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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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hier in der That eine sehr geringe' gewesen. Lord Stanley ist allerdings
ein zu nüchterner Kops, um eine Konferenz ohne feste Präliminarien zu be¬
treiben, wie Lord Russell es im Frühjahr 1864 in der Schleswig-holsteinischen
Sache that; er erklärte von vorn herein, daß eine europäische Conferenz den
Frieden nicht bewahren könne, so lange nicht Frankreich und Preußen eine
gemeinsame Basis acceptirt hätten. Daß eine solche in der Räumung und
Neutralistrung Luxemburgs gefunden ward, ist nicht sein Werk, sondern
wesentlich das des englischen Botschafters in Paris, Lord Cooley, des fran-
zösischen Botschafters in London, Fürsten Latour d'Auvergne, und des Fürsten
Gortschakoff. Der Kaiser Napoleon, welcher sich, mangelhaft gerüstet wie er
war, in größter Verlegenheit befand und nach einem ehrenvollen Rückzug
suchte, berief Lord Cooley zu sich und bat ihn, die Vermittlung seiner Re¬
gierung anzuregen. Ob die Idee der Neutralistrung zuerst vom Kaiser selbst
ausgesprochen, ob sie von Cooley oder von Latour auss Tapet gebracht wurde,
ist uns nicht bekannt, aber sicher ist, daß sie nicht von Stanley ausging,
der vielmehr zunächst noch ablehnte darauf einzugehen; erst nachdem Fürst
Gortschakoff sie acceptirte und seinen ganzen Einfluß aufbot, ihr in Berlin
Eingang zu verschaffen, ließ er sich von dem unablässig treibenden Fürsten
Latour und von Cooley bewegen, sie auch seinerseits zu empfehlen. Aber selbst
dann sträubte er sich bis zum letzten Augenblick dagegen, England der Col¬
lectivgarantie für die Neutralität beitreten zu lassen, und erst als Graf Bern-
storff im Auftrage seiner Negierung bestimmt erklärte, daß für Preußen die
Garantie sämmtlicher Großmächte conüitio sine yua von des Nachgebens sei
und daß es im Weigerungsfalle seinerseits zu Rüstungen schreiten müsse, gab er
nach, um dann, nachdem kaum die Tinte trocken geworden, mit welcher der
Vertrag unterzeichnet war, dem Parlament zu erklären, daß man mit der Col-
lectivgarantie eigentlich gar keine Verpflichtung übernommen habe, und wenn
nicht alle Großmächte einig seien, England sich nicht zu rühren brauche, die
Neutralität Luxemburgs zu vertheidigen. Wenn das Interesse an auswärtiger
Politik nicht so gering im großen englischen Publieum wäre, so dürfte
schwerlich Disraeli in jeder Tischrede die Verdienste Stanley's in dieser
Frage preisen. Ebensowenig hat der Lord in anderen europäischen Angelegen¬
heiten den Einfluß Englands geltend gemacht. Nirgend war dies dringender
geboten, als bei dem candiotischen Aufstand. Der Minister erkannte freilich
mit richtigem Blick, daß derselbe lediglich von Griechenland und von russischen
Agenten angezettelt sei, und ließ sich darin weder durch die Versicherungen
des Baron Brünnow über das "ä6Link6r"W6mL"t as son auZustö ma!ers",
noch durch die Schlangenwindungen der französischen Politik, wskhe damals
Rußland zu gewinnen suchte, täuschen. Aber er blieb vollständig unthätig;
Lord Palmerston (um von Männern wie Pitt und Canning ganz zu schwei-


hier in der That eine sehr geringe' gewesen. Lord Stanley ist allerdings
ein zu nüchterner Kops, um eine Konferenz ohne feste Präliminarien zu be¬
treiben, wie Lord Russell es im Frühjahr 1864 in der Schleswig-holsteinischen
Sache that; er erklärte von vorn herein, daß eine europäische Conferenz den
Frieden nicht bewahren könne, so lange nicht Frankreich und Preußen eine
gemeinsame Basis acceptirt hätten. Daß eine solche in der Räumung und
Neutralistrung Luxemburgs gefunden ward, ist nicht sein Werk, sondern
wesentlich das des englischen Botschafters in Paris, Lord Cooley, des fran-
zösischen Botschafters in London, Fürsten Latour d'Auvergne, und des Fürsten
Gortschakoff. Der Kaiser Napoleon, welcher sich, mangelhaft gerüstet wie er
war, in größter Verlegenheit befand und nach einem ehrenvollen Rückzug
suchte, berief Lord Cooley zu sich und bat ihn, die Vermittlung seiner Re¬
gierung anzuregen. Ob die Idee der Neutralistrung zuerst vom Kaiser selbst
ausgesprochen, ob sie von Cooley oder von Latour auss Tapet gebracht wurde,
ist uns nicht bekannt, aber sicher ist, daß sie nicht von Stanley ausging,
der vielmehr zunächst noch ablehnte darauf einzugehen; erst nachdem Fürst
Gortschakoff sie acceptirte und seinen ganzen Einfluß aufbot, ihr in Berlin
Eingang zu verschaffen, ließ er sich von dem unablässig treibenden Fürsten
Latour und von Cooley bewegen, sie auch seinerseits zu empfehlen. Aber selbst
dann sträubte er sich bis zum letzten Augenblick dagegen, England der Col¬
