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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Gesetzentwurf gestellt wird, sie von'keinerlei in der Regierung etwa sich
geltend machenden clericalen Einflüssen berührt werden kann. Ebenso über¬
trieben ist die vorgebliche Angst, die protestantischen Schulen würden hinter
den katholischen zurückbleiben; das war nie der Fall und kann es nie sein,
und daß Herr v. Tisza zu einer solchen Waffe greifen muß, beweist nur,
Wie wenig haltbar ihm selbst diesmal seine Sache erscheint. Wenn schließlich
der protestantische Glaubenseifer betont wird, den die Jugend aus dem Schul¬
unterricht schöpfen soll, so möchte ich dagegen mit einem unserer hervorra¬
gendsten protestantischen Publicisten bemerken: "durch die Idee der Gemeinde¬
schule wird wenigstens der Anfang, dazu gemacht, von den Schultern unserer
Kirche endlich eine Last zu nehmen, die ihr als Kirche eigentlich nicht zukommt
und die sie bis jetzt bedauerlich genug daran gehindert hat, ihre ganze Kraft
dem Erblühen ihres inneren Glaubenslebens, der Errichtung wohlthätiger
Anstalten zuzuwenden." Ja, der Führer unserer Linken mag sich dagegen
wehren so viel er will, es bleibt doch wahr: die confessionelle Schule diente
den Protestanten in vergangenen Tagen als Schutzmauer, unter den gegen¬
wärtigen staatlichen und kirchlichen Verhältnissen hat sie nur mehr die Be¬
deutung einer chinesischen Mauer. Das ist so wahr, daß unter den Ver¬
trauensmännern, die auf Empfehlung der Kirchenobern von der das Schul¬
gesetz berathenden Reichstagscommission zum Abgeben ihrer Voden eingeladen
wurden, die protestantischen Geistlichen nur theilweise, die katholischen da¬
gegen insgesammt sür Tisza's Ansicht gestimmt haben, eine Thatsache, die
Wohl am besten Herr v. Tisza darüber belehren könnte, wie wenig Hoffnung
die katholische Kirche hat, durch das Eötoös'sche Schulgesetz ein Uebergewicht
über die protestantische Kirche zu gewinnen.

Vollends fällt Herr v. Tisza aus der Rolle eines Führers der Linken,
wenn er stets von Neuem frägt, woher der Cultusminister die Millionen
nehmen wird, die sein Neformationsplan in Anspruch nimmt. Ganz ab¬
gesehen davon, daß die von Tisza gewünschte Unterstützung der konfessio¬
nellen Schulen von Seite des Staats keine besondere Schonung des Staats¬
säckels verräth, so darf es sicher als seltene Erscheinung im parlamentarischen
Leben verzeichnet werden, daß im Unterhause dem Ministerium vorgeworfen
wird, es verlange zu viel für den Unterricht und daß dieser Vorwurf von
den angeblich fortgeschrittenen Liberalen ausgeht. Baron Eötvös feiert da
einen Triumph, auf den er zwar lieber verzichtet hätte, den ihm aber die
vaterländische Geschichte gewiß zum größten Ruhm anrechnen wird. Dem
ruhigen klaren Denker, der seit Decennien über den Unterrichtsplan mit sich
zu Rathe geht, wird entgegengehalten, daß er die Frage überstürzt, sich Jllu-
sionen hingibt und mit seinen idealen Ansichten Bestehendes niederreißt ehe
er Neues aufbaut, wird ihm von Solchen entgegengehalten, deren Politik seit


Gesetzentwurf gestellt wird, sie von'keinerlei in der Regierung etwa sich
geltend machenden clericalen Einflüssen berührt werden kann. Ebenso über¬
trieben ist die vorgebliche Angst, die protestantischen Schulen würden hinter
den katholischen zurückbleiben; das war nie der Fall und kann es nie sein,
und daß Herr v. Tisza zu einer solchen Waffe greifen muß, beweist nur,
Wie wenig haltbar ihm selbst diesmal seine Sache erscheint. Wenn schließlich
der protestantische Glaubenseifer betont wird, den die Jugend aus dem Schul¬
unterricht schöpfen soll, so möchte ich dagegen mit einem unserer hervorra¬
gendsten protestantischen Publicisten bemerken: „durch die Idee der Gemeinde¬
schule wird wenigstens der Anfang, dazu gemacht, von den Schultern unserer
Kirche endlich eine Last zu nehmen, die ihr als Kirche eigentlich nicht zukommt
und die sie bis jetzt bedauerlich genug daran gehindert hat, ihre ganze Kraft
dem Erblühen ihres inneren Glaubenslebens, der Errichtung wohlthätiger
Anstalten zuzuwenden." Ja, der Führer unserer Linken mag sich dagegen
wehren so viel er will, es bleibt doch wahr: die confessionelle Schule diente
den Protestanten in vergangenen Tagen als Schutzmauer, unter den gegen¬
wärtigen staatlichen und kirchlichen Verhältnissen hat sie nur mehr die Be¬
deutung einer chinesischen Mauer. Das ist so wahr, daß unter den Ver¬
trauensmännern, die auf Empfehlung der Kirchenobern von der das Schul¬
gesetz berathenden Reichstagscommission zum Abgeben ihrer Voden eingeladen
wurden, die protestantischen Geistlichen nur theilweise, die katholischen da¬
gegen insgesammt sür Tisza's Ansicht gestimmt haben, eine Thatsache, die
Wohl am besten Herr v. Tisza darüber belehren könnte, wie wenig Hoffnung
die katholische Kirche hat, durch das Eötoös'sche Schulgesetz ein Uebergewicht
über die protestantische Kirche zu gewinnen.

