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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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selbst als einen wackeren Freund des Geschiedenen und vertrauenerweckenden
Führer des Lesers.

Es war ein glänzendes und glückliches Künstlerleben, von dem in dem Buche
erzählt wird: kluge und tüchtige Eltern, reiche Bildungsmittel, sehr feingebildete
Empfindung im elterlichen Hause, in der ganzen Jugend Nichts von den harten
Kämpfen, welche sonst dem Talent nicht erspart werden, bevor es sich durch¬
setzt. Und wir verstehen aus dem Buche vollständig, wie diese Verhältnisse
neben großer Sauberkeit der Empfindung und der zarten, geistvollen Liebens¬
würdigkeit einer vornehmen Künstlernatur auch eine fast weibliche Weichheit
des Gefühls großzogen, zu große Reizbarkeit und Ungeduld, und eine Neigung,
sich unbequeme Arbeit, die Mühe der vorbereitenden Organisationen, Alles
was Kampf mit dem Leben heißt, fern zu halten. Sehr gewissenhaft und
fleißig war Felix Mendelsohn in seiner schöpferischen Arbeit, er vermochte
sich selten genug zu thun und hatte großen Respect vor der Oeffentlichkeit;
aber jedes abfällige Urtheil, selbst der schonendste Tadel des Freundes konnte
ihn tief und lange verstimmen, und wo es galt, einen guten Willen gegen
äußere Hindernisse durchzusetzen, da wurde er leicht müde und verdrossen.
Wie seine Anlage war, formte sich auch sein äußeres Leben. Im Ganzen ein
horniges Dasein, reiches Talent, warme Freunde und Bewunderer, erfolg-
reiche Thätigkeit, eine glückliche Häuslichkeit, kaum andere Mühen, als die
beglückenden des künstlerischen Schaffens -- aber es war ein Leben von zarter
Schönheit, nicht auf lange Erdendauer angelegt. Schon in früher Jugend
war der Enkel von Moses Mendelssohn bei widerwärtiger Aufregung und
plötzlichen Störungen seiner Laune krankhaften Affectionen ausgesetzt gewesen:
er sprach dann in seiner Aufregung wohl gar irre und wurde nur durch einen
todtenähnlichen Schlaf von solchem Zustand geheilt. Schon mehrere Jahre
vor seinem Hinscheiden lag zuweilen eine Mattigkeit auf ihm, welche die
nächsten Freunde beunruhigte, und sie sahen ängstlich auch in dem, was er
als Künstler schuf, die frische Schöpferkraft nicht gesteigert. So war sein
früher Tod, der überall mit tiefer Trauer vernommen wurde und nirgend
mehr, als hierin Leipzig, keine Erscheinung, bei welcher plötzlich eindringende
Gewalt ein vollkräftiges Leben zerstörte. --

Devrient war es, welcher den Freund unablässig auf die Oper hinwies;
er spricht wiederholt seine Ueberzeugung von der hohen dramatischen Be¬
gabung Mendelssohn's aus und berichtet, daß der Freund nur zu wählerisch
in Textbüchern gewesen sei und vielleicht allzu sehr die Mühe gescheut habe,
sich in Gemeinschaft mit einem Dichter das Textbuch dramatisch zurecht zu
machen. War es wirklich nur das, was den Componisten der Lieder ohne
Worte von erfolgreicher Operncomposition fernhielt?

Felix Mendelssohn starb ein Jahr vor den Ereignissen von 1848. welche


selbst als einen wackeren Freund des Geschiedenen und vertrauenerweckenden
Führer des Lesers.

Es war ein glänzendes und glückliches Künstlerleben, von dem in dem Buche
erzählt wird: kluge und tüchtige Eltern, reiche Bildungsmittel, sehr feingebildete
Empfindung im elterlichen Hause, in der ganzen Jugend Nichts von den harten
Kämpfen, welche sonst dem Talent nicht erspart werden, bevor es sich durch¬
setzt. Und wir verstehen aus dem Buche vollständig, wie diese Verhältnisse
neben großer Sauberkeit der Empfindung und der zarten, geistvollen Liebens¬
würdigkeit einer vornehmen Künstlernatur auch eine fast weibliche Weichheit
des Gefühls großzogen, zu große Reizbarkeit und Ungeduld, und eine Neigung,
sich unbequeme Arbeit, die Mühe der vorbereitenden Organisationen, Alles
was Kampf mit dem Leben heißt, fern zu halten. Sehr gewissenhaft und
fleißig war Felix Mendelsohn in seiner schöpferischen Arbeit, er vermochte
sich selten genug zu thun und hatte großen Respect vor der Oeffentlichkeit;
aber jedes abfällige Urtheil, selbst der schonendste Tadel des Freundes konnte
ihn tief und lange verstimmen, und wo es galt, einen guten Willen gegen
äußere Hindernisse durchzusetzen, da wurde er leicht müde und verdrossen.
Wie seine Anlage war, formte sich auch sein äußeres Leben. Im Ganzen ein
horniges Dasein, reiches Talent, warme Freunde und Bewunderer, erfolg-
reiche Thätigkeit, eine glückliche Häuslichkeit, kaum andere Mühen, als die
beglückenden des künstlerischen Schaffens — aber es war ein Leben von zarter
Schönheit, nicht auf lange Erdendauer angelegt. Schon in früher Jugend
war der Enkel von Moses Mendelssohn bei widerwärtiger Aufregung und
plötzlichen Störungen seiner Laune krankhaften Affectionen ausgesetzt gewesen:
er sprach dann in seiner Aufregung wohl gar irre und wurde nur durch einen
todtenähnlichen Schlaf von solchem Zustand geheilt. Schon mehrere Jahre
vor seinem Hinscheiden lag zuweilen eine Mattigkeit auf ihm, welche die
nächsten Freunde beunruhigte, und sie sahen ängstlich auch in dem, was er
als Künstler schuf, die frische Schöpferkraft nicht gesteigert. So war sein
früher Tod, der überall mit tiefer Trauer vernommen wurde und nirgend
mehr, als hierin Leipzig, keine Erscheinung, bei welcher plötzlich eindringende
Gewalt ein vollkräftiges Leben zerstörte. —

Devrient war es, welcher den Freund unablässig auf die Oper hinwies;
er spricht wiederholt seine Ueberzeugung von der hohen dramatischen Be¬
gabung Mendelssohn's aus und berichtet, daß der Freund nur zu wählerisch
in Textbüchern gewesen sei und vielleicht allzu sehr die Mühe gescheut habe,
sich in Gemeinschaft mit einem Dichter das Textbuch dramatisch zurecht zu
machen. War es wirklich nur das, was den Componisten der Lieder ohne
Worte von erfolgreicher Operncomposition fernhielt?

Felix Mendelssohn starb ein Jahr vor den Ereignissen von 1848. welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/412>, abgerufen am 05.02.2025.