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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Verständniß des Lesers, der sich gern und vertrauend das achtungsvolle Urtheil
des erzählenden Freundes über den Umfang, ja auch über die Grenzen, in
denen sich die geschilderte Persönlichkeit bewegte, aneignet. Wohl war Eduard
Devrient für diese Arbeit berufen wie Wenige; er kannte schon den Knaben
Felix, war dem Jüngling und Mann in enger Freundschaft verbunden,
dazu ein langjähriger Bekannter des Mendelssohn'schen Hauses in Berlin.
So hat er das glänzende und glückliche Künstlerleben, das sich so früh voll¬
endete, in seinen Fortschritten, in Störungen und Erfolgen oft als vertrauter
Rathgeber beobachtet mit der ganz einzigen Mischung von Bewunderung
und Kritik, welche die Seelenbündnisse idealistischer Naturen aus unse¬
rer nächsten Vergangenheit charakterisirt. Persönlichkeiten und Verhältnisse des
Mendelssohn'schen Hauses, die sonnige Jugend des Künstlers, seine Vorbil¬
dung, die Concerte im Vaterhause, die kleinen Züge, in denen sich die An¬
muth, die Zartheit und zuweilen die Reizbarkeit seines Wesens ausdrückten,
sind geschildert. Anmuthig ist erzählt, wie Felix und Devrient zusammen die
erste Aufführung der Matthäus'Passion von Bach in Berlin zu Stande
brachten gegen der" Tyrannen Zelter, die mangelhafte Organisation der musi¬
kalischen Kräfte und den herrschenden Geschmack. Eine Anzahl Briefe von
Felix Mendelssohn sind in die Erzählung hineingewebt, darunter mehrere
Prachtstücke, die das feine, vornehme Wesen und die ehrliche Tüchtigkeit des
Geschiedenen in so Helles Licht setzen, daß sie uns zu dem Besten gehören, was
von seiner Correspondenz herausgegeben wurde. Auch der Bericht über
Mißerfolge ist lehrreich, z.B. wie die Versuche des Componisten, in der Oper
heimisch zu werden, immer wieder scheiterten und wie die Sehnsucht darnach
ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgte; und nicht weniger befriedigt das
tactvolle Urtheil des Erzählers an solchen Stellen, wo er dem Freunde nicht
Recht geben kann: in dem Verhalten Mendelssohns gegen Immermann beim
Beginn der düsseldorfer Theaterzeit, und wo sonst eine Besonderheit des
Wesens fühlbar wurde, z. B. bei den unklaren Verhältnissen, welche König
Friedrich Wilhelm IV, dem Künstler durch eine Ernennung zum Musikdirec-
tor ohne Kapelle bereitete. Das Buch ist aus der Erinnerung geschrieben,
und es ist wohl möglich, daß in Einzelheiten den Erzähler sein Gedächtniß
im Stich gelassen hat"); auch ist nach dem Titel des Buches selbstverständlich,
daß Devrient mit am ausführlichsten sein Verhältniß zu Mendelssohn darstellt.
Aber er hat im Ganzen betrachtet durch seine biographische Mittheilung das
beste Lob erreicht, was einer Biographie werden kann: er macht den Helden
seiner Darstellung lieb und verständlich und er beweist in seinem Urtheil sich



So ist S, 1S2 die Angabe, wie Felix Mendelssohn seine spätere Gattin, ein Fräulein
Jeanrmaud. in Frankfurt kennen lernte, nach Annahme der leipziger Freunde irrthümlich,

Verständniß des Lesers, der sich gern und vertrauend das achtungsvolle Urtheil
des erzählenden Freundes über den Umfang, ja auch über die Grenzen, in
denen sich die geschilderte Persönlichkeit bewegte, aneignet. Wohl war Eduard
Devrient für diese Arbeit berufen wie Wenige; er kannte schon den Knaben
Felix, war dem Jüngling und Mann in enger Freundschaft verbunden,
dazu ein langjähriger Bekannter des Mendelssohn'schen Hauses in Berlin.
So hat er das glänzende und glückliche Künstlerleben, das sich so früh voll¬
endete, in seinen Fortschritten, in Störungen und Erfolgen oft als vertrauter
Rathgeber beobachtet mit der ganz einzigen Mischung von Bewunderung
und Kritik, welche die Seelenbündnisse idealistischer Naturen aus unse¬
rer nächsten Vergangenheit charakterisirt. Persönlichkeiten und Verhältnisse des
Mendelssohn'schen Hauses, die sonnige Jugend des Künstlers, seine Vorbil¬
dung, die Concerte im Vaterhause, die kleinen Züge, in denen sich die An¬
muth, die Zartheit und zuweilen die Reizbarkeit seines Wesens ausdrückten,
sind geschildert. Anmuthig ist erzählt, wie Felix und Devrient zusammen die
erste Aufführung der Matthäus'Passion von Bach in Berlin zu Stande
brachten gegen der» Tyrannen Zelter, die mangelhafte Organisation der musi¬
kalischen Kräfte und den herrschenden Geschmack. Eine Anzahl Briefe von
Felix Mendelssohn sind in die Erzählung hineingewebt, darunter mehrere
Prachtstücke, die das feine, vornehme Wesen und die ehrliche Tüchtigkeit des
Geschiedenen in so Helles Licht setzen, daß sie uns zu dem Besten gehören, was
von seiner Correspondenz herausgegeben wurde. Auch der Bericht über
Mißerfolge ist lehrreich, z.B. wie die Versuche des Componisten, in der Oper
heimisch zu werden, immer wieder scheiterten und wie die Sehnsucht darnach
ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgte; und nicht weniger befriedigt das
tactvolle Urtheil des Erzählers an solchen Stellen, wo er dem Freunde nicht
Recht geben kann: in dem Verhalten Mendelssohns gegen Immermann beim
Beginn der düsseldorfer Theaterzeit, und wo sonst eine Besonderheit des
Wesens fühlbar wurde, z. B. bei den unklaren Verhältnissen, welche König
Friedrich Wilhelm IV, dem Künstler durch eine Ernennung zum Musikdirec-
tor ohne Kapelle bereitete. Das Buch ist aus der Erinnerung geschrieben,
und es ist wohl möglich, daß in Einzelheiten den Erzähler sein Gedächtniß
im Stich gelassen hat"); auch ist nach dem Titel des Buches selbstverständlich,
daß Devrient mit am ausführlichsten sein Verhältniß zu Mendelssohn darstellt.
Aber er hat im Ganzen betrachtet durch seine biographische Mittheilung das
beste Lob erreicht, was einer Biographie werden kann: er macht den Helden
seiner Darstellung lieb und verständlich und er beweist in seinem Urtheil sich



