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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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dem gesammten Leben der Deutschen neuen Inhalt und veränderte Richtung
geben sollten; er starb in dem blühenden Alter von 38 Jahren und er würde
jetzt, wenn ein günstiges Schicksal ihn uns erhalten hätte, noch im kräftigen
Mannesalter sein, gleichalterig Vielen von Denen, welche seitdem als treue
Werkmeister und Führer für die Ideale der deutschen Neuzeit gearbeitet haben.
Und doch erscheint er uns in seinem ganzen Wesen nur als eine Blüthe der
Merkwürdigen Periode zwischen 1816--1848 , einer Periode von sehr eigenthüm¬
lichem Charakter, welche fast allen Talenten, die in ihr heraufwuchsen, ein
Gepräge aufgedrückt hat, das diese Deutschen scharf von den Charakteren
der Gegenwart unterscheidet. Sein Leben vollendete sich in den letzten Jahr¬
zehnten jenes langen Zeitraums deutscher Bildung, welcher nach dem dreißig¬
jährigen Kriege mit den frommen Frauen Spener's begann, darauf die Auf¬
klärung, die schönen Seelen und das hohe Aufblühen deutscher Wissenschaft,
Poesie und Musik umfaßte. Es war eine lange Zeit deutscher Privatmenschen,
in welcher Feinheit, Grazie und Adel der Empfindung, eine reiche, häusig
encyklopädische Bildung, weiche Innigkeit des Gefühls, ein hoher Flug der
Gedanken sehr häusig mit einem leicht erregbaren und beweglichen, in Ge¬
schäften unsicheren, gegen starke Prüfungen nicht gestählten Willen verbunden
waren. Die stille Gemeinde der Gleichgesinnten galt zu viel, das Volk und
der Staat zu wenig. An Stelle der schwachen öffentlichen Meinung leiteten
die Freunde, die Coterie und die fast zufälligen Einwirkungen, welche dem
Einzelnen in dem vielgetheilten Deutschland aus seinem Kreise kamen. Der
Gebildete lebte meist im Widerspruch, oder nicht selten allzu willfährig gegen
das geistlose Regiment der Regierungen, und der Mangel an Gewöhnung, das
eigene Wesen einem starken und unablässigen Zuge großer Interessen be¬
scheiden einzuordnen, gab Willkür in der Beurtheilung von Personen und
Zuständen; den Schwachen wurde Unrecht zu Recht, jede fremde pathetische
Lebensäußerung verwirrte das haltlose Urtheil; auch den Besseren fehlte in
fleißiger Arbeit zu oft der Sinn für Form, die Methode, die sichere Regultrung
ihrer Gedanken und Thaten durch den gemeinen gesunden Menschenverstand.
Es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß fast alle Führer des geistigen
und politischen Lebens in dieser Zeit, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler,
eine auffallende Familienähnlichkeit zeigen. Friedrich Wilhelm IV., Hum¬
boldt, Bunsen, Varnhagen, Hegel und Schelling, sehr weit auseinander gehend
in Neigungen und Beruf, tragen in einer für uns sehr kenntlichen Weise die¬
selbe Signatur dieser Periode, in welcher sich eine reiche und hochgesinnte,
aber nicht energische Bildung auflebte. Auch an großen Fachgelehrten
mit ungewöhnlicher Schöpferkraft, ja an den Eroberern neuer umfangreicher
Gebiete der Wissenschaft sind einige derselben Züge den jüngeren Zeitge-


Grcnzboten IV. 1668. 49

dem gesammten Leben der Deutschen neuen Inhalt und veränderte Richtung
geben sollten; er starb in dem blühenden Alter von 38 Jahren und er würde
jetzt, wenn ein günstiges Schicksal ihn uns erhalten hätte, noch im kräftigen
Mannesalter sein, gleichalterig Vielen von Denen, welche seitdem als treue
Werkmeister und Führer für die Ideale der deutschen Neuzeit gearbeitet haben.
Und doch erscheint er uns in seinem ganzen Wesen nur als eine Blüthe der
Merkwürdigen Periode zwischen 1816—1848 , einer Periode von sehr eigenthüm¬
lichem Charakter, welche fast allen Talenten, die in ihr heraufwuchsen, ein
Gepräge aufgedrückt hat, das diese Deutschen scharf von den Charakteren
der Gegenwart unterscheidet. Sein Leben vollendete sich in den letzten Jahr¬
zehnten jenes langen Zeitraums deutscher Bildung, welcher nach dem dreißig¬
jährigen Kriege mit den frommen Frauen Spener's begann, darauf die Auf¬
klärung, die schönen Seelen und das hohe Aufblühen deutscher Wissenschaft,
Poesie und Musik umfaßte. Es war eine lange Zeit deutscher Privatmenschen,
in welcher Feinheit, Grazie und Adel der Empfindung, eine reiche, häusig
encyklopädische Bildung, weiche Innigkeit des Gefühls, ein hoher Flug der
Gedanken sehr häusig mit einem leicht erregbaren und beweglichen, in Ge¬
schäften unsicheren, gegen starke Prüfungen nicht gestählten Willen verbunden
waren. Die stille Gemeinde der Gleichgesinnten galt zu viel, das Volk und
der Staat zu wenig. An Stelle der schwachen öffentlichen Meinung leiteten
die Freunde, die Coterie und die fast zufälligen Einwirkungen, welche dem
Einzelnen in dem vielgetheilten Deutschland aus seinem Kreise kamen. Der
Gebildete lebte meist im Widerspruch, oder nicht selten allzu willfährig gegen
das geistlose Regiment der Regierungen, und der Mangel an Gewöhnung, das
eigene Wesen einem starken und unablässigen Zuge großer Interessen be¬
scheiden einzuordnen, gab Willkür in der Beurtheilung von Personen und
Zuständen; den Schwachen wurde Unrecht zu Recht, jede fremde pathetische
Lebensäußerung verwirrte das haltlose Urtheil; auch den Besseren fehlte in
fleißiger Arbeit zu oft der Sinn für Form, die Methode, die sichere Regultrung
ihrer Gedanken und Thaten durch den gemeinen gesunden Menschenverstand.
Es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß fast alle Führer des geistigen
und politischen Lebens in dieser Zeit, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler,
eine auffallende Familienähnlichkeit zeigen. Friedrich Wilhelm IV., Hum¬
boldt, Bunsen, Varnhagen, Hegel und Schelling, sehr weit auseinander gehend
in Neigungen und Beruf, tragen in einer für uns sehr kenntlichen Weise die¬
selbe Signatur dieser Periode, in welcher sich eine reiche und hochgesinnte,
aber nicht energische Bildung auflebte. Auch an großen Fachgelehrten
mit ungewöhnlicher Schöpferkraft, ja an den Eroberern neuer umfangreicher
Gebiete der Wissenschaft sind einige derselben Züge den jüngeren Zeitge-


