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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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schaffenden Aufgaben der Regierungsgewalt gehen, als die bestehenden Ge¬
setze auszuführen und die Verfassung aufrecht zu erhalten. Daran knüpfen
sich ungezwungen die ebenso scharfsinnigen wie überzeugenden Ausführungen
des Verfassers, daß der Thatbestand der "Verfassurigsverletzung " als das eigent¬
lich von den Ministern zu vertretende Delict vom strafrechtlichen Standpunkte
nach jeder Richtung hin zu verwerfen sei, daß hierfür jede begriffliche Bestimmt¬
heit der strafbaren Handlung unfindbar, jeder Maßstab der Schuld und Strafe
undenkbar sei, die ganze Vorstellung sich in die vagen, vollkommen ebenso
greifbaren Begriffe von "Gesetzesverletzung" oder schlechthin "Unrecht" verliere.
Eine Vermischung schiedsrichterlicher und strafrechtlicher Gesichtspunkte befrie¬
digt offenbar ebensowenig. Auf diesem kritischen Unterbau gelangt der Ver¬
fasser folgerichtig zu drei fundamentalen Principien. 1) "Das nothwendige
Correctiv der UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhaupts gegenüber dem con-
stitutionellen Grundsatz der allgemeinen staatsrechtlichen Verantwortlichkeit ist
darin gefunden, daß demselben die Spitzen der Centralverwaltung als Organe
zur Seite gestellt werden, an deren Zustimmung und Mitwirkung er bei allen
seinen Regierungshandlungen gebunden ist, und welche die Verantwortlich¬
keit für ihre Mitwirkung tragen." Daher die vorgeschriebene Contrasignatur
der Minister für alle rechtsgiltigen Regierungsacte des Souveräns, um das
Vorhandensein und den Beweis mitwirkender Verantwortlichkeit zu sichern.
2) Die Volksvertretung hat naturgemäß ein allgemeines Controlrecht, "den
Gebrauch der den Regierungsorganen zur Erfüllung ihrer staatlichen Auf¬
gaben überlassenen Mittel zu überwachen, eine umfassende und wirksame Auf¬
sicht über die Erfüllung der denselben auferlegten Pflichten zu üben." Daher
das Recht des Parlaments und jeder Kammer, auf das Urtheil eines Ge¬
richtshofes über die Minister überall zu provociren, wo sei es ein gemeines
Vergehen, sei es irgend ein Pflichtverletzung im amtlichen oder außeramtlichen
Verhalten vorzuliegen scheint. 3) "Die Verantwortlichkeit der Minister,
deren Realisirung der Volksvertretung zusteht, ist ihrem Rechtsgrunde, ihrem
Inhalt und ihrer Natur nach ein Ausfluß der disciplinären Ver¬
antwortlichkeit aller Staatsdiener." Sie wurzelt in der Amtshoheit
des Staats über seine zur Besorgung staatlicher Geschäfte angestellten Die¬
ner; diese Disciplinargewalt ist verschieden von der Strafgewalt wesentlich
discretionärer Art; Disciplinarankläger ist die Volksvertretung mit der
Wirkung, daß schon mit Einleitung der Anklage sofortige Suspension vom
Amte eintreten muß, und das Urtheil, welches mit Ausschluß jeder Begna¬
digungsinstanz immer nur Amtsentsetzung mit oder ohne Unfähigkeit zu allen
öffentlichen Aemtern als Strafe verhängen kann, wird von einem von Re¬
gierung und Volksvertretung unabhängigen Disciplinargerichtshofe g,ä bon
gefällt. --


schaffenden Aufgaben der Regierungsgewalt gehen, als die bestehenden Ge¬
setze auszuführen und die Verfassung aufrecht zu erhalten. Daran knüpfen
sich ungezwungen die ebenso scharfsinnigen wie überzeugenden Ausführungen
des Verfassers, daß der Thatbestand der „Verfassurigsverletzung " als das eigent¬
lich von den Ministern zu vertretende Delict vom strafrechtlichen Standpunkte
nach jeder Richtung hin zu verwerfen sei, daß hierfür jede begriffliche Bestimmt¬
heit der strafbaren Handlung unfindbar, jeder Maßstab der Schuld und Strafe
undenkbar sei, die ganze Vorstellung sich in die vagen, vollkommen ebenso
greifbaren Begriffe von „Gesetzesverletzung" oder schlechthin „Unrecht" verliere.
Eine Vermischung schiedsrichterlicher und strafrechtlicher Gesichtspunkte befrie¬
digt offenbar ebensowenig. Auf diesem kritischen Unterbau gelangt der Ver¬
fasser folgerichtig zu drei fundamentalen Principien. 1) „Das nothwendige
Correctiv der UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhaupts gegenüber dem con-
stitutionellen Grundsatz der allgemeinen staatsrechtlichen Verantwortlichkeit ist
darin gefunden, daß demselben die Spitzen der Centralverwaltung als Organe
zur Seite gestellt werden, an deren Zustimmung und Mitwirkung er bei allen
seinen Regierungshandlungen gebunden ist, und welche die Verantwortlich¬
keit für ihre Mitwirkung tragen." Daher die vorgeschriebene Contrasignatur
der Minister für alle rechtsgiltigen Regierungsacte des Souveräns, um das
Vorhandensein und den Beweis mitwirkender Verantwortlichkeit zu sichern.