So ist S, 1S2 die Angabe, wie Felix Mendelssohn seine spätere Gattin, ein Fräulein
Jeanrmaud. in Frankfurt kennen lernte, nach Annahme der leipziger Freunde irrthümlich,
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[0411] Verständniß des Lesers, der sich gern und vertrauend das achtungsvolle Urtheil des erzählenden Freundes über den Umfang, ja auch über die Grenzen, in denen sich die geschilderte Persönlichkeit bewegte, aneignet. Wohl war Eduard Devrient für diese Arbeit berufen wie Wenige; er kannte schon den Knaben Felix, war dem Jüngling und Mann in enger Freundschaft verbunden, dazu ein langjähriger Bekannter des Mendelssohn'schen Hauses in Berlin. So hat er das glänzende und glückliche Künstlerleben, das sich so früh voll¬ endete, in seinen Fortschritten, in Störungen und Erfolgen oft als vertrauter Rathgeber beobachtet mit der ganz einzigen Mischung von Bewunderung und Kritik, welche die Seelenbündnisse idealistischer Naturen aus unse¬ rer nächsten Vergangenheit charakterisirt. Persönlichkeiten und Verhältnisse des Mendelssohn'schen Hauses, die sonnige Jugend des Künstlers, seine Vorbil¬ dung, die Concerte im Vaterhause, die kleinen Züge, in denen sich die An¬ muth, die Zartheit und zuweilen die Reizbarkeit seines Wesens ausdrückten, sind geschildert. Anmuthig ist erzählt, wie Felix und Devrient zusammen die erste Aufführung der Matthäus'Passion von Bach in Berlin zu Stande brachten gegen der» Tyrannen Zelter, die mangelhafte Organisation der musi¬ kalischen Kräfte und den herrschenden Geschmack. Eine Anzahl Briefe von Felix Mendelssohn sind in die Erzählung hineingewebt, darunter mehrere Prachtstücke, die das feine, vornehme Wesen und die ehrliche Tüchtigkeit des Geschiedenen in so Helles Licht setzen, daß sie uns zu dem Besten gehören, was von seiner Correspondenz herausgegeben wurde. Auch der Bericht über Mißerfolge ist lehrreich, z.B. wie die Versuche des Componisten, in der Oper heimisch zu werden, immer wieder scheiterten und wie die Sehnsucht darnach ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgte; und nicht weniger befriedigt das tactvolle Urtheil des Erzählers an solchen Stellen, wo er dem Freunde nicht Recht geben kann: in dem Verhalten Mendelssohns gegen Immermann beim Beginn der düsseldorfer Theaterzeit, und wo sonst eine Besonderheit des Wesens fühlbar wurde, z. B. bei den unklaren Verhältnissen, welche König Friedrich Wilhelm IV, dem Künstler durch eine Ernennung zum Musikdirec- tor ohne Kapelle bereitete. Das Buch ist aus der Erinnerung geschrieben, und es ist wohl möglich, daß in Einzelheiten den Erzähler sein Gedächtniß im Stich gelassen hat"); auch ist nach dem Titel des Buches selbstverständlich, daß Devrient mit am ausführlichsten sein Verhältniß zu Mendelssohn darstellt. Aber er hat im Ganzen betrachtet durch seine biographische Mittheilung das beste Lob erreicht, was einer Biographie werden kann: er macht den Helden seiner Darstellung lieb und verständlich und er beweist in seinem Urtheil sich So ist S, 1S2 die Angabe, wie Felix Mendelssohn seine spätere Gattin, ein Fräulein Jeanrmaud. in Frankfurt kennen lernte, nach Annahme der leipziger Freunde irrthümlich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/411>, abgerufen am 05.02.2025.