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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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umliegenden Bergwerken geschickte Handwerker zu ihnen und die Arbeit ging
rasch von Statten. Von Werchne-Udinsk an, hielten wir unsere Nachtlager
und Rasttage nicht mehr in burjatischen Filzzelten, sondern in diesen großen
Dörfern. In Tarbagatah hatten wir Zeit, Alles umständlich in Augenschein
zu nehmen. Mit meiner Frau war ich in dem Hause eines Bauern einquar-
tirt: die Häuser enthielten mehrere Zimmer, bedeckte Treppen, große Fenster,
breterne Dächer; aus der einen Seite der Flur befand sich eine geräu¬
mige Stube für die Arbeiter und ein mächtiger russischer Backofen, auf der
anderen 2--ö Zimmer mit holländischen Oefen; hier war der Fußboden mit
eigens dazu fabricirten Teppichen bedeckt, die Tische und Stühle waren sau¬
ber angestrichen, selbst Spiegel, die in Jrbit zur Jahrmarktszeit gekauft wor¬
den waren, fehlten nicht. Unsere Wirthin nahm uns gastfrei mit Schinken,Stör und
verschiedenen Gattungen Kuchen auf. -- In den Höfen sahen wir mit Ei¬
sen beschlagene Wagen, gute Geschirre, starke wohlgenährte Pferde und ge¬
sunde wohlgestaltete Menschen, die einen vortrefflichen Eindruck machten. Es
war Sonntag, Alles ging ins Betßaus, die Männer in langen Röcken aus
blauem Tuch und stattlichen Zobelmützen, die Weiber in seidenen mit Zobel¬
kragen besetzten Halbmänteln, die sie Seelenwärmer nennen; ihr Kopfputz war
aus Seidenstoff gefertigt und mit Gold und Silber durchwebt. Alles zeigte
Wohlhabenheit, Arbeitsamkeit und Ordnung. Nur Eins sehlte dem Beobachter:
die Kirche; als Altgläubige hatten die Ortsbewohner blos ein Bethaus und
keinen Priester. Wie alle Altgläubige gebrauchen sie keinen Tabak, keinen
Thee, keinen Wein, keine Medicin, auch impfen sie keine Pocken ein, da sie
das Alles für Sünde halten; ich habe unter ihnen übrigens keinen einzigen
Pockennarbigen gesehen. Sie sind sehr gottesfürchtig, lesen fleißig die heilige
Schrift und beobachten aufs strengste die Gebräuche ihrer Secte.

Viele dieser Leute sind Kapitalisten; Einige besitzen Capitalien im Betrage
von 100,000 Rubeln, unternehmen große Kornlieserungen und handeln mit
den Chinesen, denen sie vortheilhaft Waizen und Schafsfelle verkaufen. -- "Wa¬
rum sind Eure Nachbarn so arm?" -- fragte ich meinen Wirth, -- "Wie sollen sie
nicht arm sein!" -- antwortete er -- "wenn der Hahn kräht, sind wir schon auf
dem Felde und. pflügen in den kühlen Morgenstunden, indessen der einheimische
Bauer kaum aufgestanden ist und seinen Ziegelthee kocht; bis er sich zu
seinem Felde schleppt, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Wir haben
unsere erste Arbeit schon beendet und ruhen, während der Sibirier sich in
der Hitze mit seinen Umspann abquält; weder er selbst noch sein Pferd haben
Kräfte das Land gut durchzupflügen. Außerdem sind die früher Angesiedelten
dem Branntweintrinken ergeben; sie bringen jeden Kopeken durch und können
daher keine Capitalien sammeln." -- Bestushew fragte einen dieser Bauern,
warum sie nicht zur Erleichterung und Beschleunigung der Arbeit bet sich


umliegenden Bergwerken geschickte Handwerker zu ihnen und die Arbeit ging
rasch von Statten. Von Werchne-Udinsk an, hielten wir unsere Nachtlager
und Rasttage nicht mehr in burjatischen Filzzelten, sondern in diesen großen
Dörfern. In Tarbagatah hatten wir Zeit, Alles umständlich in Augenschein
zu nehmen. Mit meiner Frau war ich in dem Hause eines Bauern einquar-
tirt: die Häuser enthielten mehrere Zimmer, bedeckte Treppen, große Fenster,
breterne Dächer; aus der einen Seite der Flur befand sich eine geräu¬
mige Stube für die Arbeiter und ein mächtiger russischer Backofen, auf der
anderen 2—ö Zimmer mit holländischen Oefen; hier war der Fußboden mit
eigens dazu fabricirten Teppichen bedeckt, die Tische und Stühle waren sau¬
ber angestrichen, selbst Spiegel, die in Jrbit zur Jahrmarktszeit gekauft wor¬
den waren, fehlten nicht. Unsere Wirthin nahm uns gastfrei mit Schinken,Stör und
verschiedenen Gattungen Kuchen auf. — In den Höfen sahen wir mit Ei¬
sen beschlagene Wagen, gute Geschirre, starke wohlgenährte Pferde und ge¬
sunde wohlgestaltete Menschen, die einen vortrefflichen Eindruck machten. Es
war Sonntag, Alles ging ins Betßaus, die Männer in langen Röcken aus
blauem Tuch und stattlichen Zobelmützen, die Weiber in seidenen mit Zobel¬
kragen besetzten Halbmänteln, die sie Seelenwärmer nennen; ihr Kopfputz war
aus Seidenstoff gefertigt und mit Gold und Silber durchwebt. Alles zeigte
Wohlhabenheit, Arbeitsamkeit und Ordnung. Nur Eins sehlte dem Beobachter:
die Kirche; als Altgläubige hatten die Ortsbewohner blos ein Bethaus und
keinen Priester. Wie alle Altgläubige gebrauchen sie keinen Tabak, keinen
Thee, keinen Wein, keine Medicin, auch impfen sie keine Pocken ein, da sie
das Alles für Sünde halten; ich habe unter ihnen übrigens keinen einzigen
Pockennarbigen gesehen. Sie sind sehr gottesfürchtig, lesen fleißig die heilige
Schrift und beobachten aufs strengste die Gebräuche ihrer Secte.

