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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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sagt: Ich wasche mich. Das ist falsch. Der Böhme setzt das "mich" voran
wie die Franzosen, nicht wahr? Der Böhme sagt: Ich dich betrüge, ich dich
habe betrogen, ich dich werde betrügen. Da sehen Sie gleich, daß die böh¬
mische Regel besser ist, denn sie stimmt mit der. französischen Grammaire
überein."

Die Station Pilsen erlöste mich von dem Galanteriemännchen- An seine
Stelle setzten sich zwei fein gekleidete ältliche Enkelinnen Libussa's. Von der
einen, die ihre Belesenheit zeigte und mit leiser slavischer Betonung sehr ge
wählt deutsch sprach, hatte ich einige czechische Complimente für Frau Ger¬
mania in Empfang zu nehmen. Sie erzählte von ihren Erlebnissen im Sommer
des Jahres 1866, von dem Schrecken der Hauptstadt nach der Schlacht bei
Königgrätz, und wie die Preußen in Prag "so charmante" Feinde gewesen
seien. Sie wohnte auf dem Roßmarkt, wo die feindlichen Truppen jeden
Morgen zum Appell aufmarschirten, und "sah aus dem Fenster die Bildung,
die unter ihnen herrschte" und daß sogar die Gemeinen von den Officieren
mit "Sie" angeredet wurden. Aber "dies Alles" wird jetzt bei uns ganz
so werden wie bei Ihnen, fügte sie bei. "Wie bei Ihnen"! Sie schien mich
also für einen Preußen zu halten und daher vielleicht ihre Zuvorkommenheit.
In der Hauptstadt machte ich ähnliche Erfahrungen. Anfangs überraschte
mich das gute Deutsch, in welchem Personen mit offenbar czechischen Gesich¬
tern mir überall auf jede Frage Auskunft gaben. Später glaubte ich zu be¬
merken, daß die Czechen mit diplomatischem Instinct zwischen den Deutschen
"aus dem Reich" und denen aus Oestreich unterscheiden. Glauben sie einen
Mann von "draußen" vor sich zu haben, sind sie eitel Sonnenschein und
Maienluft. Sie lieben nämlich den "echten" Deutschen, den eine politische
Grenze ihnen weit vom Leibe hält, und wenn er blos im Reich der "Idee"
existirte, würden sie ihn noch aufrichtiger lieben. Tritt er ihnen aber als
Mitbürger an die Seite, werden sie borstig. Viele kochen Gift und Galle
darüber, daß die Deutschböhmen nicht allesammt mit heißem Bemühen czechisch,
-- oder, wie sie mit Nachdruck sagen, "böhmisch" -- lernen. Denn, obgleich
es in ihrem Idiom keine Bezeichnung wie etwa dewM, deuil-Ki, bemaki oder
dekemi gibt, behaupten sie doch, daß "böhmisch" und nicht "czechisch" die
richtige Verdeutschung von "soft?" sei. Indem sie den Unterschied zwischen
dem geographischen Ausdruck "böhmisch" und der Stammesbezeichnung "czechisch"
leugnen, ergreisen sie gleichsam Besitz vom ganzen Königreich und machen aus
dem deutschen Landsmann entweder einen Fremdling oder einen mißrathenen
Sohn seiner Heimath, von dem sie mit patriotischer Entrüstung sagen können:
"Er ist ein Böhme und spricht nicht böhmisch!" Aber viele Oestreicher und
selbst Deutschböhmen huldigen gedankenlos demselben falschen Sprachgebrauch.
Im Auslande entstehen dadurch oft komische Begriffsverwirrungen. So er-


Grenzboten IV. 1868. 34

sagt: Ich wasche mich. Das ist falsch. Der Böhme setzt das „mich" voran
wie die Franzosen, nicht wahr? Der Böhme sagt: Ich dich betrüge, ich dich
habe betrogen, ich dich werde betrügen. Da sehen Sie gleich, daß die böh¬
mische Regel besser ist, denn sie stimmt mit der. französischen Grammaire
überein."

