Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.und großartigste Gegend Sibiriens. Man stelle sich einen breiten Fluß vor,, Bei der Stadt Werchne-Udinsk bogen wir links vom großen Wege ab; und großartigste Gegend Sibiriens. Man stelle sich einen breiten Fluß vor,, Bei der Stadt Werchne-Udinsk bogen wir links vom großen Wege ab; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287646"/> <p xml:id="ID_947" prev="#ID_946"> und großartigste Gegend Sibiriens. Man stelle sich einen breiten Fluß vor,,<lb/> dessen rechtes Ufer von hohen Felsen gebildet wird, die aus vielen, ganz<lb/> verschiedenfarbigen Schichten bestehen: rother, gelber, grauer, schwarzer Granit<lb/> wechselt mit Spath, Schiefer. Sand, Lehm, Kies und Kalksteinen. Dieses<lb/> Felsufer ist etwa 60 Fuß hoch. Bei klarem Wetter blitzte die senkrechte Fel-<lb/> senwand in tausend prächtigen Farben. — Die Umgegend des Flußthals ist<lb/> von Hügeln durchkreuzt, die mit großen Felsblöcken, welche Schlössern und<lb/> Burgen ähnlich sehen, gekrönt sind, vermuthlich infolge von Erdbeben; die<lb/> Ufer des Baikalsees bestätigen eine solche Vermuthung. Dieser See, welcher in<lb/> Sibirien das heilige Meer genannt wird, ist unermeßlich tief. — Pallas, der<lb/> berühmte Reisende aus der Zeit Catharina's II., beschreibt diese Gegend aus¬<lb/> führlich und zählt sie zu den schönsten Landschaften die er je gesehen. Ich<lb/> weiß nicht, ob Pallas im Kaukasus und in Grusien gewesen ist? Die Natur<lb/> an der Selenga ist schön, aber es fehlt an Menschen; die Bevölkerung ist<lb/> sehr schwach: ein Mangel, der sich auch für den Beschauer stärker fühlbar<lb/> macht, als man gewöhnlich annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_948" next="#ID_949"> Bei der Stadt Werchne-Udinsk bogen wir links vom großen Wege ab;<lb/> nach drei Tagemärschen gelangten wir in ein großes Dorf Tarbagatay. wel¬<lb/> ches durch seine Häuser und seine Bewohner ganz das Aussehen eines Dorfs<lb/> der großrussischen Gouvernements hatte. Hier leben auf einer Strecke von<lb/> 60 Werst die sogenannten Semeiskije, Leute deren Vorfahren unter der Re¬<lb/> gierung der Kaiserin Anna 1733 und unter Catharina II. im Jahre 1767<lb/> größtentheils wegen Sectirerei aus Dorogobusch und Gvmel nach Sibirien ver¬<lb/> schickt worden waren. Man hatte ihnen gestattet, ihr Hab und Gut zu ver¬<lb/> kaufen und mit ihren Weibern und Kindern in die Verbannung überzusiedeln.<lb/> Daher erhielten sie in Sibirien die Benennung Semeiskije, d. h. Leute die<lb/> mit ihren Familien ins Land kamen. Als diese Verwichenen über den<lb/> Baikalsee gegangen und in Werchne-Udinsk angelangt waren, erhielten sie von<lb/> der Ortsbehörde Befehl, sich hier an wüsten von anderen Ansiedlungen ent¬<lb/> fernten Orten anzubauen. Der Regierungs-Commissär führte sie in einen Ur¬<lb/> wald längs des kleinen Flusses Tarbagatay und erlaubte ihnen, sich hier einen<lb/> beliebigen Wohnort auszuwählen. Von Zahlung der Kronabgaben waren<lb/> sie vier Jahr lang befreit. Wie groß war die Verwunderung des Beamten,<lb/> als er sie nach Jahresfrist besuchte und ein schön angebautes Dorf, Gemüse¬<lb/> gärten und Felder an einem Ort sah. wo noch vor Jahresfrist ein dicker<lb/> Wald Alles bedeckt hatte! Dieses Wunder war durch die Arbeitsamkeit der<lb/> Leute und durch das Geld bewirkt worden, daß sie mitgebracht hatten. Da<lb/> sie in der Heimath alle Habe verkauft hatten, waren sie mit reichlicher<lb/> Baarschaft angekommen : sobald ihre Ankunft bekannt wurde, strömten aus den</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
