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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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sagte er, "müßte nach den sorgfältigsten Ermittelungen 242,000 neue Wahl¬
berechtigte ergeben, die fast alle der arbeitenden Klasse angehören würden;
die gesammte Wählerschaft wäre dann 428,000 , so daß die arbeitenden Klassen
die Majorität in derselben bilden würden. Das hat niemals, eine Bill, die
in diesem Hause vorgeschlagen wurde, thun wollen, das Parlament würde nie
darauf eingehen, obwohl ich nicht sagen kann, daß ich große Gefahr dabei
sehen würde; nach allgemeinen Gründen politischer Klugheit ist es nicht gut
Plötzliche und große Aenderungen in der Vertheilung der politischen Macht
eintreten zu lassen". Gladstone schlug daher den Satz von 7 Pfd. Sterl. vor,
welcher 144,000 neue Wahlberechtigte von der arbeitenden Klasse bringen
würde; außerdem sollte noch 60.000 städtischen Einwohnern durch ver¬
schiedene Klauseln das Stimmrecht gegeben werden, welche aber meistens
nicht zu den arbeitenden Klassen gehörten. Das Resultat wäre gewesen
daß die Elite derselben, die skillsä artis^us, Arbeiter welche sich durch
ihre Tüchtigkeit zu verhältnißmäßiger Unabhängigkeit aufgeschwungen haben,
des Wahlrechts theilhaftig geworden wären. Das Haus verwarf diesen Vor¬
schlag und zwar, weil, wie Lord Stanley gleich nach Gladstone's Rücktritt
bei seiner Wiederwahl in Kings Lynn sagte, die von der Regierung vor¬
geschlagene Maßregel, was die Wahlqualification betrifft, weiter ging, als
die Mehrheit des Hauses geneigt war zuzugestehen. Wäre die Regierung
bereit gewesen 20 Pfd. Sterl. in Grafschaften und 8 Pfd. Sterl. in Städten
anzunehmen, so wäre ein derartiger Kompromiß unzweifelhaft von einer
großen Mehrheit der conservativen Partei angenommen worden.

Ein Jahr darauf führte diese Partei das Haushalterwahlrecht ein! Disraeli
hat dies zwar einmal geleugnet mit dem Bemerken, in England seien 4 Mill.
Haushalter und nach seiner Bill hätten überhaupt nur 1^/2 Mill. das Stimm¬
recht. Es ist dies aber ein seichtes Sophisma: bei einem parlamentarisch
regierten Lande kommt es wesentlich auf die Majoritäten an; man hat nie
behauptet daß er Haushalterwahlrecht in England überhaupt eingeführt habe,
sondern nur in den Städten; von diesen aber wird die Mehrheit der Parla¬
mentsmitglieder gewählt und so liegt doch in letzter Instanz das Schicksal
des Landes in den Händen der Haushalter.

An andern Orten hat Disraeli ja auch als sein Verdienst gerühmt
den Arbeitern das Wahlrecht, welches ihnen angeblich durch die Acte von
1832 entzogen sein soll (d. h. in Wahrheit den Proletariern der großen Städte,
die am leichtesten bestechlich waren) wiedergegeben zu haben. Bei der dritten
Lesung behauptete er, schon 1859 habe darüber in Lord Derby's Cabinet
keine Meinungsverschiedenheit geherrscht, daß, wenn man einmal versuche
die Wahlqualification herabzusetzen, man zum Haushalterwahlrecht kommen
messü, und dieselbe Ansicht habe auch die gegenwärtige Regierung bei ihrem


sagte er, „müßte nach den sorgfältigsten Ermittelungen 242,000 neue Wahl¬
berechtigte ergeben, die fast alle der arbeitenden Klasse angehören würden;
die gesammte Wählerschaft wäre dann 428,000 , so daß die arbeitenden Klassen
die Majorität in derselben bilden würden. Das hat niemals, eine Bill, die
in diesem Hause vorgeschlagen wurde, thun wollen, das Parlament würde nie
darauf eingehen, obwohl ich nicht sagen kann, daß ich große Gefahr dabei
sehen würde; nach allgemeinen Gründen politischer Klugheit ist es nicht gut
Plötzliche und große Aenderungen in der Vertheilung der politischen Macht
eintreten zu lassen". Gladstone schlug daher den Satz von 7 Pfd. Sterl. vor,
welcher 144,000 neue Wahlberechtigte von der arbeitenden Klasse bringen
würde; außerdem sollte noch 60.000 städtischen Einwohnern durch ver¬
schiedene Klauseln das Stimmrecht gegeben werden, welche aber meistens
nicht zu den arbeitenden Klassen gehörten. Das Resultat wäre gewesen
daß die Elite derselben, die skillsä artis^us, Arbeiter welche sich durch
ihre Tüchtigkeit zu verhältnißmäßiger Unabhängigkeit aufgeschwungen haben,
des Wahlrechts theilhaftig geworden wären. Das Haus verwarf diesen Vor¬
schlag und zwar, weil, wie Lord Stanley gleich nach Gladstone's Rücktritt
bei seiner Wiederwahl in Kings Lynn sagte, die von der Regierung vor¬
geschlagene Maßregel, was die Wahlqualification betrifft, weiter ging, als
die Mehrheit des Hauses geneigt war zuzugestehen. Wäre die Regierung
bereit gewesen 20 Pfd. Sterl. in Grafschaften und 8 Pfd. Sterl. in Städten
anzunehmen, so wäre ein derartiger Kompromiß unzweifelhaft von einer
großen Mehrheit der conservativen Partei angenommen worden.

Ein Jahr darauf führte diese Partei das Haushalterwahlrecht ein! Disraeli
hat dies zwar einmal geleugnet mit dem Bemerken, in England seien 4 Mill.
Haushalter und nach seiner Bill hätten überhaupt nur 1^/2 Mill. das Stimm¬
recht. Es ist dies aber ein seichtes Sophisma: bei einem parlamentarisch
regierten Lande kommt es wesentlich auf die Majoritäten an; man hat nie
behauptet daß er Haushalterwahlrecht in England überhaupt eingeführt habe,
sondern nur in den Städten; von diesen aber wird die Mehrheit der Parla¬
mentsmitglieder gewählt und so liegt doch in letzter Instanz das Schicksal
des Landes in den Händen der Haushalter.

An andern Orten hat Disraeli ja auch als sein Verdienst gerühmt
den Arbeitern das Wahlrecht, welches ihnen angeblich durch die Acte von
1832 entzogen sein soll (d. h. in Wahrheit den Proletariern der großen Städte,
die am leichtesten bestechlich waren) wiedergegeben zu haben. Bei der dritten
Lesung behauptete er, schon 1859 habe darüber in Lord Derby's Cabinet
keine Meinungsverschiedenheit geherrscht, daß, wenn man einmal versuche
die Wahlqualification herabzusetzen, man zum Haushalterwahlrecht kommen
messü, und dieselbe Ansicht habe auch die gegenwärtige Regierung bei ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/353>, abgerufen am 05.02.2025.