Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.ein Richtercollegium letzter Instanz zogen sie unter dem Titel der Verfassungs¬ Die Zähigkeit, mit welcher an einer so unheilvollen Verfassung festge¬ Daß es unter Verhältnissen so widersinniger Art zum Bruch kommen ein Richtercollegium letzter Instanz zogen sie unter dem Titel der Verfassungs¬ Die Zähigkeit, mit welcher an einer so unheilvollen Verfassung festge¬ Daß es unter Verhältnissen so widersinniger Art zum Bruch kommen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287615"/> <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> ein Richtercollegium letzter Instanz zogen sie unter dem Titel der Verfassungs¬<lb/> verletzung alle möglichen Dinge vor ihr Forum; es gab Nichts, mit dem<lb/> ein eifriger Antragsteller sie nicht behelligen konnte. Da aber aus dieser<lb/> unsinnigen Vielgeschäftigkeit sich Nichts ergeben konnte, als ein unendliches<lb/> Gerede mit viel geschäftigen Resolutionen und ohnmächtigen Decreten, so mußte<lb/> die Lähmung der konstitutionellen Maschinerie das nothwendige Resultat sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_877"> Die Zähigkeit, mit welcher an einer so unheilvollen Verfassung festge¬<lb/> halten, die blinde Vorliebe, mit welcher der „heilige Codex" zum Gegenstande<lb/> eines besonderen Cultus gemacht wurde, hätte zu einem Zusammensturz des<lb/> constitutionellen Gebäudes führen müssen, auch wenn dasselbe auf solideren<lb/> Grundlagen als den thatsächlich in Spanien vorhandenen geruht hätte. Die Exal-<lb/> tados waren schon bei der Eröffnung der Versammlung mittelst ihrer Clubbs<lb/> die Herren der Situation und der Stimmung in den Städten und unter den<lb/> gebildeten Mittelclassen geworden; der Götzendienst, den das Ausland mit<lb/> ihrer Art der Verfassungsauslegung trieb, der Umstand, daß diese Verfassung<lb/> im Juli 1820 in Neapel nach dem Siege der Revolution proclamirt worden<lb/> war, steigerte ihren Einfluß ins Maßlose und verleitete sie zu dem Irr-<lb/> wahne, hinter ihnen stehe das gesammte spanische Volk. Und zu derselben<lb/> Zeit, da sie die maßvollen Minister,terrorisirten und unter ihre unbedingte<lb/> Abhängigkeit zu bringen suchten, war das Werk der Contrerevolution bereits<lb/> im Gange, conspirirte der König mit unzufriedenen Royalisten der Armee<lb/> und Garde, durchzogen die Vorboten und Kreuzprediger der neuen „Glau¬<lb/> bensarmee" bereits das Land, um die durch den Clerus beherrschte ländliche<lb/> Bevölkerung im Voraus auf die Seite des Königs zu ziehen, dessen Anti¬<lb/> pathien gegen das herrschende System und dessen Vertreter (Argüelles und<lb/> ein Theil seiner Collegen waren die ersten Opfer der Reaction von 1814<lb/> gewesen und hatten Jahre lang ohne Verhör im Kerker geschmachtet) den<lb/> Eingeweihten trotz aller bourbonischen Verstellungskniffe niemals zweifelhaft<lb/> gewesen waren. Zu diesen Partetwirren, die bald in einen Bürgerkrieg aus¬<lb/> arten, den der in seiner Machtstellung bedrohte Clerus direct. die Ma߬<lb/> losigkeit der Radicalen tndirect nährt, kommen die Uebel einer Armee, die<lb/> aller Disciplin entbehrt, in der politische Gegensätze alle Bande der<lb/> Zucht gelöst haben und die außerdem nicht regelmäßig bezahlt wird,<lb/> einer zusammenhangslosen, von Provincial-Junten und Clubbs beherrsch¬<lb/> ten Administration, eines leeren Staatsschatzes, auf welchem die Forderungen<lb/> zahlloser Pensionäre aller Parteien lasten und völligen Darniederliegens<lb/> der materiellen Interessen. Der Credit ist so tief gesunken, daß sich weder<lb/> im Inlande noch im Auslande auch nur zu den höchsten Zinsen An¬<lb/> leihen abschließen lassen, wie sie dem Umfang der Finanznoth entsprechen:<lb/> im Rechnungsjahr 1820 betrug die Summe der angeschlagenen Staatsein¬<lb/> nahmen (die in ihrem vollen Betrage noch niemals eingelaufen waren) 460<lb/> Millionen Realen, die der fälligen Zinsen der Staatsschulden 233, nach einer<lb/> anderen Berechnung gar 252 Millionen — außerdem war noch ein Deficit<lb/> von 200 Millionen aus der Zeit der absolutistischen Wirthschaft herüberge¬<lb/> nommen werden. Die Armee allein kostete nach dem Anschlag des Finanz.<lb/> Ministers Canga mehr, als der Staat im günstigsten Falle überhaupt einnahm!'</p><lb/> <p xml:id="ID_878" next="#ID_879"> Daß es unter Verhältnissen so widersinniger Art zum Bruch kommen<lb/> Muß. daß dieser Bruch bei den bekannten Antipathien Frankreichs und Ru߬<lb/> lands gegen die Constitution von 1812 dem Absolutismus zum Siege und<lb/> Frankreich zu der längst gewünschten Intervention verhelfen muß. weiß der<lb/> Leser schon, wenn er das erste Dritttheil der vorliegenden zweiten Halbbandes<lb/> hinter sich hat. Der Gegensatz zwischen dem Hos und den Exaltados, welche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
ein Richtercollegium letzter Instanz zogen sie unter dem Titel der Verfassungs¬
verletzung alle möglichen Dinge vor ihr Forum; es gab Nichts, mit dem
ein eifriger Antragsteller sie nicht behelligen konnte. Da aber aus dieser
unsinnigen Vielgeschäftigkeit sich Nichts ergeben konnte, als ein unendliches
Gerede mit viel geschäftigen Resolutionen und ohnmächtigen Decreten, so mußte
die Lähmung der konstitutionellen Maschinerie das nothwendige Resultat sein."