Die Station Pilsen erlöste mich von dem Galanteriemännchen- An seine
Stelle setzten sich zwei fein gekleidete ältliche Enkelinnen Libussa's. Von der
einen, die ihre Belesenheit zeigte und mit leiser slavischer Betonung sehr ge
wählt deutsch sprach, hatte ich einige czechische Complimente für Frau Ger¬
mania in Empfang zu nehmen. Sie erzählte von ihren Erlebnissen im Sommer
des Jahres 1866, von dem Schrecken der Hauptstadt nach der Schlacht bei
Königgrätz, und wie die Preußen in Prag „so charmante" Feinde gewesen
seien. Sie wohnte auf dem Roßmarkt, wo die feindlichen Truppen jeden
Morgen zum Appell aufmarschirten, und „sah aus dem Fenster die Bildung,
die unter ihnen herrschte" und daß sogar die Gemeinen von den Officieren
mit „Sie" angeredet wurden. Aber „dies Alles" wird jetzt bei uns ganz
so werden wie bei Ihnen, fügte sie bei. „Wie bei Ihnen"! Sie schien mich
also für einen Preußen zu halten und daher vielleicht ihre Zuvorkommenheit.
In der Hauptstadt machte ich ähnliche Erfahrungen. Anfangs überraschte
mich das gute Deutsch, in welchem Personen mit offenbar czechischen Gesich¬
tern mir überall auf jede Frage Auskunft gaben. Später glaubte ich zu be¬
merken, daß die Czechen mit diplomatischem Instinct zwischen den Deutschen
„aus dem Reich" und denen aus Oestreich unterscheiden. Glauben sie einen
Mann von „draußen" vor sich zu haben, sind sie eitel Sonnenschein und
Maienluft. Sie lieben nämlich den „echten" Deutschen, den eine politische
Grenze ihnen weit vom Leibe hält, und wenn er blos im Reich der „Idee"
existirte, würden sie ihn noch aufrichtiger lieben. Tritt er ihnen aber als
Mitbürger an die Seite, werden sie borstig. Viele kochen Gift und Galle
darüber, daß die Deutschböhmen nicht allesammt mit heißem Bemühen czechisch,
— oder, wie sie mit Nachdruck sagen, „böhmisch" — lernen. Denn, obgleich
es in ihrem Idiom keine Bezeichnung wie etwa dewM, deuil-Ki, bemaki oder
dekemi gibt, behaupten sie doch, daß „böhmisch" und nicht „czechisch" die
richtige Verdeutschung von „soft?« sei. Indem sie den Unterschied zwischen
dem geographischen Ausdruck „böhmisch" und der Stammesbezeichnung „czechisch"
leugnen, ergreisen sie gleichsam Besitz vom ganzen Königreich und machen aus
dem deutschen Landsmann entweder einen Fremdling oder einen mißrathenen
Sohn seiner Heimath, von dem sie mit patriotischer Entrüstung sagen können:
»Er ist ein Böhme und spricht nicht böhmisch!" Aber viele Oestreicher und
selbst Deutschböhmen huldigen gedankenlos demselben falschen Sprachgebrauch.
Im Auslande entstehen dadurch oft komische Begriffsverwirrungen. So er-


Grenzboten IV. 1868. 34
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[0287] sagt: Ich wasche mich. Das ist falsch. Der Böhme setzt das „mich" voran wie die Franzosen, nicht wahr? Der Böhme sagt: Ich dich betrüge, ich dich habe betrogen, ich dich werde betrügen. Da sehen Sie gleich, daß die böh¬ mische Regel besser ist, denn sie stimmt mit der. französischen Grammaire überein." Die Station Pilsen erlöste mich von dem Galanteriemännchen- An seine Stelle setzten sich zwei fein gekleidete ältliche Enkelinnen Libussa's. Von der einen, die ihre Belesenheit zeigte und mit leiser slavischer Betonung sehr ge wählt deutsch sprach, hatte ich einige czechische Complimente für Frau Ger¬ mania in Empfang zu nehmen. Sie erzählte von ihren Erlebnissen im Sommer des Jahres 1866, von dem Schrecken der Hauptstadt nach der Schlacht bei Königgrätz, und wie die Preußen in Prag „so charmante" Feinde gewesen seien. Sie wohnte auf dem Roßmarkt, wo die feindlichen Truppen jeden Morgen zum Appell aufmarschirten, und „sah aus dem Fenster die Bildung, die unter ihnen herrschte" und daß sogar die Gemeinen von den Officieren mit „Sie" angeredet wurden. Aber „dies Alles" wird jetzt bei uns ganz so werden wie bei Ihnen, fügte sie bei. „Wie bei Ihnen"! Sie schien mich also für einen Preußen zu halten und daher vielleicht ihre Zuvorkommenheit. In der Hauptstadt machte ich ähnliche Erfahrungen. Anfangs überraschte mich das gute Deutsch, in welchem Personen mit offenbar czechischen Gesich¬ tern mir überall auf jede Frage Auskunft gaben. Später glaubte ich zu be¬ merken, daß die Czechen mit diplomatischem Instinct zwischen den Deutschen „aus dem Reich" und denen aus Oestreich unterscheiden. Glauben sie einen Mann von „draußen" vor sich zu haben, sind sie eitel Sonnenschein und Maienluft. Sie lieben nämlich den „echten" Deutschen, den eine politische Grenze ihnen weit vom Leibe hält, und wenn er blos im Reich der „Idee" existirte, würden sie ihn noch aufrichtiger lieben. Tritt er ihnen aber als Mitbürger an die Seite, werden sie borstig. Viele kochen Gift und Galle darüber, daß die Deutschböhmen nicht allesammt mit heißem Bemühen czechisch, — oder, wie sie mit Nachdruck sagen, „böhmisch" — lernen. Denn, obgleich es in ihrem Idiom keine Bezeichnung wie etwa dewM, deuil-Ki, bemaki oder dekemi gibt, behaupten sie doch, daß „böhmisch" und nicht „czechisch" die richtige Verdeutschung von „soft?« sei. Indem sie den Unterschied zwischen dem geographischen Ausdruck „böhmisch" und der Stammesbezeichnung „czechisch" leugnen, ergreisen sie gleichsam Besitz vom ganzen Königreich und machen aus dem deutschen Landsmann entweder einen Fremdling oder einen mißrathenen Sohn seiner Heimath, von dem sie mit patriotischer Entrüstung sagen können: »Er ist ein Böhme und spricht nicht böhmisch!" Aber viele Oestreicher und selbst Deutschböhmen huldigen gedankenlos demselben falschen Sprachgebrauch. Im Auslande entstehen dadurch oft komische Begriffsverwirrungen. So er- Grenzboten IV. 1868. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/287>, abgerufen am 05.02.2025.