lectivgarantie für die Neutralität beitreten zu lassen, und erst als Graf Bern-
storff im Auftrage seiner Negierung bestimmt erklärte, daß für Preußen die
Garantie sämmtlicher Großmächte conüitio sine yua von des Nachgebens sei
und daß es im Weigerungsfalle seinerseits zu Rüstungen schreiten müsse, gab er
nach, um dann, nachdem kaum die Tinte trocken geworden, mit welcher der
Vertrag unterzeichnet war, dem Parlament zu erklären, daß man mit der Col-
lectivgarantie eigentlich gar keine Verpflichtung übernommen habe, und wenn
nicht alle Großmächte einig seien, England sich nicht zu rühren brauche, die
Neutralität Luxemburgs zu vertheidigen. Wenn das Interesse an auswärtiger
Politik nicht so gering im großen englischen Publieum wäre, so dürfte
schwerlich Disraeli in jeder Tischrede die Verdienste Stanley's in dieser
Frage preisen. Ebensowenig hat der Lord in anderen europäischen Angelegen¬
heiten den Einfluß Englands geltend gemacht. Nirgend war dies dringender
geboten, als bei dem candiotischen Aufstand. Der Minister erkannte freilich
mit richtigem Blick, daß derselbe lediglich von Griechenland und von russischen
Agenten angezettelt sei, und ließ sich darin weder durch die Versicherungen
des Baron Brünnow über das „ä6Link6r«W6mL»t as son auZustö ma!ers",
noch durch die Schlangenwindungen der französischen Politik, wskhe damals
Rußland zu gewinnen suchte, täuschen. Aber er blieb vollständig unthätig;
Lord Palmerston (um von Männern wie Pitt und Canning ganz zu schwei-


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[0348] hier in der That eine sehr geringe' gewesen. Lord Stanley ist allerdings ein zu nüchterner Kops, um eine Konferenz ohne feste Präliminarien zu be¬ treiben, wie Lord Russell es im Frühjahr 1864 in der Schleswig-holsteinischen Sache that; er erklärte von vorn herein, daß eine europäische Conferenz den Frieden nicht bewahren könne, so lange nicht Frankreich und Preußen eine gemeinsame Basis acceptirt hätten. Daß eine solche in der Räumung und Neutralistrung Luxemburgs gefunden ward, ist nicht sein Werk, sondern wesentlich das des englischen Botschafters in Paris, Lord Cooley, des fran- zösischen Botschafters in London, Fürsten Latour d'Auvergne, und des Fürsten Gortschakoff. Der Kaiser Napoleon, welcher sich, mangelhaft gerüstet wie er war, in größter Verlegenheit befand und nach einem ehrenvollen Rückzug suchte, berief Lord Cooley zu sich und bat ihn, die Vermittlung seiner Re¬ gierung anzuregen. Ob die Idee der Neutralistrung zuerst vom Kaiser selbst ausgesprochen, ob sie von Cooley oder von Latour auss Tapet gebracht wurde, ist uns nicht bekannt, aber sicher ist, daß sie nicht von Stanley ausging, der vielmehr zunächst noch ablehnte darauf einzugehen; erst nachdem Fürst Gortschakoff sie acceptirte und seinen ganzen Einfluß aufbot, ihr in Berlin Eingang zu verschaffen, ließ er sich von dem unablässig treibenden Fürsten Latour und von Cooley bewegen, sie auch seinerseits zu empfehlen. Aber selbst dann sträubte er sich bis zum letzten Augenblick dagegen, England der Col¬ lectivgarantie für die Neutralität beitreten zu lassen, und erst als Graf Bern- storff im Auftrage seiner Negierung bestimmt erklärte, daß für Preußen die Garantie sämmtlicher Großmächte conüitio sine yua von des Nachgebens sei und daß es im Weigerungsfalle seinerseits zu Rüstungen schreiten müsse, gab er nach, um dann, nachdem kaum die Tinte trocken geworden, mit welcher der Vertrag unterzeichnet war, dem Parlament zu erklären, daß man mit der Col- lectivgarantie eigentlich gar keine Verpflichtung übernommen habe, und wenn nicht alle Großmächte einig seien, England sich nicht zu rühren brauche, die Neutralität Luxemburgs zu vertheidigen. Wenn das Interesse an auswärtiger Politik nicht so gering im großen englischen Publieum wäre, so dürfte schwerlich Disraeli in jeder Tischrede die Verdienste Stanley's in dieser Frage preisen. Ebensowenig hat der Lord in anderen europäischen Angelegen¬ heiten den Einfluß Englands geltend gemacht. Nirgend war dies dringender geboten, als bei dem candiotischen Aufstand. Der Minister erkannte freilich mit richtigem Blick, daß derselbe lediglich von Griechenland und von russischen Agenten angezettelt sei, und ließ sich darin weder durch die Versicherungen des Baron Brünnow über das „ä6Link6r«W6mL»t as son auZustö ma!ers", noch durch die Schlangenwindungen der französischen Politik, wskhe damals Rußland zu gewinnen suchte, täuschen. Aber er blieb vollständig unthätig; Lord Palmerston (um von Männern wie Pitt und Canning ganz zu schwei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/348>, abgerufen am 05.02.2025.