Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gen) hätte in solchem Falle eine kategorische Note nach Athen gesandt und
eventuell durch die Sendung einer Fregatte dem völkerrechtswidrigen Treiben
der griechischen Regierung und den Blockadebrechern ein Ende gemacht. Lord
Stanley dagegen beklagte sich über seinen eigenen Gesandten in Athen, Mr.
Erskine, welcher ein Philhellene sei. aber ließ ihn ruhig dort und verschwen-
dete seine Zeit damit, dem griechischen Ministerium Vorstellungen zu machen,
auf welche dasselbe natürlich nicht hörte, da sein Gesandter aus London
schrieb, daß England thatsächlich nicht interveniren werde. Wie viel Elend
und Blutvergießen hätte hier ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert! Doch
Stanley's Politik war rein negativ und rechtfertigt für den Augenblick bis
zu einem gewissen Grade Graf Bismarck's schneidendes Wort: "Wenn ich
ein Abyssinier oder Chinese wäre, so würde ich mich wahrscheinlich sehr um
Englands Politik kümmern, da ich aber ein Europäer bin, thue ich es nicht."
Eine Politik, die von vorn herein das Princip der Nichtintervention aus
ihre Fahne schreibt, kann keinen Einfluß haben, mögen ihre Rathschläge noch
so wohl gemeint sein. Allerdings mag wahr sein, daß. wie Stanley in
seiner Wahlrede sagte, es noch nie eine Zeit gegeben, wo England im Aus¬
lande mit weniger Eifersucht betrachtet wurde und weniger im Verdacht
stand, heimliche Anschläge gegen die Wohlfahrt und den Frieden anderer
Staaten zu hegen: wenn er aber hinzusetzt, daß nach seiner Ansicht England
durch seine Jsolirung nicht im geringsten an Ansehen verloren, so täuscht er
sich schwer und vergißt, daß die Eifersucht, mit der ein Staat von anderen
angesehen wird, gewöhnlich in genauem Verhältniß zu seiner Größe steht.
Die Stimme des Englands der Pitt, Wellington und Canning gebot
überall Achtung, weil man hinter ihr den Entschluß wußte, eventuell dem
Rath oder der Forderung Nachdruck mit Linienschiffen zu geben; jetzt, da
diese ullius, ratio überall fehlt, wo nicht etwa englische Unterthanen brutal
verletzt sind wie in Abyssinien, hört der betreffende Minister die Rathschläge
der britischen Cabinete höflich an und thut dann was ihn gut dünkt.

Auf gleich falscher Unterlage, wie das Urtheil Stanley's über die Gegen¬
wart, scheint uns sein Prognostikon für die Zukunft zu beruhen. Er sprach
bei dem liverpooler Bankett am 22. October seine Hoffnung aus, daß die
auswärtige Politik nicht mehr einen Gegenstand der Parteikämpfe bilden
werde. Englands Politik solle sein: streng die Rechte der Schwachen wie
der Starken zu respectiren und sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu
rächen, sondern sich dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines
kompetenten Tribunals zu unterwerfen (not rsa-ämess to resout wronAS, but
to Sudan to tus äisxassionats arbitration ok sollte eompetönt tribunal).
Das ist gewiß sehr edel und menschenfreundlich gedacht, aber wenn dies
Programm praktisch werden sollte, müßte sich die menschliche Natur geändert


41'

gen) hätte in solchem Falle eine kategorische Note nach Athen gesandt und
eventuell durch die Sendung einer Fregatte dem völkerrechtswidrigen Treiben
der griechischen Regierung und den Blockadebrechern ein Ende gemacht. Lord
Stanley dagegen beklagte sich über seinen eigenen Gesandten in Athen, Mr.
Erskine, welcher ein Philhellene sei. aber ließ ihn ruhig dort und verschwen-
dete seine Zeit damit, dem griechischen Ministerium Vorstellungen zu machen,
auf welche dasselbe natürlich nicht hörte, da sein Gesandter aus London
schrieb, daß England thatsächlich nicht interveniren werde. Wie viel Elend
und Blutvergießen hätte hier ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert! Doch
Stanley's Politik war rein negativ und rechtfertigt für den Augenblick bis
zu einem gewissen Grade Graf Bismarck's schneidendes Wort: „Wenn ich
ein Abyssinier oder Chinese wäre, so würde ich mich wahrscheinlich sehr um
Englands Politik kümmern, da ich aber ein Europäer bin, thue ich es nicht."
Eine Politik, die von vorn herein das Princip der Nichtintervention aus
ihre Fahne schreibt, kann keinen Einfluß haben, mögen ihre Rathschläge noch
so wohl gemeint sein. Allerdings mag wahr sein, daß. wie Stanley in
seiner Wahlrede sagte, es noch nie eine Zeit gegeben, wo England im Aus¬
lande mit weniger Eifersucht betrachtet wurde und weniger im Verdacht
stand, heimliche Anschläge gegen die Wohlfahrt und den Frieden anderer
Staaten zu hegen: wenn er aber hinzusetzt, daß nach seiner Ansicht England
durch seine Jsolirung nicht im geringsten an Ansehen verloren, so täuscht er
sich schwer und vergißt, daß die Eifersucht, mit der ein Staat von anderen
angesehen wird, gewöhnlich in genauem Verhältniß zu seiner Größe steht.
Die Stimme des Englands der Pitt, Wellington und Canning gebot
überall Achtung, weil man hinter ihr den Entschluß wußte, eventuell dem
Rath oder der Forderung Nachdruck mit Linienschiffen zu geben; jetzt, da
diese ullius, ratio überall fehlt, wo nicht etwa englische Unterthanen brutal
verletzt sind wie in Abyssinien, hört der betreffende Minister die Rathschläge
der britischen Cabinete höflich an und thut dann was ihn gut dünkt.