Viele dieser Leute sind Kapitalisten; Einige besitzen Capitalien im Betrage
von 100,000 Rubeln, unternehmen große Kornlieserungen und handeln mit
den Chinesen, denen sie vortheilhaft Waizen und Schafsfelle verkaufen. — „Wa¬
rum sind Eure Nachbarn so arm?" — fragte ich meinen Wirth, — „Wie sollen sie
nicht arm sein!" — antwortete er — „wenn der Hahn kräht, sind wir schon auf
dem Felde und. pflügen in den kühlen Morgenstunden, indessen der einheimische
Bauer kaum aufgestanden ist und seinen Ziegelthee kocht; bis er sich zu
seinem Felde schleppt, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Wir haben
unsere erste Arbeit schon beendet und ruhen, während der Sibirier sich in
der Hitze mit seinen Umspann abquält; weder er selbst noch sein Pferd haben
Kräfte das Land gut durchzupflügen. Außerdem sind die früher Angesiedelten
dem Branntweintrinken ergeben; sie bringen jeden Kopeken durch und können
daher keine Capitalien sammeln." — Bestushew fragte einen dieser Bauern,
warum sie nicht zur Erleichterung und Beschleunigung der Arbeit bet sich


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[0375] umliegenden Bergwerken geschickte Handwerker zu ihnen und die Arbeit ging rasch von Statten. Von Werchne-Udinsk an, hielten wir unsere Nachtlager und Rasttage nicht mehr in burjatischen Filzzelten, sondern in diesen großen Dörfern. In Tarbagatah hatten wir Zeit, Alles umständlich in Augenschein zu nehmen. Mit meiner Frau war ich in dem Hause eines Bauern einquar- tirt: die Häuser enthielten mehrere Zimmer, bedeckte Treppen, große Fenster, breterne Dächer; aus der einen Seite der Flur befand sich eine geräu¬ mige Stube für die Arbeiter und ein mächtiger russischer Backofen, auf der anderen 2—ö Zimmer mit holländischen Oefen; hier war der Fußboden mit eigens dazu fabricirten Teppichen bedeckt, die Tische und Stühle waren sau¬ ber angestrichen, selbst Spiegel, die in Jrbit zur Jahrmarktszeit gekauft wor¬ den waren, fehlten nicht. Unsere Wirthin nahm uns gastfrei mit Schinken,Stör und verschiedenen Gattungen Kuchen auf. — In den Höfen sahen wir mit Ei¬ sen beschlagene Wagen, gute Geschirre, starke wohlgenährte Pferde und ge¬ sunde wohlgestaltete Menschen, die einen vortrefflichen Eindruck machten. Es war Sonntag, Alles ging ins Betßaus, die Männer in langen Röcken aus blauem Tuch und stattlichen Zobelmützen, die Weiber in seidenen mit Zobel¬ kragen besetzten Halbmänteln, die sie Seelenwärmer nennen; ihr Kopfputz war aus Seidenstoff gefertigt und mit Gold und Silber durchwebt. Alles zeigte Wohlhabenheit, Arbeitsamkeit und Ordnung. Nur Eins sehlte dem Beobachter: die Kirche; als Altgläubige hatten die Ortsbewohner blos ein Bethaus und keinen Priester. Wie alle Altgläubige gebrauchen sie keinen Tabak, keinen Thee, keinen Wein, keine Medicin, auch impfen sie keine Pocken ein, da sie das Alles für Sünde halten; ich habe unter ihnen übrigens keinen einzigen Pockennarbigen gesehen. Sie sind sehr gottesfürchtig, lesen fleißig die heilige Schrift und beobachten aufs strengste die Gebräuche ihrer Secte. Viele dieser Leute sind Kapitalisten; Einige besitzen Capitalien im Betrage von 100,000 Rubeln, unternehmen große Kornlieserungen und handeln mit den Chinesen, denen sie vortheilhaft Waizen und Schafsfelle verkaufen. — „Wa¬ rum sind Eure Nachbarn so arm?" — fragte ich meinen Wirth, — „Wie sollen sie nicht arm sein!" — antwortete er — „wenn der Hahn kräht, sind wir schon auf dem Felde und. pflügen in den kühlen Morgenstunden, indessen der einheimische Bauer kaum aufgestanden ist und seinen Ziegelthee kocht; bis er sich zu seinem Felde schleppt, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Wir haben unsere erste Arbeit schon beendet und ruhen, während der Sibirier sich in der Hitze mit seinen Umspann abquält; weder er selbst noch sein Pferd haben Kräfte das Land gut durchzupflügen. Außerdem sind die früher Angesiedelten dem Branntweintrinken ergeben; sie bringen jeden Kopeken durch und können daher keine Capitalien sammeln." — Bestushew fragte einen dieser Bauern, warum sie nicht zur Erleichterung und Beschleunigung der Arbeit bet sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/375>, abgerufen am 06.02.2025.