zusehen würde, so<lb/> Ange dieselbe nicht etwa Protectionistische Grundsätze für ihr Handels- und<lb/> ^Mhschaftssystem adoptirte oder eine neue Continentalsperre ins Werk<lb/> letzte. Wenigstens für die nächste Zukunft zählt England in der großen eu¬<lb/> ropäischen Politik nicht mehr mit, mögen die Whigs oder die Tories die<lb/> Herrschaft behaupten. Diese Lücke in dem Concert unseres Welttheils wird</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
ein brittischer Minister so unzweideutig eingestanden haben, daß es mit
dem „kranken Manne" zu Ende geht, ein Umstand der von der officiellen
russischen Presse wiederholt und nachdrücklich hervorgehoben und utiMer accep-
tirt worden ist.
Das kühle Urtheil des leitenden englischen Staatsmanns über die in¬
nere Auflösung des türkischen Reichs steht mit dessen Sympathien für das
Nichtinterventionsprincip in engem Zusammenhange. Dieses Princip beginnt
mehr und mehr der Angelpunkt aller auswärtigen Politik Englands zu wer.
den und seine Anwendung auf das große orientalische Zukunftsproblem ist
vielleicht nur noch Frage >er ^eit. Schon vor Jahr und Tag behaupteten
die Münchner „historisch-politischen Blätter" mit der ihnen eigenthümlichen
Drastik, der Zeitpunkt sei nicht mehr fern, wo die brittischen Mammonsdiener
in der Hoffnung auf gesteigerten Absatz ihrer Baumwollwaaren die verarm¬
ten Türken fallen lassen wurden, um mit deren slavischen Feinden und Prä¬
sumption Rechtsnachfolgern Frieden und Freundschaft zu schließen. Wenn
es in der bisherigen Weise fortgeht, so ist nicht unmöglich, daß diese Pro¬
phezeiung sich verwirklicht. Eifrige Theilnahme an der continentalen Politik
galt in früherer Zeit für eines der Hauptmerkmale alt-englischer Torydoctrin;
heute fragt sich nur noch, ob Tories oder Whigs in ihrem Abscheu gegen
jede Betheiligung an europäischen Händeln weiter'gehen und auf welcher Seite
die Politik von 1853 am härtesten verurtheilt wird. — Stanley und Disraeli
haben mit den Reden, welche sie auf dem Bankett des Lord-Mayors hiel¬
ten, um ihren Glauben an Preußens deutsche Zukunft noch einmal zu be¬
kräftigen, wahrscheinlich ihr ministerielles Schwanenlied gesungen. Troiz aller An¬
strengungen der Tories und ihrer weitverbreiteten hochkirchlichen Bundesge¬
nossenschaft sind die nach dem Reformgesetz vorgenommenen Wahlen entschie¬
den whigistisch ausgefallen. Tories und Radicale sind aufs Haupt geschlagen
worden und trotz der Vermehrung der Wählerzahl um Hunderttausende von
Arbeitern gebieten die Gegner des Reformministers über eine Majorität von
Mindestens 110 Stimmen; John Stuart Mill, Milnar Gibson und Roebuck sind
der Concurrenz konservativer Gegner unterlegen — der traditionelle Charak¬
ter des englischen Unterhauses ist aus der Krisis des letzten Winters noch
siegreicher hervorgegangen, als aus dem großen Kampf von 1832.
Es gilt schon gegenwärtig für ausgemacht, daß, wenn die Opposition
ans Ruder kommt, John Bright neben Gladstone auf der Ministerbank Platz
finden wird. Bon dieser bevorstehenden englischen Staatsveränderung haben
wir Deutsche mithin für den Fall eines kriegerischen Zusammenstoßes
Nichts zu erwarten; der bloße Name des bekannten Manchestermannes ist mit
entschiedener Abneigung gegen Alles, was nach Krieg oder leisester Schädi¬
gung der Interessen des englischen Handels klingt, identisch und wir müssen
uns darauf gefaßt machen, das Nichtinterventionsprincip bis auf die äußerste
spitze getrieben zu sehen. Einem Politiker, dem kein Ausdruck zu stark war.
wenn es sich um die Verurtheilung eines Krieges handelte, dessen Unterlas¬
sung einen vollständigen und principiellen Verzicht auf Englands orientalische
Stellung und die Auflösung der türkischen Monarchie bedeutet hätte, einem
-Politiker dieser Art kann zugetraut werden, daß er selbst einer unbeschränkten
iranzösischen Herrschaft über Mitteleuropa unerschütterlich zusehen würde, so
Ange dieselbe nicht etwa Protectionistische Grundsätze für ihr Handels- und
^Mhschaftssystem adoptirte oder eine neue Continentalsperre ins Werk
letzte. Wenigstens für die nächste Zukunft zählt England in der großen eu¬
ropäischen Politik nicht mehr mit, mögen die Whigs oder die Tories die
Herrschaft behaupten. Diese Lücke in dem Concert unseres Welttheils wird
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |