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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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jenen vordem in den stillen Werkstätten tüchtiger Meister sorgsam ausge¬
münzten Schulbegriffen den gangbaren Cours auf dem Markte des politischen
Tageslebens zu erhalten.

Die constitutionelle Monarchie war, wie männiglich bekannt, das Lieb¬
lingskind dieser Doctrinen. Ja vielleicht ließe sich durch Zurückgehen aus
Montesquieu, Necker und die französische Constitution vom Jahre 1791 er¬
weisen, daß sie das Geschöpf der Doctrin ist. Und obwohl der historische
Ausgangspunkt der constitutionellen Ideen, die Gewaltentheilung und das
Balancement der Kräfte, heute als abgethan und überwunden gilt, so reizt
dennoch das gedanklich und thatsächlich in dieser Staatsform verkleidete
Compromiß zwischen Fürstengewalt und Volksgewalt, Monarchie und Demo¬
kratie fortgesetzt alle speculirenden Köpfe, alle scholastischen Geister zu
immer neuen Betrachtungen, Prüfungen, Berichtigungen des Ausgleichs.
Mit unendlicher Umsicht, Vorsicht, Genauigkeit werden immer und immer
wieder beide Seiten gegen einander erwogen und abgeschätzt, hier oder dort
zu viel Belastung, zu viel Uebergewicht entdeckt und theoretisch corrigirt, die
principielle Richtigkeit der Wagschale revidirt -- das Zünglein schwankt so
ununterbrochen hin und her, daß der Fehler schlechterdings gefunden wer¬
den muß. Es wäre ja schier zum Verzweifeln an deutscher Gelehrsam¬
keit, wenn der Radikalismus derer Recht behielte, die in dem ruhelosen
Pendelschlag dieser Staatsform überhaupt nur ein Moment geschichtlichen
Uebergangs von der Monarchie zur demokratischen Volkssouveränetät sehen
wollen.

Musterhaft für diese Gattung ist die staatsrechtliche Abhandlung, deren
Titel und Verfasser oben genannt sind. Wäre die Annahme erlaubt, der Ver¬
fasser bewerbe sich um einen Lehrstuhl für öffentliches Recht an einer unserer
Universitäten, es handele sich um eine Habilitationsschrift und es wäre mir
auferlegt, einer hochgelahrten Facultät oder auch nur einem Professor Mdli-
ous in-äiMrms über die Dissertation zu referiren, es sollte mir nicht schwer
werden, dem Verfasser ein vorzügliches Prädicat zu erwirken. Ich würde
zunächst im Allgemeinen Folgendes rühmend hervorheben. Der Verfasser hat
mit bemerkenswerthen wissenschaftlichen Muth einen Stoff für seine publi-
cistische Abhandlung erwählt, der zu den dunkelsten, schwierigsten und be-
strittensten Gebieten des constitutionellen Staatsrechts gehört. Er hat mit
nicht hoch genug anzuerkennenden Fleiße Alles gelesen und gesammelt, was
über diese wichtige Materie in der Literatur und Gesetzgebung der civili-
sirten Staaten, insbesondere Deutschlands, Frankreichs, Englands. Amerikas,
Skandinaviens zu Tage gefördert worden ist. In klarer Anordnung, metho¬
discher Sichtung, musterhafter Uebersichtlichkeit zerfällt die Schrift in einen
kritischen und einen dogmatischen Theil, jeder Theil in drei mit einander eorre-


jenen vordem in den stillen Werkstätten tüchtiger Meister sorgsam ausge¬
münzten Schulbegriffen den gangbaren Cours auf dem Markte des politischen
Tageslebens zu erhalten.

Die constitutionelle Monarchie war, wie männiglich bekannt, das Lieb¬
lingskind dieser Doctrinen. Ja vielleicht ließe sich durch Zurückgehen aus
Montesquieu, Necker und die französische Constitution vom Jahre 1791 er¬
weisen, daß sie das Geschöpf der Doctrin ist. Und obwohl der historische
Ausgangspunkt der constitutionellen Ideen, die Gewaltentheilung und das
Balancement der Kräfte, heute als abgethan und überwunden gilt, so reizt
dennoch das gedanklich und thatsächlich in dieser Staatsform verkleidete
Compromiß zwischen Fürstengewalt und Volksgewalt, Monarchie und Demo¬
kratie fortgesetzt alle speculirenden Köpfe, alle scholastischen Geister zu
immer neuen Betrachtungen, Prüfungen, Berichtigungen des Ausgleichs.
Mit unendlicher Umsicht, Vorsicht, Genauigkeit werden immer und immer
wieder beide Seiten gegen einander erwogen und abgeschätzt, hier oder dort
zu viel Belastung, zu viel Uebergewicht entdeckt und theoretisch corrigirt, die
principielle Richtigkeit der Wagschale revidirt — das Zünglein schwankt so
ununterbrochen hin und her, daß der Fehler schlechterdings gefunden wer¬
den muß. Es wäre ja schier zum Verzweifeln an deutscher Gelehrsam¬
keit, wenn der Radikalismus derer Recht behielte, die in dem ruhelosen
Pendelschlag dieser Staatsform überhaupt nur ein Moment geschichtlichen
Uebergangs von der Monarchie zur demokratischen Volkssouveränetät sehen
wollen.

Musterhaft für diese Gattung ist die staatsrechtliche Abhandlung, deren
Titel und Verfasser oben genannt sind. Wäre die Annahme erlaubt, der Ver¬
fasser bewerbe sich um einen Lehrstuhl für öffentliches Recht an einer unserer
Universitäten, es handele sich um eine Habilitationsschrift und es wäre mir
auferlegt, einer hochgelahrten Facultät oder auch nur einem Professor Mdli-
ous in-äiMrms über die Dissertation zu referiren, es sollte mir nicht schwer
werden, dem Verfasser ein vorzügliches Prädicat zu erwirken. Ich würde
zunächst im Allgemeinen Folgendes rühmend hervorheben. Der Verfasser hat
mit bemerkenswerthen wissenschaftlichen Muth einen Stoff für seine publi-
cistische Abhandlung erwählt, der zu den dunkelsten, schwierigsten und be-
strittensten Gebieten des constitutionellen Staatsrechts gehört. Er hat mit
nicht hoch genug anzuerkennenden Fleiße Alles gelesen und gesammelt, was
über diese wichtige Materie in der Literatur und Gesetzgebung der civili-
sirten Staaten, insbesondere Deutschlands, Frankreichs, Englands. Amerikas,
Skandinaviens zu Tage gefördert worden ist. In klarer Anordnung, metho¬
discher Sichtung, musterhafter Uebersichtlichkeit zerfällt die Schrift in einen
kritischen und einen dogmatischen Theil, jeder Theil in drei mit einander eorre-


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[0390] jenen vordem in den stillen Werkstätten tüchtiger Meister sorgsam ausge¬ münzten Schulbegriffen den gangbaren Cours auf dem Markte des politischen Tageslebens zu erhalten. Die constitutionelle Monarchie war, wie männiglich bekannt, das Lieb¬ lingskind dieser Doctrinen. Ja vielleicht ließe sich durch Zurückgehen aus Montesquieu, Necker und die französische Constitution vom Jahre 1791 er¬ weisen, daß sie das Geschöpf der Doctrin ist. Und obwohl der historische Ausgangspunkt der constitutionellen Ideen, die Gewaltentheilung und das Balancement der Kräfte, heute als abgethan und überwunden gilt, so reizt dennoch das gedanklich und thatsächlich in dieser Staatsform verkleidete Compromiß zwischen Fürstengewalt und Volksgewalt, Monarchie und Demo¬ kratie fortgesetzt alle speculirenden Köpfe, alle scholastischen Geister zu immer neuen Betrachtungen, Prüfungen, Berichtigungen des Ausgleichs. Mit unendlicher Umsicht, Vorsicht, Genauigkeit werden immer und immer wieder beide Seiten gegen einander erwogen und abgeschätzt, hier oder dort zu viel Belastung, zu viel Uebergewicht entdeckt und theoretisch corrigirt, die principielle Richtigkeit der Wagschale revidirt — das Zünglein schwankt so ununterbrochen hin und her, daß der Fehler schlechterdings gefunden wer¬ den muß. Es wäre ja schier zum Verzweifeln an deutscher Gelehrsam¬ keit, wenn der Radikalismus derer Recht behielte, die in dem ruhelosen Pendelschlag dieser Staatsform überhaupt nur ein Moment geschichtlichen Uebergangs von der Monarchie zur demokratischen Volkssouveränetät sehen wollen. Musterhaft für diese Gattung ist die staatsrechtliche Abhandlung, deren Titel und Verfasser oben genannt sind. Wäre die Annahme erlaubt, der Ver¬ fasser bewerbe sich um einen Lehrstuhl für öffentliches Recht an einer unserer Universitäten, es handele sich um eine Habilitationsschrift und es wäre mir auferlegt, einer hochgelahrten Facultät oder auch nur einem Professor Mdli- ous in-äiMrms über die Dissertation zu referiren, es sollte mir nicht schwer werden, dem Verfasser ein vorzügliches Prädicat zu erwirken. Ich würde zunächst im Allgemeinen Folgendes rühmend hervorheben. Der Verfasser hat mit bemerkenswerthen wissenschaftlichen Muth einen Stoff für seine publi- cistische Abhandlung erwählt, der zu den dunkelsten, schwierigsten und be- strittensten Gebieten des constitutionellen Staatsrechts gehört. Er hat mit nicht hoch genug anzuerkennenden Fleiße Alles gelesen und gesammelt, was über diese wichtige Materie in der Literatur und Gesetzgebung der civili- sirten Staaten, insbesondere Deutschlands, Frankreichs, Englands. Amerikas, Skandinaviens zu Tage gefördert worden ist. In klarer Anordnung, metho¬ discher Sichtung, musterhafter Uebersichtlichkeit zerfällt die Schrift in einen kritischen und einen dogmatischen Theil, jeder Theil in drei mit einander eorre-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/390>, abgerufen am 05.02.2025.