Grcnzboten IV. 1668. 49
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[0413] dem gesammten Leben der Deutschen neuen Inhalt und veränderte Richtung geben sollten; er starb in dem blühenden Alter von 38 Jahren und er würde jetzt, wenn ein günstiges Schicksal ihn uns erhalten hätte, noch im kräftigen Mannesalter sein, gleichalterig Vielen von Denen, welche seitdem als treue Werkmeister und Führer für die Ideale der deutschen Neuzeit gearbeitet haben. Und doch erscheint er uns in seinem ganzen Wesen nur als eine Blüthe der Merkwürdigen Periode zwischen 1816—1848 , einer Periode von sehr eigenthüm¬ lichem Charakter, welche fast allen Talenten, die in ihr heraufwuchsen, ein Gepräge aufgedrückt hat, das diese Deutschen scharf von den Charakteren der Gegenwart unterscheidet. Sein Leben vollendete sich in den letzten Jahr¬ zehnten jenes langen Zeitraums deutscher Bildung, welcher nach dem dreißig¬ jährigen Kriege mit den frommen Frauen Spener's begann, darauf die Auf¬ klärung, die schönen Seelen und das hohe Aufblühen deutscher Wissenschaft, Poesie und Musik umfaßte. Es war eine lange Zeit deutscher Privatmenschen, in welcher Feinheit, Grazie und Adel der Empfindung, eine reiche, häusig encyklopädische Bildung, weiche Innigkeit des Gefühls, ein hoher Flug der Gedanken sehr häusig mit einem leicht erregbaren und beweglichen, in Ge¬ schäften unsicheren, gegen starke Prüfungen nicht gestählten Willen verbunden waren. Die stille Gemeinde der Gleichgesinnten galt zu viel, das Volk und der Staat zu wenig. An Stelle der schwachen öffentlichen Meinung leiteten die Freunde, die Coterie und die fast zufälligen Einwirkungen, welche dem Einzelnen in dem vielgetheilten Deutschland aus seinem Kreise kamen. Der Gebildete lebte meist im Widerspruch, oder nicht selten allzu willfährig gegen das geistlose Regiment der Regierungen, und der Mangel an Gewöhnung, das eigene Wesen einem starken und unablässigen Zuge großer Interessen be¬ scheiden einzuordnen, gab Willkür in der Beurtheilung von Personen und Zuständen; den Schwachen wurde Unrecht zu Recht, jede fremde pathetische Lebensäußerung verwirrte das haltlose Urtheil; auch den Besseren fehlte in fleißiger Arbeit zu oft der Sinn für Form, die Methode, die sichere Regultrung ihrer Gedanken und Thaten durch den gemeinen gesunden Menschenverstand. Es wird einst für sehr merkwürdig gelten, daß fast alle Führer des geistigen und politischen Lebens in dieser Zeit, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler, eine auffallende Familienähnlichkeit zeigen. Friedrich Wilhelm IV., Hum¬ boldt, Bunsen, Varnhagen, Hegel und Schelling, sehr weit auseinander gehend in Neigungen und Beruf, tragen in einer für uns sehr kenntlichen Weise die¬ selbe Signatur dieser Periode, in welcher sich eine reiche und hochgesinnte, aber nicht energische Bildung auflebte. Auch an großen Fachgelehrten mit ungewöhnlicher Schöpferkraft, ja an den Eroberern neuer umfangreicher Gebiete der Wissenschaft sind einige derselben Züge den jüngeren Zeitge- Grcnzboten IV. 1668. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/413>, abgerufen am 05.02.2025.