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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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spondirende Abschnitte, in denen das Verhältniß der Minister zur Krone
zur Volksvertretung und die juristische Natur der Ministerverantwortlichkeit,
die eigentliche Substanz des Begriffs, beleuchtet und begründet werden. Ein
letzter Abschnitt enthält die Ausführung der gewonnenen Resultate bezüglich
des Gerichtshofs, des Verfahrens, des Urtheils, der Begnadigung. Die
Kritik ist zwar in den sehr kategorischen Abstufungen des Lobs und Tadels,
die sehr ehwürdigen Meistern der Wissenschaft und Gesetzgebung zu Theil
werden, nicht immer von dem Respect getragen, den auch der begabteste
junge Gelehrte unter allen Umständen solchen Männern und solchen Insti¬
tutionen schuldig ist; doch zeigt sie durchgehends gründliche und eindringende
Forschung. Die dogmatischen Erörterungen enthalten ohne Zweifel eine
Bereicherung der Wissenschaft um neue und wichtige Gesichtspunkte, einige
meist verkannte Wahrheiten. Die politische Gesinnung des Verfassers ist
freisinnig und doch auch conservativ, der historischen Monarchie ebenso zu¬
gethan, wie den Rechten des Volks, fürstlicher Willkür ebenso abgeneigt, wie
Parlamentarischer Souveränetät. Die Schreibweise endlich ist schmucklos,
einfach, durchsichtig, von ernster Solidität, wie sie dem Stoff entspricht.

Zu einer kurzen Analyse des Inhalts selbst übergehend, würde ich das
Wesentliche der Erörterungen dahin Präcisiren. Der Verfasser erklärt sich
mit Lebhaftigkeit gegen die Tendenz einiger französischer Publicisten (B.
Constant's), ein selbständiges pouvoir iniinstüriel, als eigentlichen verantwort¬
lichen Träger der Regierungsgewalt, zu statuiren, die königliche Gewalt aber als
pouvoir ueutrs et abstrait jeder möglichen Action entkleidet zu einem aller¬
dings unschädlichen, aber auch ohnmächtigen Scheindasein hinabzudrücken. Er
verwirft ebenso entschieden als der constitutionellen Idee widersprechend
die Auffassung L. Stein's, welcher in den Ministern nur "befehlende und ver¬
ordnende" Behörden sieht, wie die abweichende von Buddeus und Bischof,
denen die Idee der Ministerverantwortlichkeit mit der Fiction eines noth¬
wendig vorhandenen Sündenbocks für das vom Fürsten begangene Unrecht
zusammenschmilzt. Der kritische Abschnitt wendet sich sodann von dem Rechts¬
grunde, der Verantwortlichkeitspflicht, zu dem Titel des parlamentarischen
Verantwortungsrechts. Dem Montesquieu'schen Princip, daß die gesetzgebende
Gewalt die Art, wie die Gesetze durch die königliche Executive ausgeführt
würden, überwachen müsse, wird die zu enge Begrenzung des Ministeramts
durch den Begriff der Gesetzesausführung entgegengehalten. Derselbe Vor¬
wurf trifft den Grundgedanken Mohl's und seiner Nachfolger, die Verant¬
wortlichkeit der Minister lediglich auf die Garantie des Verfassungs-Grundge-
setzes zurückzuführen, zu beschränken und nur für Verfassungsverletzungen le¬
bendig zu machen. Zutreffend wird darauf hingewiesen, wie unendlich wei¬
ter die Befugnisse, Gerechtsame, Obliegenheiten der Minister, die positiv


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spondirende Abschnitte, in denen das Verhältniß der Minister zur Krone
zur Volksvertretung und die juristische Natur der Ministerverantwortlichkeit,
die eigentliche Substanz des Begriffs, beleuchtet und begründet werden. Ein
letzter Abschnitt enthält die Ausführung der gewonnenen Resultate bezüglich
des Gerichtshofs, des Verfahrens, des Urtheils, der Begnadigung. Die
Kritik ist zwar in den sehr kategorischen Abstufungen des Lobs und Tadels,
die sehr ehwürdigen Meistern der Wissenschaft und Gesetzgebung zu Theil
werden, nicht immer von dem Respect getragen, den auch der begabteste
junge Gelehrte unter allen Umständen solchen Männern und solchen Insti¬
tutionen schuldig ist; doch zeigt sie durchgehends gründliche und eindringende
Forschung. Die dogmatischen Erörterungen enthalten ohne Zweifel eine
Bereicherung der Wissenschaft um neue und wichtige Gesichtspunkte, einige
meist verkannte Wahrheiten. Die politische Gesinnung des Verfassers ist
freisinnig und doch auch conservativ, der historischen Monarchie ebenso zu¬
gethan, wie den Rechten des Volks, fürstlicher Willkür ebenso abgeneigt, wie
Parlamentarischer Souveränetät. Die Schreibweise endlich ist schmucklos,
einfach, durchsichtig, von ernster Solidität, wie sie dem Stoff entspricht.

Zu einer kurzen Analyse des Inhalts selbst übergehend, würde ich das
Wesentliche der Erörterungen dahin Präcisiren. Der Verfasser erklärt sich
mit Lebhaftigkeit gegen die Tendenz einiger französischer Publicisten (B.
Constant's), ein selbständiges pouvoir iniinstüriel, als eigentlichen verantwort¬
lichen Träger der Regierungsgewalt, zu statuiren, die königliche Gewalt aber als
pouvoir ueutrs et abstrait jeder möglichen Action entkleidet zu einem aller¬
dings unschädlichen, aber auch ohnmächtigen Scheindasein hinabzudrücken. Er
verwirft ebenso entschieden als der constitutionellen Idee widersprechend
die Auffassung L. Stein's, welcher in den Ministern nur „befehlende und ver¬
ordnende" Behörden sieht, wie die abweichende von Buddeus und Bischof,
denen die Idee der Ministerverantwortlichkeit mit der Fiction eines noth¬
wendig vorhandenen Sündenbocks für das vom Fürsten begangene Unrecht
zusammenschmilzt. Der kritische Abschnitt wendet sich sodann von dem Rechts¬
grunde, der Verantwortlichkeitspflicht, zu dem Titel des parlamentarischen
Verantwortungsrechts. Dem Montesquieu'schen Princip, daß die gesetzgebende
Gewalt die Art, wie die Gesetze durch die königliche Executive ausgeführt
würden, überwachen müsse, wird die zu enge Begrenzung des Ministeramts
durch den Begriff der Gesetzesausführung entgegengehalten. Derselbe Vor¬
wurf trifft den Grundgedanken Mohl's und seiner Nachfolger, die Verant¬
wortlichkeit der Minister lediglich auf die Garantie des Verfassungs-Grundge-
setzes zurückzuführen, zu beschränken und nur für Verfassungsverletzungen le¬
bendig zu machen. Zutreffend wird darauf hingewiesen, wie unendlich wei¬
ter die Befugnisse, Gerechtsame, Obliegenheiten der Minister, die positiv


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/391>, abgerufen am 05.02.2025.