Die Zähigkeit, mit welcher an einer so unheilvollen Verfassung festge¬
halten, die blinde Vorliebe, mit welcher der „heilige Codex" zum Gegenstande
eines besonderen Cultus gemacht wurde, hätte zu einem Zusammensturz des
constitutionellen Gebäudes führen müssen, auch wenn dasselbe auf solideren
Grundlagen als den thatsächlich in Spanien vorhandenen geruht hätte. Die Exal-
tados waren schon bei der Eröffnung der Versammlung mittelst ihrer Clubbs
die Herren der Situation und der Stimmung in den Städten und unter den
gebildeten Mittelclassen geworden; der Götzendienst, den das Ausland mit
ihrer Art der Verfassungsauslegung trieb, der Umstand, daß diese Verfassung
im Juli 1820 in Neapel nach dem Siege der Revolution proclamirt worden
war, steigerte ihren Einfluß ins Maßlose und verleitete sie zu dem Irr-
wahne, hinter ihnen stehe das gesammte spanische Volk. Und zu derselben
Zeit, da sie die maßvollen Minister,terrorisirten und unter ihre unbedingte
Abhängigkeit zu bringen suchten, war das Werk der Contrerevolution bereits
im Gange, conspirirte der König mit unzufriedenen Royalisten der Armee
und Garde, durchzogen die Vorboten und Kreuzprediger der neuen „Glau¬
bensarmee" bereits das Land, um die durch den Clerus beherrschte ländliche
Bevölkerung im Voraus auf die Seite des Königs zu ziehen, dessen Anti¬
pathien gegen das herrschende System und dessen Vertreter (Argüelles und
ein Theil seiner Collegen waren die ersten Opfer der Reaction von 1814
gewesen und hatten Jahre lang ohne Verhör im Kerker geschmachtet) den
Eingeweihten trotz aller bourbonischen Verstellungskniffe niemals zweifelhaft
gewesen waren. Zu diesen Partetwirren, die bald in einen Bürgerkrieg aus¬
arten, den der in seiner Machtstellung bedrohte Clerus direct. die Ma߬
losigkeit der Radicalen tndirect nährt, kommen die Uebel einer Armee, die
aller Disciplin entbehrt, in der politische Gegensätze alle Bande der
Zucht gelöst haben und die außerdem nicht regelmäßig bezahlt wird,
einer zusammenhangslosen, von Provincial-Junten und Clubbs beherrsch¬
ten Administration, eines leeren Staatsschatzes, auf welchem die Forderungen
zahlloser Pensionäre aller Parteien lasten und völligen Darniederliegens
der materiellen Interessen. Der Credit ist so tief gesunken, daß sich weder
im Inlande noch im Auslande auch nur zu den höchsten Zinsen An¬
leihen abschließen lassen, wie sie dem Umfang der Finanznoth entsprechen:
im Rechnungsjahr 1820 betrug die Summe der angeschlagenen Staatsein¬
nahmen (die in ihrem vollen Betrage noch niemals eingelaufen waren) 460
Millionen Realen, die der fälligen Zinsen der Staatsschulden 233, nach einer
anderen Berechnung gar 252 Millionen — außerdem war noch ein Deficit
von 200 Millionen aus der Zeit der absolutistischen Wirthschaft herüberge¬
nommen werden. Die Armee allein kostete nach dem Anschlag des Finanz.
Ministers Canga mehr, als der Staat im günstigsten Falle überhaupt einnahm!'
Daß es unter Verhältnissen so widersinniger Art zum Bruch kommen
Muß. daß dieser Bruch bei den bekannten Antipathien Frankreichs und Ru߬
lands gegen die Constitution von 1812 dem Absolutismus zum Siege und
Frankreich zu der längst gewünschten Intervention verhelfen muß. weiß der
Leser schon, wenn er das erste Dritttheil der vorliegenden zweiten Halbbandes
hinter sich hat. Der Gegensatz zwischen dem Hos und den Exaltados, welche
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |