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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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zählte mir einmal ein belgischer Reisender, daß man in Prag drei verschiedene
Sprachen spreche: deutsch, slavisch und böhmisch. Wie das Letzte klingt, war
ihm nicht recht erinnerlich.

Hier in Königgrätz giebt es czechische Lehranstalten für 1600 Musensöhne.
Auf dem Gymnasium, dem Obergymnasium und im Seminar wird jeder Un¬
terrichtsgegenstand, so gut es eben geht, in der Sprache Palatzky's vorgetra¬
gen. Der Aufschwung, den die czechische Cultur genommen, wurde mir auf
Grund der 1600 mit schreienden Farben ausgemalt. Fragte ich nach den
lebendigen Blüthen und Früchten czechischen Geistes, so wies man auf die
politischen Zeitungen, die illustrirten politischen Witzblätter, auf ein ange¬
fangenes neues Wörterbuch oder auf die archäologischen Arbeiten des Prof.
Wack hin. Auch sollen die wandernden Schauspieler, die im Winter König¬
grätz zu besuchen pflegen, sich durch die Lebhaftigkeit ihrer Darstellung aus¬
zeichnen, aber unter ihren Zugstücken sind die aus dem Deutschen und Fran¬
zösischen übersetzten Possen und Komödien die Mehrzahl. Es ist so ziemlich
die alte Leier wie vor 20 Jahren, als ich diese Gegend zum letzten Mal sah.
Der großen Volksmasse in Stadt und Dorf ist der Schnabel noch gerade so
gewachsen wie damals. Im kürzesten czechischen Zwiegespräch blinken einzelne
deutsche Wörter, die wie Lichtlein im dunkeln Walde den Weg zum Verständ¬
niß des Sinnes zeigen. Häufig wird das deutsche Zeitwort durch eine sla¬
vische Beugung naturalisirt. ?o schick-Hs (das schickt sich), ?o kost-ujs
(das kostet), Muß-ne hardt-oval (Ihr müßt handeln). Im Laufe eines
einzigen Tages zeichnete ich mir eine Menge solcher Fremdwörter auf, z. B.:
nett-o>vat, pump-cnvat, putz-oral, schwindl-oval, sticht-vo^at, wechsl-owat,
wichs-oval u. dergl. mehr. In einem gerichtlichen Nctenstück las ich den
Ausdruck Kvelb (Gewölbe), und ein Geschäftsreisender war r"a >va.uäru (auf
der Wanderschaft). Ganz unverändert bleiben viele Hauptwörter, namentlich
die zusammengesetzten, wie: ?o M Kunststück, Zugluft, Stockuhr, Streich¬
riemen, Todesmuth, Schnitzarbeit, Preßproceß, Hochgenuß.

Glauben Sie ja nicht -- bemerkte mir ein Gelehrter -- daß es uns an guten
Ausdrücken für jene Begriffe fehlt. So spricht nur die dienende und gewerb-
treibende Classe, die fortwährend mit Deutschen zu thun hat. -- Natürlich,
und dieser Verkehr wird fortwährend steigen. Ihr werdet hoffentlich nicht
aus Purismus die Eisenbahn- und Handelsverbindungen mit Deutschböhmen,
Oestreich, Sachsen und Schlesien abbrechen. Die Dienstboten und Kutscher
aber, die ehrsamen Handwerker und Kaufleute, die jeden Augenblick deutsche
Wörter in den Mund nehmen während sie czechisch reden, machen ihre Ver¬
sündigung dadurch wieder gut, daß sie ihr Deutsch mit czechischen Wurzeln
spicken. Denn das ist der geistige Segen eines zweisprachigen Landes, daß
die Masse der Bevölkerung beide Idiome gleich oberflächlich kennt; der Bil-


zählte mir einmal ein belgischer Reisender, daß man in Prag drei verschiedene
Sprachen spreche: deutsch, slavisch und böhmisch. Wie das Letzte klingt, war
ihm nicht recht erinnerlich.

Hier in Königgrätz giebt es czechische Lehranstalten für 1600 Musensöhne.
Auf dem Gymnasium, dem Obergymnasium und im Seminar wird jeder Un¬
terrichtsgegenstand, so gut es eben geht, in der Sprache Palatzky's vorgetra¬
gen. Der Aufschwung, den die czechische Cultur genommen, wurde mir auf
Grund der 1600 mit schreienden Farben ausgemalt. Fragte ich nach den
lebendigen Blüthen und Früchten czechischen Geistes, so wies man auf die
politischen Zeitungen, die illustrirten politischen Witzblätter, auf ein ange¬
fangenes neues Wörterbuch oder auf die archäologischen Arbeiten des Prof.
Wack hin. Auch sollen die wandernden Schauspieler, die im Winter König¬
grätz zu besuchen pflegen, sich durch die Lebhaftigkeit ihrer Darstellung aus¬
zeichnen, aber unter ihren Zugstücken sind die aus dem Deutschen und Fran¬
zösischen übersetzten Possen und Komödien die Mehrzahl. Es ist so ziemlich
die alte Leier wie vor 20 Jahren, als ich diese Gegend zum letzten Mal sah.
Der großen Volksmasse in Stadt und Dorf ist der Schnabel noch gerade so
gewachsen wie damals. Im kürzesten czechischen Zwiegespräch blinken einzelne
deutsche Wörter, die wie Lichtlein im dunkeln Walde den Weg zum Verständ¬
niß des Sinnes zeigen. Häufig wird das deutsche Zeitwort durch eine sla¬
vische Beugung naturalisirt. ?o schick-Hs (das schickt sich), ?o kost-ujs
(das kostet), Muß-ne hardt-oval (Ihr müßt handeln). Im Laufe eines
einzigen Tages zeichnete ich mir eine Menge solcher Fremdwörter auf, z. B.:
nett-o>vat, pump-cnvat, putz-oral, schwindl-oval, sticht-vo^at, wechsl-owat,
wichs-oval u. dergl. mehr. In einem gerichtlichen Nctenstück las ich den
Ausdruck Kvelb (Gewölbe), und ein Geschäftsreisender war r»a >va.uäru (auf
der Wanderschaft). Ganz unverändert bleiben viele Hauptwörter, namentlich
die zusammengesetzten, wie: ?o M Kunststück, Zugluft, Stockuhr, Streich¬
riemen, Todesmuth, Schnitzarbeit, Preßproceß, Hochgenuß.

Glauben Sie ja nicht — bemerkte mir ein Gelehrter — daß es uns an guten
Ausdrücken für jene Begriffe fehlt. So spricht nur die dienende und gewerb-
treibende Classe, die fortwährend mit Deutschen zu thun hat. — Natürlich,
und dieser Verkehr wird fortwährend steigen. Ihr werdet hoffentlich nicht
aus Purismus die Eisenbahn- und Handelsverbindungen mit Deutschböhmen,
Oestreich, Sachsen und Schlesien abbrechen. Die Dienstboten und Kutscher
aber, die ehrsamen Handwerker und Kaufleute, die jeden Augenblick deutsche
Wörter in den Mund nehmen während sie czechisch reden, machen ihre Ver¬
sündigung dadurch wieder gut, daß sie ihr Deutsch mit czechischen Wurzeln
spicken. Denn das ist der geistige Segen eines zweisprachigen Landes, daß
die Masse der Bevölkerung beide Idiome gleich oberflächlich kennt; der Bil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/288>, abgerufen am 05.02.2025.