2) Die Volksvertretung hat naturgemäß ein allgemeines Controlrecht, „den
Gebrauch der den Regierungsorganen zur Erfüllung ihrer staatlichen Auf¬
gaben überlassenen Mittel zu überwachen, eine umfassende und wirksame Auf¬
sicht über die Erfüllung der denselben auferlegten Pflichten zu üben." Daher
das Recht des Parlaments und jeder Kammer, auf das Urtheil eines Ge¬
richtshofes über die Minister überall zu provociren, wo sei es ein gemeines
Vergehen, sei es irgend ein Pflichtverletzung im amtlichen oder außeramtlichen
Verhalten vorzuliegen scheint. 3) „Die Verantwortlichkeit der Minister,
deren Realisirung der Volksvertretung zusteht, ist ihrem Rechtsgrunde, ihrem
Inhalt und ihrer Natur nach ein Ausfluß der disciplinären Ver¬
antwortlichkeit aller Staatsdiener." Sie wurzelt in der Amtshoheit
des Staats über seine zur Besorgung staatlicher Geschäfte angestellten Die¬
ner; diese Disciplinargewalt ist verschieden von der Strafgewalt wesentlich
discretionärer Art; Disciplinarankläger ist die Volksvertretung mit der
Wirkung, daß schon mit Einleitung der Anklage sofortige Suspension vom
Amte eintreten muß, und das Urtheil, welches mit Ausschluß jeder Begna¬
digungsinstanz immer nur Amtsentsetzung mit oder ohne Unfähigkeit zu allen
öffentlichen Aemtern als Strafe verhängen kann, wird von einem von Re¬
gierung und Volksvertretung unabhängigen Disciplinargerichtshofe g,ä bon
gefällt. —


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[0392] schaffenden Aufgaben der Regierungsgewalt gehen, als die bestehenden Ge¬ setze auszuführen und die Verfassung aufrecht zu erhalten. Daran knüpfen sich ungezwungen die ebenso scharfsinnigen wie überzeugenden Ausführungen des Verfassers, daß der Thatbestand der „Verfassurigsverletzung " als das eigent¬ lich von den Ministern zu vertretende Delict vom strafrechtlichen Standpunkte nach jeder Richtung hin zu verwerfen sei, daß hierfür jede begriffliche Bestimmt¬ heit der strafbaren Handlung unfindbar, jeder Maßstab der Schuld und Strafe undenkbar sei, die ganze Vorstellung sich in die vagen, vollkommen ebenso greifbaren Begriffe von „Gesetzesverletzung" oder schlechthin „Unrecht" verliere. Eine Vermischung schiedsrichterlicher und strafrechtlicher Gesichtspunkte befrie¬ digt offenbar ebensowenig. Auf diesem kritischen Unterbau gelangt der Ver¬ fasser folgerichtig zu drei fundamentalen Principien. 1) „Das nothwendige Correctiv der UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhaupts gegenüber dem con- stitutionellen Grundsatz der allgemeinen staatsrechtlichen Verantwortlichkeit ist darin gefunden, daß demselben die Spitzen der Centralverwaltung als Organe zur Seite gestellt werden, an deren Zustimmung und Mitwirkung er bei allen seinen Regierungshandlungen gebunden ist, und welche die Verantwortlich¬ keit für ihre Mitwirkung tragen." Daher die vorgeschriebene Contrasignatur der Minister für alle rechtsgiltigen Regierungsacte des Souveräns, um das Vorhandensein und den Beweis mitwirkender Verantwortlichkeit zu sichern. 2) Die Volksvertretung hat naturgemäß ein allgemeines Controlrecht, „den Gebrauch der den Regierungsorganen zur Erfüllung ihrer staatlichen Auf¬ gaben überlassenen Mittel zu überwachen, eine umfassende und wirksame Auf¬ sicht über die Erfüllung der denselben auferlegten Pflichten zu üben." Daher das Recht des Parlaments und jeder Kammer, auf das Urtheil eines Ge¬ richtshofes über die Minister überall zu provociren, wo sei es ein gemeines Vergehen, sei es irgend ein Pflichtverletzung im amtlichen oder außeramtlichen Verhalten vorzuliegen scheint. 3) „Die Verantwortlichkeit der Minister, deren Realisirung der Volksvertretung zusteht, ist ihrem Rechtsgrunde, ihrem Inhalt und ihrer Natur nach ein Ausfluß der disciplinären Ver¬ antwortlichkeit aller Staatsdiener." Sie wurzelt in der Amtshoheit des Staats über seine zur Besorgung staatlicher Geschäfte angestellten Die¬ ner; diese Disciplinargewalt ist verschieden von der Strafgewalt wesentlich discretionärer Art; Disciplinarankläger ist die Volksvertretung mit der Wirkung, daß schon mit Einleitung der Anklage sofortige Suspension vom Amte eintreten muß, und das Urtheil, welches mit Ausschluß jeder Begna¬ digungsinstanz immer nur Amtsentsetzung mit oder ohne Unfähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern als Strafe verhängen kann, wird von einem von Re¬ gierung und Volksvertretung unabhängigen Disciplinargerichtshofe g,ä bon gefällt. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/392>, abgerufen am 06.02.2025.