Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

krieg führen und den Kreislauf der Revolution beschleunigen müssen. Schon
am.3. Oel. stellte Orense, Marquis von Albaida, ein republicanisches Programm
auf, das den Clericalen sehr viel besser gefiel, als alle übrigen Manifeste
in denen Moderados und Radicale sich versuchten; er forderte eine Föderativ¬
republik auf Grund der alten Provincialvrivilegien, jener Fueros, die den
liberalen Spaniern als Verneinung jedes wirklichen Staatslebens gelten,
deren Namen das Landvolk aber nicht vergessen hat und die in den alt¬
spanischen Priesterkreisen aus naheliegenden Gründen einen sehr viel besseren
Namen haben, als alle Verfassungsparagraphen, mit denen man es seit 1812
und 1820 versucht hat. Dem Clerus kann es nicht schwer fallen, unter Appel¬
lation an die Fueros die republikanischen Phrasen mitzumachen und da¬
durch die gegen die provisorische Regierung gerichtete Strömung zu verstärken.
Hat diese erst das Oberhaupt gewonnen und die monarchisch-constitutionelle
Partei zu Fall gebracht, so ist die allgemeine Verwirrung, in deren trüben
Wassern sich erfolgreich fischen läßt, bereits vorhanden. -- Das Verlangen
nach Truppensendungen, das Mitte dieses Monats von einer Anzahl wichtiger
Provineialstädte geäußert wurde, ist wiederum verstummt -- nachträglich
hat sich sogar herausgestellt, daß die durch die sevillaer Unruhen erweckten
Besorgnisse übertrieben waren -- aber das Vertrauen in die Autorität der
Regierung hat sich seitdem nicht wieder gehoben; daß Prim seine Truppen
w der Hauptstadt behalten wollte, konnte in der That nicht sür einen Be¬
weis von Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl gelten. Auch die Nachrichten
aus Cuba, wohin das erste Kriegsschiff endlich abgegangen ist, lauten nicht
wehr so zuversichtlich, wie in Lerfundi's früheren Berichten -- kurz man hat
das Gefühl am Vorabend neuer Ereignisse zu stehen und die Flitterwochen
der jungen spanischen Freiheit sind vorüber gegangen, ohne daß sie von den
augenblicklichen Machthabern irgend erfolgreich ausgebeutet worden wären.

Die Verwickelungen im südwestlichen Europa haben zunächst die Folge
gehabt, die ängstliche Aufmerksamkeit der deutschen Politiker von Paris ab¬
zuziehen und wieder nach Osten zu richten. Preußens auswärtigem Amt
steht eine nach Außen wie nach Innen schwierige und peinliche Aufgabe
bevor, bei der die Volksvertretung dieses Mal ein wichtiges Wort mitzu¬
reden haben wird. Die Entscheidung über die abgelaufene Cartellconvention mit
Rußland soll getroffen werden. Es gilt auf der einen Seite die Wünsche
einer befreundeten, zur Zeit unentbehrlichen und dabei höchst reizbaren Nach¬
barmacht zu berücksichtigen, auf der anderen Seite der Würde der eigenen
Nation Nichts zu vergeben und die kaum zweifelhaften Antipathien in Be¬
tracht zu ziehen, welche Rußland sich durch sein Zollsystem und seine innere
Politik in Deutschland zugezogen hat. Das schutzzöllnerische Absperrungs-
Wem, an dessen unseligen Einfluß auf Preußens östliche Provinzen die


Grenzboten IV. 1868. SO

krieg führen und den Kreislauf der Revolution beschleunigen müssen. Schon
am.3. Oel. stellte Orense, Marquis von Albaida, ein republicanisches Programm
auf, das den Clericalen sehr viel besser gefiel, als alle übrigen Manifeste
in denen Moderados und Radicale sich versuchten; er forderte eine Föderativ¬
republik auf Grund der alten Provincialvrivilegien, jener Fueros, die den
liberalen Spaniern als Verneinung jedes wirklichen Staatslebens gelten,
deren Namen das Landvolk aber nicht vergessen hat und die in den alt¬
spanischen Priesterkreisen aus naheliegenden Gründen einen sehr viel besseren
Namen haben, als alle Verfassungsparagraphen, mit denen man es seit 1812
und 1820 versucht hat. Dem Clerus kann es nicht schwer fallen, unter Appel¬
lation an die Fueros die republikanischen Phrasen mitzumachen und da¬
durch die gegen die provisorische Regierung gerichtete Strömung zu verstärken.
Hat diese erst das Oberhaupt gewonnen und die monarchisch-constitutionelle
Partei zu Fall gebracht, so ist die allgemeine Verwirrung, in deren trüben
Wassern sich erfolgreich fischen läßt, bereits vorhanden. — Das Verlangen
nach Truppensendungen, das Mitte dieses Monats von einer Anzahl wichtiger
Provineialstädte geäußert wurde, ist wiederum verstummt — nachträglich
hat sich sogar herausgestellt, daß die durch die sevillaer Unruhen erweckten
Besorgnisse übertrieben waren — aber das Vertrauen in die Autorität der
Regierung hat sich seitdem nicht wieder gehoben; daß Prim seine Truppen
w der Hauptstadt behalten wollte, konnte in der That nicht sür einen Be¬
weis von Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl gelten. Auch die Nachrichten
aus Cuba, wohin das erste Kriegsschiff endlich abgegangen ist, lauten nicht
wehr so zuversichtlich, wie in Lerfundi's früheren Berichten — kurz man hat
das Gefühl am Vorabend neuer Ereignisse zu stehen und die Flitterwochen
der jungen spanischen Freiheit sind vorüber gegangen, ohne daß sie von den
augenblicklichen Machthabern irgend erfolgreich ausgebeutet worden wären.