Vollends fällt Herr v. Tisza aus der Rolle eines Führers der Linken,
wenn er stets von Neuem frägt, woher der Cultusminister die Millionen
nehmen wird, die sein Neformationsplan in Anspruch nimmt. Ganz ab¬
gesehen davon, daß die von Tisza gewünschte Unterstützung der konfessio¬
nellen Schulen von Seite des Staats keine besondere Schonung des Staats¬
säckels verräth, so darf es sicher als seltene Erscheinung im parlamentarischen
Leben verzeichnet werden, daß im Unterhause dem Ministerium vorgeworfen
wird, es verlange zu viel für den Unterricht und daß dieser Vorwurf von
den angeblich fortgeschrittenen Liberalen ausgeht. Baron Eötvös feiert da
einen Triumph, auf den er zwar lieber verzichtet hätte, den ihm aber die
vaterländische Geschichte gewiß zum größten Ruhm anrechnen wird. Dem
ruhigen klaren Denker, der seit Decennien über den Unterrichtsplan mit sich
zu Rathe geht, wird entgegengehalten, daß er die Frage überstürzt, sich Jllu-
sionen hingibt und mit seinen idealen Ansichten Bestehendes niederreißt ehe
er Neues aufbaut, wird ihm von Solchen entgegengehalten, deren Politik seit


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[0299] Gesetzentwurf gestellt wird, sie von'keinerlei in der Regierung etwa sich geltend machenden clericalen Einflüssen berührt werden kann. Ebenso über¬ trieben ist die vorgebliche Angst, die protestantischen Schulen würden hinter den katholischen zurückbleiben; das war nie der Fall und kann es nie sein, und daß Herr v. Tisza zu einer solchen Waffe greifen muß, beweist nur, Wie wenig haltbar ihm selbst diesmal seine Sache erscheint. Wenn schließlich der protestantische Glaubenseifer betont wird, den die Jugend aus dem Schul¬ unterricht schöpfen soll, so möchte ich dagegen mit einem unserer hervorra¬ gendsten protestantischen Publicisten bemerken: „durch die Idee der Gemeinde¬ schule wird wenigstens der Anfang, dazu gemacht, von den Schultern unserer Kirche endlich eine Last zu nehmen, die ihr als Kirche eigentlich nicht zukommt und die sie bis jetzt bedauerlich genug daran gehindert hat, ihre ganze Kraft dem Erblühen ihres inneren Glaubenslebens, der Errichtung wohlthätiger Anstalten zuzuwenden." Ja, der Führer unserer Linken mag sich dagegen wehren so viel er will, es bleibt doch wahr: die confessionelle Schule diente den Protestanten in vergangenen Tagen als Schutzmauer, unter den gegen¬ wärtigen staatlichen und kirchlichen Verhältnissen hat sie nur mehr die Be¬ deutung einer chinesischen Mauer. Das ist so wahr, daß unter den Ver¬ trauensmännern, die auf Empfehlung der Kirchenobern von der das Schul¬ gesetz berathenden Reichstagscommission zum Abgeben ihrer Voden eingeladen wurden, die protestantischen Geistlichen nur theilweise, die katholischen da¬ gegen insgesammt sür Tisza's Ansicht gestimmt haben, eine Thatsache, die Wohl am besten Herr v. Tisza darüber belehren könnte, wie wenig Hoffnung die katholische Kirche hat, durch das Eötoös'sche Schulgesetz ein Uebergewicht über die protestantische Kirche zu gewinnen. Vollends fällt Herr v. Tisza aus der Rolle eines Führers der Linken, wenn er stets von Neuem frägt, woher der Cultusminister die Millionen nehmen wird, die sein Neformationsplan in Anspruch nimmt. Ganz ab¬ gesehen davon, daß die von Tisza gewünschte Unterstützung der konfessio¬ nellen Schulen von Seite des Staats keine besondere Schonung des Staats¬ säckels verräth, so darf es sicher als seltene Erscheinung im parlamentarischen Leben verzeichnet werden, daß im Unterhause dem Ministerium vorgeworfen wird, es verlange zu viel für den Unterricht und daß dieser Vorwurf von den angeblich fortgeschrittenen Liberalen ausgeht. Baron Eötvös feiert da einen Triumph, auf den er zwar lieber verzichtet hätte, den ihm aber die vaterländische Geschichte gewiß zum größten Ruhm anrechnen wird. Dem ruhigen klaren Denker, der seit Decennien über den Unterrichtsplan mit sich zu Rathe geht, wird entgegengehalten, daß er die Frage überstürzt, sich Jllu- sionen hingibt und mit seinen idealen Ansichten Bestehendes niederreißt ehe er Neues aufbaut, wird ihm von Solchen entgegengehalten, deren Politik seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/299>, abgerufen am 05.02.2025.