Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.die Pforte geöffnet, als wir pfeilschnell über den Platz fuhren, wo von beiden Wie Feldjäger jagten wir unaufhaltsam Tag und Nacht weiter; im Grenzboten IV. 1868. 33
die Pforte geöffnet, als wir pfeilschnell über den Platz fuhren, wo von beiden Wie Feldjäger jagten wir unaufhaltsam Tag und Nacht weiter; im Grenzboten IV. 1868. 33
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die Pforte geöffnet, als wir pfeilschnell über den Platz fuhren, wo von beiden
Seiten eine unzählige Menge Volks stand. Ich hatte kaum Zeit, meine
Hand an die Mütze zu 5egen und zu grüßen, als alle Hüte herunterflo¬
gen und uns ehrfurchtsvoll grüßten; von „Volkswuth" war keine Spur zu
entdecken. In wenigen Minuten hatten wir die Wolga passirt, auf deren
östlichem ^fer es jetzt weiter fort ging.
Wie Feldjäger jagten wir unaufhaltsam Tag und Nacht weiter; im
Schlitten zu schlafen, war fast unmöglich, in Ketten und Kleidern zu
nächtigen beinahe ebenso unbequem; daher schlummerten wir immer nur einige
Minuten auf den Stationen, während die Pferde umgespannt wurden; die eilige
Fahrt wurde immer angreifender und unerträglicher. Kostroma, Makariew,
Kotolnitsch, Wjätka, Glasow, Peru, Kunjur, Katherinburg, Tjumen zogen
mit gespenstiger Eile an unseren Blicken vorüber. In Glasow nächtigten wir und
hier wurden zum ersten Mal unsere Ketten auf einige Augenblicke abgenommen,
während wir die Wäsche wechselten. — Jetzt, wo wir von den Hauptstädten
des europäischen Rußlands weit entfernt waren, hatten wir Gelegenheit die
eigenthümlichen Praktiken des Feldjägers, der uns beigegeben war, kennen
zu lernen. Unser Begleiter verstand seine Börse vortrefflich zu füllen. Von
Tichwin an ließ er nur vier Schlitten anspannen; er lud mich ein, mit ihm
in seinem Schlitten zu sitzen, setzte meinen Gensdarmen in den folgenden
Schlitten und so blieben die Vorspanngelder für die drei Pferde, welche einen
fünften Schlitten hätten ziehen sollen, für volle dreitausend Werst in seiner
Tasche. Das hätte man sich noch gefallen lassen können, denn er übervor-
theilte dadurch Niemand, nicht den Stationshalter, nicht die Postillone, nicht
die Postpferde, denn drei Pferde konnten ohne Anstrengung einen Verur-
theilten mit zwei Gensdarmen fortschleppen; sogar der Krone that er keinen
Schaden, sie hatte ihm eine bestimmte Summe verabfolgt, für welche er die
Arrestanten bis zum bestimmten Orte zu begleiten hatte. Aber der Feld¬
jäger begnügte sich damit nicht: sobald die Pferde angespannt waren, fragte
er den PostHalter mit lauter Stimme: „wie viel habe ich Dir Vorspanngeld
zu zahlen?" — Wenn dieser nur die Hälfte des gesetzlichen Betrages verlangte,
so befahl er ruhig, daß der Feldjägerschlitten hinterdrein fahren, die Gens¬
darmen mit den Verurtheilten vorausfahren sollten. So ging es dann in
vollem Trabe; neben mir sitzend schlummerte er ruhig oder stellte er sich
schlafend, und wir fuhren glücklich weiter. Wo der PostHalter aber
die volle Summe des Vorspanngeldes verlangte, da donnerte die Stimme
des Feldjägers: „Mein Dreigespann fährt voraus, Gensdarmen bleibt nicht
nach!" Dann begann ein wildes Jagen, welches die unglücklichen Pferde ab-
sichtlich ruiniren sollte. Immerwährend stieß der Feldjäger den Postillon
mit seinem Säbel, indem er „Vorwärts! Vorwärts!" brüllte. „Dusolltest
Grenzboten IV. 1868. 33
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