Die Verwickelungen im südwestlichen Europa haben zunächst die Folge
gehabt, die ängstliche Aufmerksamkeit der deutschen Politiker von Paris ab¬
zuziehen und wieder nach Osten zu richten. Preußens auswärtigem Amt
steht eine nach Außen wie nach Innen schwierige und peinliche Aufgabe
bevor, bei der die Volksvertretung dieses Mal ein wichtiges Wort mitzu¬
reden haben wird. Die Entscheidung über die abgelaufene Cartellconvention mit
Rußland soll getroffen werden. Es gilt auf der einen Seite die Wünsche
einer befreundeten, zur Zeit unentbehrlichen und dabei höchst reizbaren Nach¬
barmacht zu berücksichtigen, auf der anderen Seite der Würde der eigenen
Nation Nichts zu vergeben und die kaum zweifelhaften Antipathien in Be¬
tracht zu ziehen, welche Rußland sich durch sein Zollsystem und seine innere
Politik in Deutschland zugezogen hat. Das schutzzöllnerische Absperrungs-
Wem, an dessen unseligen Einfluß auf Preußens östliche Provinzen die


Grenzboten IV. 1868. SO
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287693"/>
          <p xml:id="ID_1057" prev="#ID_1056"> krieg führen und den Kreislauf der Revolution beschleunigen müssen. Schon<lb/>
am.3. Oel. stellte Orense, Marquis von Albaida, ein republicanisches Programm<lb/>
auf, das den Clericalen sehr viel besser gefiel, als alle übrigen Manifeste<lb/>
in denen Moderados und Radicale sich versuchten; er forderte eine Föderativ¬<lb/>
republik auf Grund der alten Provincialvrivilegien, jener Fueros, die den<lb/>
liberalen Spaniern als Verneinung jedes wirklichen Staatslebens gelten,<lb/>
deren Namen das Landvolk aber nicht vergessen hat und die in den alt¬<lb/>
spanischen Priesterkreisen aus naheliegenden Gründen einen sehr viel besseren<lb/>
Namen haben, als alle Verfassungsparagraphen, mit denen man es seit 1812<lb/>
und 1820 versucht hat. Dem Clerus kann es nicht schwer fallen, unter Appel¬<lb/>
lation an die Fueros die republikanischen Phrasen mitzumachen und da¬<lb/>
durch die gegen die provisorische Regierung gerichtete Strömung zu verstärken.<lb/>
Hat diese erst das Oberhaupt gewonnen und die monarchisch-constitutionelle<lb/>
Partei zu Fall gebracht, so ist die allgemeine Verwirrung, in deren trüben<lb/>
Wassern sich erfolgreich fischen läßt, bereits vorhanden. &#x2014; Das Verlangen<lb/>
nach Truppensendungen, das Mitte dieses Monats von einer Anzahl wichtiger<lb/>
Provineialstädte geäußert wurde, ist wiederum verstummt &#x2014; nachträglich<lb/>
hat sich sogar herausgestellt, daß die durch die sevillaer Unruhen erweckten<lb/>
Besorgnisse übertrieben waren &#x2014; aber das Vertrauen in die Autorität der<lb/>
Regierung hat sich seitdem nicht wieder gehoben; daß Prim seine Truppen<lb/>
w der Hauptstadt behalten wollte, konnte in der That nicht sür einen Be¬<lb/>
weis von Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl gelten. Auch die Nachrichten<lb/>
aus Cuba, wohin das erste Kriegsschiff endlich abgegangen ist, lauten nicht<lb/>
wehr so zuversichtlich, wie in Lerfundi's früheren Berichten &#x2014; kurz man hat<lb/>
das Gefühl am Vorabend neuer Ereignisse zu stehen und die Flitterwochen<lb/>
der jungen spanischen Freiheit sind vorüber gegangen, ohne daß sie von den<lb/>
augenblicklichen Machthabern irgend erfolgreich ausgebeutet worden wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> Die Verwickelungen im südwestlichen Europa haben zunächst die Folge<lb/>
gehabt, die ängstliche Aufmerksamkeit der deutschen Politiker von Paris ab¬<lb/>
zuziehen und wieder nach Osten zu richten. Preußens auswärtigem Amt<lb/>
steht eine nach Außen wie nach Innen schwierige und peinliche Aufgabe<lb/>
bevor, bei der die Volksvertretung dieses Mal ein wichtiges Wort mitzu¬<lb/>
reden haben wird. Die Entscheidung über die abgelaufene Cartellconvention mit<lb/>
