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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Ustiugna, Molaga. Allenthalben, wo wir zu Mittag und zu Abend speisten,
wurden wir mit fertigen Buri (Fastnachtspfannkuchen) und Fischsuppe aus
Sterlett erwartet. Nach mehrtägiger Fahrt kamen.wir Nachts in Nybinsk
an, wo wir zum ersten Male seit dem Beginn unsrer Reise einige Stunden
ruhen durften. Auf der Station waren nur zwei Zimmer vorhanden; im ersten
derselben standen bloß Tische und Stühle, das zweite, mit Divan und Betten,
war bereits von Reisenden besetzt. Die Erschöpfung machte ihr Recht gel¬
tend : wir lagerten uns eben auf dem Fußboden, als aus dem hintern Zim¬
mer ein mit dem Georgenorden geschmückter Mann in Admiralsuniform
heraustrat, dem zwei verschlafene Jünglinge folgten, von denen jeder ein
Kissen und ein Bündel trug. -- Wir entschuldigten uns, daß wir die Herren
unwillkürlich durch das Geklirr unserer Ketten aus der Ruhe gestört hätten.
-- "Ich bitte Sie, meine Herren" -- sagte der Admiral höflich -- "mit mir
das Zimmer zu wechseln, in meinem Zimmer ist es wärmer, Sie werden dort
besser ruhen als hier; Ihr Weg geht weit, der meine nur nach Petersburg."
-- Der Unbekannte reiste in die Residenz um seine Söhne ins Cadettencorps
zu bringen; hier gab er ihnen eine vorläufige gute Lehre. -- Nach kurzer Rast
ging es unaufhaltsam weiter. An einem Sonntagvormittag langten wir
endlich in Jaroslaw an, in einem Gasthofe auf dem Marktplatze, wo man die
PostPferde wechselte. -- Während man uns den Tisch deckte und ich auf und ab
ging, hörte ich behutsam an die Thür klopfen. Eine zarte Stimme fragte:
"Ist I- D. Jakuschkin hier? wo ist er? wann kommt er?" -- Es war des
verurtheilten Jakuschkin Frau und seine Schwiegermutter N. N. Schermetjew.*)
Diese Fragen konnte ich nicht beantworten, ich wußte nur, daß Jakuschkin
schon längst aus der Petersburger Festung in eine andere nach Finnland ver¬
setzt worden war. Die beiden in Luxus und Wohlleben aufgewachsenen Da¬
men lebten seit Monaten in diesem elenden Gasthause um Jukuschktu zu er¬
warten; er wurde erst im folgenden Sommer nach Sibirien abgefertigt.

Während wir speisten, versammelte sich das Volk auf dem Platze; in einer
Viertelstunde war der Platz so dicht von Menschen angefüllt, daß, wenn man
von oben herab einen Apfel geworfen hätte, er nicht in den Schnee
gefallen wäre, ohne eine Mütze oder eine Schulter zu berühren. Unsere
Schlitten standen bereit im inneren Hofe, die Pforte war geschlossen, an der
Außenseite standen zwei'Gensdarmen mit blank gezogenem Säbel. -- Im
Corridor begrüßten uns Frau von Jakuschkin und ihre Mutter und wünschten
uns eine glückliche Reise. Als wir die Treppe hinabstiegen, befahl der Feld¬
jäger, daß sein Schlitten vorfahre und daß die Gensdarmen nicht hinter ihm
Zurückbleiben sollten; im Hofe setzten wir uns ein. Kaum hatte die Wache



") Die Grafen Schermetjew gehören den reichsten und vornehmsten Geschlechtern des russischen
Adels an.

Ustiugna, Molaga. Allenthalben, wo wir zu Mittag und zu Abend speisten,
wurden wir mit fertigen Buri (Fastnachtspfannkuchen) und Fischsuppe aus
Sterlett erwartet. Nach mehrtägiger Fahrt kamen.wir Nachts in Nybinsk
an, wo wir zum ersten Male seit dem Beginn unsrer Reise einige Stunden
ruhen durften. Auf der Station waren nur zwei Zimmer vorhanden; im ersten
derselben standen bloß Tische und Stühle, das zweite, mit Divan und Betten,
war bereits von Reisenden besetzt. Die Erschöpfung machte ihr Recht gel¬
tend : wir lagerten uns eben auf dem Fußboden, als aus dem hintern Zim¬
mer ein mit dem Georgenorden geschmückter Mann in Admiralsuniform
heraustrat, dem zwei verschlafene Jünglinge folgten, von denen jeder ein
Kissen und ein Bündel trug. — Wir entschuldigten uns, daß wir die Herren
unwillkürlich durch das Geklirr unserer Ketten aus der Ruhe gestört hätten.
— „Ich bitte Sie, meine Herren" — sagte der Admiral höflich — „mit mir
das Zimmer zu wechseln, in meinem Zimmer ist es wärmer, Sie werden dort
besser ruhen als hier; Ihr Weg geht weit, der meine nur nach Petersburg."
— Der Unbekannte reiste in die Residenz um seine Söhne ins Cadettencorps
zu bringen; hier gab er ihnen eine vorläufige gute Lehre. — Nach kurzer Rast
ging es unaufhaltsam weiter. An einem Sonntagvormittag langten wir
endlich in Jaroslaw an, in einem Gasthofe auf dem Marktplatze, wo man die
PostPferde wechselte. — Während man uns den Tisch deckte und ich auf und ab
ging, hörte ich behutsam an die Thür klopfen. Eine zarte Stimme fragte:
„Ist I- D. Jakuschkin hier? wo ist er? wann kommt er?" — Es war des
verurtheilten Jakuschkin Frau und seine Schwiegermutter N. N. Schermetjew.*)
Diese Fragen konnte ich nicht beantworten, ich wußte nur, daß Jakuschkin
schon längst aus der Petersburger Festung in eine andere nach Finnland ver¬
setzt worden war. Die beiden in Luxus und Wohlleben aufgewachsenen Da¬
men lebten seit Monaten in diesem elenden Gasthause um Jukuschktu zu er¬
warten; er wurde erst im folgenden Sommer nach Sibirien abgefertigt.

Während wir speisten, versammelte sich das Volk auf dem Platze; in einer
Viertelstunde war der Platz so dicht von Menschen angefüllt, daß, wenn man
von oben herab einen Apfel geworfen hätte, er nicht in den Schnee
gefallen wäre, ohne eine Mütze oder eine Schulter zu berühren. Unsere
Schlitten standen bereit im inneren Hofe, die Pforte war geschlossen, an der
Außenseite standen zwei'Gensdarmen mit blank gezogenem Säbel. — Im
Corridor begrüßten uns Frau von Jakuschkin und ihre Mutter und wünschten
uns eine glückliche Reise. Als wir die Treppe hinabstiegen, befahl der Feld¬
jäger, daß sein Schlitten vorfahre und daß die Gensdarmen nicht hinter ihm
Zurückbleiben sollten; im Hofe setzten wir uns ein. Kaum hatte die Wache



») Die Grafen Schermetjew gehören den reichsten und vornehmsten Geschlechtern des russischen
Adels an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/278>, abgerufen am 06.02.2025.