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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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haben. Der radicale Irrthum bei dieser Auffassung ist, daß man den Fall
eines Schiedsrichterspruchs in Privatangelegenheiten mit dem in internatio¬
nalen Fragen gleichstellt, während beide vollständig verschieden sind. Wenn
zwei Privatleute mit einander streiten und sich einem Schtedrichterspruch
nicht unterwerfen wollen, so ist ein Gerichtshof da, an den sie sich wenden
können, und der die Macht hat ihren Proceß zu entscheiden. Derselbe Gerichts¬
hof nöthigt beide Parteien, auch wenn sie einMl erklärt haben, den Schieds¬
spruch annehmen zu wollen, sich demselben zu unterwerfen und ihn auszu¬
führen. Wo aber ist in internationalen Fragen ein solches Tribunal?
Wenn zwei Staaten übereinkommen, ihren Streit vor einen Schiedsrichter
zu bringen, und der Ausspruch desselben dem einen so ungerecht dünkt, daß
er sich weigert ihn zu vollziehen, was bleibt dem anderen übrig als zu¬
zusehen oder mit den Waffen in der Hand zu zwingen? -- Ein Schieds¬
richterspruch zwischen Nationen entspricht also nicht dem im Privatleben,
sondern steht auf diesem Gebiet gleich mit dem Versuch einer außergericht¬
lichen freundlichen Ausgleichung; gelingt eine solche nicht, so wenden sich die
Privaten an den Richter, wenn sie ihre Ansprüche durchsetzen wollen, und
ebenso greifen zwei Regierungen wenn sie sich einem Schiedsspruch nicht
unterwerfen wollen und ihre Ansprüche geltend zu machen entschlossen sind,
zu den Waffen: der Krieg ist der Proceß der Nationen und wird es bleiben,
so lange das tausendjährige Reich des ewigen Friedens noch nicht ange¬
brochen ist. Alle Bestrebungen sollten darauf gerichtet sein, die Kriege seltener,
kürzer und in ihren Mitteln menschlicher zu machen; die genfer Convention,
die Bestrebungen das Prtvateigenthum zur See frei zu machen, haben mehr
für das Wohl der Nationen gethan, als die Deklamationen der Friedens-
congresse. In dieser Hinsicht ist es auch immer anerkennenswert!), wenn
ein großer Staat sich in einer großen Frage einem Schiedsrichterspruch
unterwirft, aber man soll nur nicht glauben, daß dadurch der Krieg
selbst beseitigt werde. Wo die Ehre und Unabhängigkeit einer Nation in
Frage kommen, da wird sie sich keinem Schiedsspruch unterwerfen, sondern
ihr Recht auf jede Weise durchzusetzen suchen, gerade wie ein Privatmann,
den ein anderer eines Verbrechens angeklagt, keine freundschaftliche Verstän¬
digung darüber vorschlägt, ob er schuldig oder unschuldig sei, sondern, wenn
er sich ungerecht verletzt fühlt, eine kategorische Erklärung des Gerichtes ver¬
langt. Wenn England jetzt zustimmt die Schadenssorderungen der Ameri¬
kaner wegen der Alabama dem Schiedssprüche des Königs von Preußen zu
unterwerfen, dieser für Amerika entscheidet und England sich demzufolge ent¬
schließt eine große Summe zu zahlen, so beweist das nichts weiter, als daß
es mehr in seinem Interesse erachtet, ein Opfer zu bringen, als eine
Differenz bestehen zu lassen, welche zum Kriege führen könnte. Als aber die


haben. Der radicale Irrthum bei dieser Auffassung ist, daß man den Fall
eines Schiedsrichterspruchs in Privatangelegenheiten mit dem in internatio¬
nalen Fragen gleichstellt, während beide vollständig verschieden sind. Wenn
zwei Privatleute mit einander streiten und sich einem Schtedrichterspruch
nicht unterwerfen wollen, so ist ein Gerichtshof da, an den sie sich wenden
können, und der die Macht hat ihren Proceß zu entscheiden. Derselbe Gerichts¬
hof nöthigt beide Parteien, auch wenn sie einMl erklärt haben, den Schieds¬
spruch annehmen zu wollen, sich demselben zu unterwerfen und ihn auszu¬
führen. Wo aber ist in internationalen Fragen ein solches Tribunal?
Wenn zwei Staaten übereinkommen, ihren Streit vor einen Schiedsrichter
zu bringen, und der Ausspruch desselben dem einen so ungerecht dünkt, daß
er sich weigert ihn zu vollziehen, was bleibt dem anderen übrig als zu¬
zusehen oder mit den Waffen in der Hand zu zwingen? — Ein Schieds¬
richterspruch zwischen Nationen entspricht also nicht dem im Privatleben,
sondern steht auf diesem Gebiet gleich mit dem Versuch einer außergericht¬
lichen freundlichen Ausgleichung; gelingt eine solche nicht, so wenden sich die
Privaten an den Richter, wenn sie ihre Ansprüche durchsetzen wollen, und
ebenso greifen zwei Regierungen wenn sie sich einem Schiedsspruch nicht
unterwerfen wollen und ihre Ansprüche geltend zu machen entschlossen sind,
zu den Waffen: der Krieg ist der Proceß der Nationen und wird es bleiben,
so lange das tausendjährige Reich des ewigen Friedens noch nicht ange¬
brochen ist. Alle Bestrebungen sollten darauf gerichtet sein, die Kriege seltener,
kürzer und in ihren Mitteln menschlicher zu machen; die genfer Convention,
die Bestrebungen das Prtvateigenthum zur See frei zu machen, haben mehr
für das Wohl der Nationen gethan, als die Deklamationen der Friedens-
congresse. In dieser Hinsicht ist es auch immer anerkennenswert!), wenn
ein großer Staat sich in einer großen Frage einem Schiedsrichterspruch
unterwirft, aber man soll nur nicht glauben, daß dadurch der Krieg
selbst beseitigt werde. Wo die Ehre und Unabhängigkeit einer Nation in
Frage kommen, da wird sie sich keinem Schiedsspruch unterwerfen, sondern
ihr Recht auf jede Weise durchzusetzen suchen, gerade wie ein Privatmann,
den ein anderer eines Verbrechens angeklagt, keine freundschaftliche Verstän¬
digung darüber vorschlägt, ob er schuldig oder unschuldig sei, sondern, wenn
er sich ungerecht verletzt fühlt, eine kategorische Erklärung des Gerichtes ver¬
langt. Wenn England jetzt zustimmt die Schadenssorderungen der Ameri¬
kaner wegen der Alabama dem Schiedssprüche des Königs von Preußen zu
unterwerfen, dieser für Amerika entscheidet und England sich demzufolge ent¬
schließt eine große Summe zu zahlen, so beweist das nichts weiter, als daß
es mehr in seinem Interesse erachtet, ein Opfer zu bringen, als eine
Differenz bestehen zu lassen, welche zum Kriege führen könnte. Als aber die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/350>, abgerufen am 05.02.2025.