und großartigste Gegend Sibiriens. Man stelle sich einen breiten Fluß vor,,
dessen rechtes Ufer von hohen Felsen gebildet wird, die aus vielen, ganz
verschiedenfarbigen Schichten bestehen: rother, gelber, grauer, schwarzer Granit
wechselt mit Spath, Schiefer. Sand, Lehm, Kies und Kalksteinen. Dieses
Felsufer ist etwa 60 Fuß hoch. Bei klarem Wetter blitzte die senkrechte Fel-
senwand in tausend prächtigen Farben. — Die Umgegend des Flußthals ist
von Hügeln durchkreuzt, die mit großen Felsblöcken, welche Schlössern und
Burgen ähnlich sehen, gekrönt sind, vermuthlich infolge von Erdbeben; die
Ufer des Baikalsees bestätigen eine solche Vermuthung. Dieser See, welcher in
Sibirien das heilige Meer genannt wird, ist unermeßlich tief. — Pallas, der
berühmte Reisende aus der Zeit Catharina's II., beschreibt diese Gegend aus¬
führlich und zählt sie zu den schönsten Landschaften die er je gesehen. Ich
weiß nicht, ob Pallas im Kaukasus und in Grusien gewesen ist? Die Natur
an der Selenga ist schön, aber es fehlt an Menschen; die Bevölkerung ist
sehr schwach: ein Mangel, der sich auch für den Beschauer stärker fühlbar
macht, als man gewöhnlich annimmt.
Bei der Stadt Werchne-Udinsk bogen wir links vom großen Wege ab;
nach drei Tagemärschen gelangten wir in ein großes Dorf Tarbagatay. wel¬
ches durch seine Häuser und seine Bewohner ganz das Aussehen eines Dorfs
der großrussischen Gouvernements hatte. Hier leben auf einer Strecke von
60 Werst die sogenannten Semeiskije, Leute deren Vorfahren unter der Re¬
gierung der Kaiserin Anna 1733 und unter Catharina II. im Jahre 1767
größtentheils wegen Sectirerei aus Dorogobusch und Gvmel nach Sibirien ver¬
schickt worden waren. Man hatte ihnen gestattet, ihr Hab und Gut zu ver¬
kaufen und mit ihren Weibern und Kindern in die Verbannung überzusiedeln.
Daher erhielten sie in Sibirien die Benennung Semeiskije, d. h. Leute die
mit ihren Familien ins Land kamen. Als diese Verwichenen über den
Baikalsee gegangen und in Werchne-Udinsk angelangt waren, erhielten sie von
der Ortsbehörde Befehl, sich hier an wüsten von anderen Ansiedlungen ent¬
fernten Orten anzubauen. Der Regierungs-Commissär führte sie in einen Ur¬
wald längs des kleinen Flusses Tarbagatay und erlaubte ihnen, sich hier einen
beliebigen Wohnort auszuwählen. Von Zahlung der Kronabgaben waren
sie vier Jahr lang befreit. Wie groß war die Verwunderung des Beamten,
als er sie nach Jahresfrist besuchte und ein schön angebautes Dorf, Gemüse¬
gärten und Felder an einem Ort sah. wo noch vor Jahresfrist ein dicker
Wald Alles bedeckt hatte! Dieses Wunder war durch die Arbeitsamkeit der
Leute und durch das Geld bewirkt worden, daß sie mitgebracht hatten. Da
sie in der Heimath alle Habe verkauft hatten, waren sie mit reichlicher
Baarschaft angekommen : sobald ihre Ankunft bekannt wurde, strömten aus den
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