Auf gleich falscher Unterlage, wie das Urtheil Stanley's über die Gegen¬
wart, scheint uns sein Prognostikon für die Zukunft zu beruhen. Er sprach
bei dem liverpooler Bankett am 22. October seine Hoffnung aus, daß die
auswärtige Politik nicht mehr einen Gegenstand der Parteikämpfe bilden
werde. Englands Politik solle sein: streng die Rechte der Schwachen wie
der Starken zu respectiren und sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu
rächen, sondern sich dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines
kompetenten Tribunals zu unterwerfen (not rsa-ämess to resout wronAS, but
to Sudan to tus äisxassionats arbitration ok sollte eompetönt tribunal).
Das ist gewiß sehr edel und menschenfreundlich gedacht, aber wenn dies
Programm praktisch werden sollte, müßte sich die menschliche Natur geändert


41'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287621"/>
          <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> gen) hätte in solchem Falle eine kategorische Note nach Athen gesandt und<lb/>
eventuell durch die Sendung einer Fregatte dem völkerrechtswidrigen Treiben<lb/>
der griechischen Regierung und den Blockadebrechern ein Ende gemacht. Lord<lb/>
Stanley dagegen beklagte sich über seinen eigenen Gesandten in Athen, Mr.<lb/>
Erskine, welcher ein Philhellene sei. aber ließ ihn ruhig dort und verschwen-<lb/>
dete seine Zeit damit, dem griechischen Ministerium Vorstellungen zu machen,<lb/>
auf welche dasselbe natürlich nicht hörte, da sein Gesandter aus London<lb/>
schrieb, daß England thatsächlich nicht interveniren werde. Wie viel Elend<lb/>
und Blutvergießen hätte hier ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert! Doch<lb/>
Stanley's Politik war rein negativ und rechtfertigt für den Augenblick bis<lb/>
zu einem gewissen Grade Graf Bismarck's schneidendes Wort: &#x201E;Wenn ich<lb/>
ein Abyssinier oder Chinese wäre, so würde ich mich wahrscheinlich sehr um<lb/>
Englands Politik kümmern, da ich aber ein Europäer bin, thue ich es nicht."<lb/>
Eine Politik, die von vorn herein das Princip der Nichtintervention aus<lb/>
ihre Fahne schreibt, kann keinen Einfluß haben, mögen ihre Rathschläge noch<lb/>
so wohl gemeint sein. Allerdings mag wahr sein, daß. wie Stanley in<lb/>
seiner Wahlrede sagte, es noch nie eine Zeit gegeben, wo England im Aus¬<lb/>
lande mit weniger Eifersucht betrachtet wurde und weniger im Verdacht<lb/>
stand, heimliche Anschläge gegen die Wohlfahrt und den Frieden anderer<lb/>
Staaten zu hegen: wenn er aber hinzusetzt, daß nach seiner Ansicht England<lb/>
durch seine Jsolirung nicht im geringsten an Ansehen verloren, so täuscht er<lb/>
sich schwer und vergißt, daß die Eifersucht, mit der ein Staat von anderen<lb/>
angesehen wird, gewöhnlich in genauem Verhältniß zu seiner Größe steht.<lb/>
Die Stimme des Englands der Pitt, Wellington und Canning gebot<lb/>
überall Achtung, weil man hinter ihr den Entschluß wußte, eventuell dem<lb/>
Rath oder der Forderung Nachdruck mit Linienschiffen zu geben; jetzt, da<lb/>
diese ullius, ratio überall fehlt, wo nicht etwa englische Unterthanen brutal<lb/>
verletzt sind wie in Abyssinien, hört der betreffende Minister die Rathschläge<lb/>
der britischen Cabinete höflich an und thut dann was ihn gut dünkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Auf gleich falscher Unterlage, wie das Urtheil Stanley's über die Gegen¬<lb/>
wart, scheint uns sein Prognostikon für die Zukunft zu beruhen. Er sprach<lb/>
bei dem liverpooler Bankett am 22. October seine Hoffnung aus, daß die<lb/>
auswärtige Politik nicht mehr einen Gegenstand der Parteikämpfe bilden<lb/>
werde. Englands Politik solle sein: streng die Rechte der Schwachen wie<lb/>