Rußland soll getroffen werden. Es gilt auf der einen Seite die Wünsche<lb/>
einer befreundeten, zur Zeit unentbehrlichen und dabei höchst reizbaren Nach¬<lb/>
barmacht zu berücksichtigen, auf der anderen Seite der Würde der eigenen<lb/>
Nation Nichts zu vergeben und die kaum zweifelhaften Antipathien in Be¬<lb/>
tracht zu ziehen, welche Rußland sich durch sein Zollsystem und seine innere<lb/>
Politik in Deutschland zugezogen hat. Das schutzzöllnerische Absperrungs-<lb/>
Wem, an dessen unseligen Einfluß auf Preußens östliche Provinzen die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1868. SO</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] krieg führen und den Kreislauf der Revolution beschleunigen müssen. Schon am.3. Oel. stellte Orense, Marquis von Albaida, ein republicanisches Programm auf, das den Clericalen sehr viel besser gefiel, als alle übrigen Manifeste in denen Moderados und Radicale sich versuchten; er forderte eine Föderativ¬ republik auf Grund der alten Provincialvrivilegien, jener Fueros, die den liberalen Spaniern als Verneinung jedes wirklichen Staatslebens gelten, deren Namen das Landvolk aber nicht vergessen hat und die in den alt¬ spanischen Priesterkreisen aus naheliegenden Gründen einen sehr viel besseren Namen haben, als alle Verfassungsparagraphen, mit denen man es seit 1812 und 1820 versucht hat. Dem Clerus kann es nicht schwer fallen, unter Appel¬ lation an die Fueros die republikanischen Phrasen mitzumachen und da¬ durch die gegen die provisorische Regierung gerichtete Strömung zu verstärken. Hat diese erst das Oberhaupt gewonnen und die monarchisch-constitutionelle Partei zu Fall gebracht, so ist die allgemeine Verwirrung, in deren trüben Wassern sich erfolgreich fischen läßt, bereits vorhanden. — Das Verlangen nach Truppensendungen, das Mitte dieses Monats von einer Anzahl wichtiger Provineialstädte geäußert wurde, ist wiederum verstummt — nachträglich hat sich sogar herausgestellt, daß die durch die sevillaer Unruhen erweckten Besorgnisse übertrieben waren — aber das Vertrauen in die Autorität der Regierung hat sich seitdem nicht wieder gehoben; daß Prim seine Truppen w der Hauptstadt behalten wollte, konnte in der That nicht sür einen Be¬ weis von Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl gelten. Auch die Nachrichten aus Cuba, wohin das erste Kriegsschiff endlich abgegangen ist, lauten nicht wehr so zuversichtlich, wie in Lerfundi's früheren Berichten — kurz man hat das Gefühl am Vorabend neuer Ereignisse zu stehen und die Flitterwochen der jungen spanischen Freiheit sind vorüber gegangen, ohne daß sie von den augenblicklichen Machthabern irgend erfolgreich ausgebeutet worden wären. Die Verwickelungen im südwestlichen Europa haben zunächst die Folge gehabt, die ängstliche Aufmerksamkeit der deutschen Politiker von Paris ab¬ zuziehen und wieder nach Osten zu richten. Preußens auswärtigem Amt steht eine nach Außen wie nach Innen schwierige und peinliche Aufgabe bevor, bei der die Volksvertretung dieses Mal ein wichtiges Wort mitzu¬ reden haben wird. Die Entscheidung über die abgelaufene Cartellconvention mit Rußland soll getroffen werden. Es gilt auf der einen Seite die Wünsche einer befreundeten, zur Zeit unentbehrlichen und dabei höchst reizbaren Nach¬ barmacht zu berücksichtigen, auf der anderen Seite der Würde der eigenen Nation Nichts zu vergeben und die kaum zweifelhaften Antipathien in Be¬ tracht zu ziehen, welche Rußland sich durch sein Zollsystem und seine innere Politik in Deutschland zugezogen hat. Das schutzzöllnerische Absperrungs- Wem, an dessen unseligen Einfluß auf Preußens östliche Provinzen die Grenzboten IV. 1868. SO

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/421>, abgerufen am 06.02.2025.