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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Amtsantritt gehabt. In seiner großen edinburgher Rede wiederholte er dies
nicht nur, sondern erklärte: "Während sieben Jahren hatte ich die öffentliche
Meinung (tue lliillä ok tre oountr?) vorzubereiten und unsere Partei zu er¬
ziehen, wenn es nicht anmaßend ist einen solchen Ausdruck zu gebrauchen.
Es ist eine große Partei und um ihre Aufmerksamkeit auf Fragen der Art
zu richten bedarf es eines gewissen Druckes." --

Selten ist der Wahrheit wohl auf so cynische Weise ins Gesicht geschlagen
worden, als durch diese Behauptungen. Schon bei Gelegenheit der Debatte im
Oberhause erklärte Lord Carnarvon die Angabe, daß das Haushalterwahlrecht
schon 1859 der geheime Glaube des Cabinets gewesen sei, für einfach falsch.
"Wäre dem so gewesen" rief er, "hätten wir während all der Zeit, wo wir gegen
eine Herabsetzung auf 7 Pfd. sert. als eine revolutionäre Maßregel prote-
stirten, im Herzen die Hoffnung gehegt, einförmiges Haushalterwahlrecht durch¬
zusetzen, dann, Mylords, würde ich Asche auf mein Haupt streuen und würde
demüthig aber offen anerkennen, daß das ganze Leben der großen Partei, der
anzugehören ich für eine Ehre hielt, nichts gewesen ist als eine organistrte
Heuchelei." -- Und nun nehme man folgende Aeußerungen Disraelis.

Als er 1859 seine Bill gegen den Vorwurf vertheidigte, daß sie keine
Herabsetzung der Qualifikation enthalte, antwortete er: "Es würde gewiß un¬
verständig, um nicht zu sagen unerträglich sein, wenn wir. um uns gegen
das Uebergewicht einer Landaristokratie und das einer Fabrik- und Handels¬
oligarchie zu schützen, das Parlament reformiren wollten, indem wir einer
Haushalterdemokratie das Uebergewicht gäben." 1861 wiederholte er, der Kampf
sei im 1.1859 darum gekämpft, ob man die Wahlqualification habe herabsetzen
sollen oder nicht; die liberale Partei sei dafür, die conservative dagegen ge¬
wesen. 1865 sagte er: "Ich habe meine Ansicht über die Reformfrage nicht
geändert; Alles was sich inzwischen ereignete, was ich gesehen und beobachtet
habe, hat mich darin befestigt, daß das Princip wonach die Wählerschaften des
Landes erweitert werden sollten, Ausdehnung, nicht Herabsetzung der Quali-
fication sein müsse." *) Am 27. April 1866 erklärte er: "Ich spreche es nicht
als meine eigene Meinung aus, sondern als die des Landes, d. h. der un¬
parteilichen und einsichtigen Meinung, die das Land in Wirklichkeit regiert,
daß, obwohl man wünscht, daß die arbeitenden Klassen einen Theil und
einen nicht unbedeutenden der Wählerschaften bilden sollen, man doch entschie¬
den jede grobe und unterschiedslose Herabsetzung der Wahlqualification
verwirft."

Bis Mitte 1866 also kann durch Disraeli's eigene Worte bewiesen wer-



") Disraeli brauchte hier noch den von ihm erfundenen und in diesem Sinne unüber¬
setzbaren Ausdruck Wtvral rokoim, womit er die sog. ^nox traueluses meinte im Gegensatz
zu der raäieal rstorw, die Herabsetzung der Wahlqualification.

Amtsantritt gehabt. In seiner großen edinburgher Rede wiederholte er dies
nicht nur, sondern erklärte: „Während sieben Jahren hatte ich die öffentliche
Meinung (tue lliillä ok tre oountr?) vorzubereiten und unsere Partei zu er¬
ziehen, wenn es nicht anmaßend ist einen solchen Ausdruck zu gebrauchen.
Es ist eine große Partei und um ihre Aufmerksamkeit auf Fragen der Art
zu richten bedarf es eines gewissen Druckes." —

Selten ist der Wahrheit wohl auf so cynische Weise ins Gesicht geschlagen
worden, als durch diese Behauptungen. Schon bei Gelegenheit der Debatte im
Oberhause erklärte Lord Carnarvon die Angabe, daß das Haushalterwahlrecht
schon 1859 der geheime Glaube des Cabinets gewesen sei, für einfach falsch.
„Wäre dem so gewesen" rief er, „hätten wir während all der Zeit, wo wir gegen
eine Herabsetzung auf 7 Pfd. sert. als eine revolutionäre Maßregel prote-
stirten, im Herzen die Hoffnung gehegt, einförmiges Haushalterwahlrecht durch¬
zusetzen, dann, Mylords, würde ich Asche auf mein Haupt streuen und würde
demüthig aber offen anerkennen, daß das ganze Leben der großen Partei, der
anzugehören ich für eine Ehre hielt, nichts gewesen ist als eine organistrte
Heuchelei." — Und nun nehme man folgende Aeußerungen Disraelis.

Als er 1859 seine Bill gegen den Vorwurf vertheidigte, daß sie keine
Herabsetzung der Qualifikation enthalte, antwortete er: „Es würde gewiß un¬
verständig, um nicht zu sagen unerträglich sein, wenn wir. um uns gegen
das Uebergewicht einer Landaristokratie und das einer Fabrik- und Handels¬
oligarchie zu schützen, das Parlament reformiren wollten, indem wir einer
Haushalterdemokratie das Uebergewicht gäben." 1861 wiederholte er, der Kampf
sei im 1.1859 darum gekämpft, ob man die Wahlqualification habe herabsetzen
sollen oder nicht; die liberale Partei sei dafür, die conservative dagegen ge¬
wesen. 1865 sagte er: „Ich habe meine Ansicht über die Reformfrage nicht
geändert; Alles was sich inzwischen ereignete, was ich gesehen und beobachtet
habe, hat mich darin befestigt, daß das Princip wonach die Wählerschaften des
Landes erweitert werden sollten, Ausdehnung, nicht Herabsetzung der Quali-
fication sein müsse." *) Am 27. April 1866 erklärte er: „Ich spreche es nicht
als meine eigene Meinung aus, sondern als die des Landes, d. h. der un¬
parteilichen und einsichtigen Meinung, die das Land in Wirklichkeit regiert,
daß, obwohl man wünscht, daß die arbeitenden Klassen einen Theil und
einen nicht unbedeutenden der Wählerschaften bilden sollen, man doch entschie¬
den jede grobe und unterschiedslose Herabsetzung der Wahlqualification
verwirft."

Bis Mitte 1866 also kann durch Disraeli's eigene Worte bewiesen wer-



") Disraeli brauchte hier noch den von ihm erfundenen und in diesem Sinne unüber¬
setzbaren Ausdruck Wtvral rokoim, womit er die sog. ^nox traueluses meinte im Gegensatz
zu der raäieal rstorw, die Herabsetzung der Wahlqualification.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/354>, abgerufen am 11.02.2025.