der Starken zu respectiren und sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu<lb/>
rächen, sondern sich dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines<lb/>
kompetenten Tribunals zu unterwerfen (not rsa-ämess to resout wronAS, but<lb/>
to Sudan to tus äisxassionats arbitration ok sollte eompetönt tribunal).<lb/>
Das ist gewiß sehr edel und menschenfreundlich gedacht, aber wenn dies<lb/>
Programm praktisch werden sollte, müßte sich die menschliche Natur geändert</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 41'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0349] gen) hätte in solchem Falle eine kategorische Note nach Athen gesandt und eventuell durch die Sendung einer Fregatte dem völkerrechtswidrigen Treiben der griechischen Regierung und den Blockadebrechern ein Ende gemacht. Lord Stanley dagegen beklagte sich über seinen eigenen Gesandten in Athen, Mr. Erskine, welcher ein Philhellene sei. aber ließ ihn ruhig dort und verschwen- dete seine Zeit damit, dem griechischen Ministerium Vorstellungen zu machen, auf welche dasselbe natürlich nicht hörte, da sein Gesandter aus London schrieb, daß England thatsächlich nicht interveniren werde. Wie viel Elend und Blutvergießen hätte hier ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert! Doch Stanley's Politik war rein negativ und rechtfertigt für den Augenblick bis zu einem gewissen Grade Graf Bismarck's schneidendes Wort: „Wenn ich ein Abyssinier oder Chinese wäre, so würde ich mich wahrscheinlich sehr um Englands Politik kümmern, da ich aber ein Europäer bin, thue ich es nicht." Eine Politik, die von vorn herein das Princip der Nichtintervention aus ihre Fahne schreibt, kann keinen Einfluß haben, mögen ihre Rathschläge noch so wohl gemeint sein. Allerdings mag wahr sein, daß. wie Stanley in seiner Wahlrede sagte, es noch nie eine Zeit gegeben, wo England im Aus¬ lande mit weniger Eifersucht betrachtet wurde und weniger im Verdacht stand, heimliche Anschläge gegen die Wohlfahrt und den Frieden anderer Staaten zu hegen: wenn er aber hinzusetzt, daß nach seiner Ansicht England durch seine Jsolirung nicht im geringsten an Ansehen verloren, so täuscht er sich schwer und vergißt, daß die Eifersucht, mit der ein Staat von anderen angesehen wird, gewöhnlich in genauem Verhältniß zu seiner Größe steht. Die Stimme des Englands der Pitt, Wellington und Canning gebot überall Achtung, weil man hinter ihr den Entschluß wußte, eventuell dem Rath oder der Forderung Nachdruck mit Linienschiffen zu geben; jetzt, da diese ullius, ratio überall fehlt, wo nicht etwa englische Unterthanen brutal verletzt sind wie in Abyssinien, hört der betreffende Minister die Rathschläge der britischen Cabinete höflich an und thut dann was ihn gut dünkt. Auf gleich falscher Unterlage, wie das Urtheil Stanley's über die Gegen¬ wart, scheint uns sein Prognostikon für die Zukunft zu beruhen. Er sprach bei dem liverpooler Bankett am 22. October seine Hoffnung aus, daß die auswärtige Politik nicht mehr einen Gegenstand der Parteikämpfe bilden werde. Englands Politik solle sein: streng die Rechte der Schwachen wie der Starken zu respectiren und sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu rächen, sondern sich dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines kompetenten Tribunals zu unterwerfen (not rsa-ämess to resout wronAS, but to Sudan to tus äisxassionats arbitration ok sollte eompetönt tribunal). Das ist gewiß sehr edel und menschenfreundlich gedacht, aber wenn dies Programm praktisch werden sollte, müßte sich die menschliche Natur geändert 41'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/349
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/349>, abgerufen am 05.02.2025.