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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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wer vierte deutsche Handelstag.
II.

Den dritten Gegenstand der Tagesordnung bildete das Eisenbahn -
Fr acht wesen in Verbindung mit den Verhältnissen der Strom Schiff¬
fahrt. Der bleibende Ausschuß hatte denselben duxch eine von einer Sub-
commission bearbeitete, bereits im Mai d. I. ausgegebene Denkschrift vor¬
bereitet. Diese erachtet eine Beseitigung der Mißstände im Eisenbahn-Fracht-
roesen, mit deren Erörterung es nicht schwer fallen würde Bände zu füllen,
nur dadurch für möglich, daß ein neuer maßgebender Grundsatz, auf
den wir sogleich näher zu sprechen kommen, in die Verwaltung des gesammten
Eisenbahnwesens hineingetragen werde. Um den vielen berechtigten Klagen
abzuhelfen, begann der Referent Dr. Meyer aus Breslau seinen geistvollen
Bericht, biete sich zunächst der schon häufig betretene Weg, zu erklären: der
Staat muß hier eingreifen, muß Abhülfe schaffen, muß die gewünschten Re¬
formen erzwingen. Das sei der Weg derjenigen Leute, die sich zu jeder
schwierigen Arbeit außer Stande wüßten, der breite Weg des Socialismus.
Unstreitig thue eine solche entschiedene Erklärung dem bedrängten Herzen
wohl. "Einen Nachtheil aber" fuhr er fort, "hat dieser Weg, er hilft näm¬
lich nichts. Solche Resolutionen erschüttern nur die Luft." Man habe das
Handelsgesetzbuch angeklagt, daß es ausschließlich das Interesse der Eisenbahn¬
verwaltungen begünstige, allein das sei doch nicht zu verkennen, daß dessen
Verfasser Gründe und Gegengründe gehört, alle Interessen zu berücksichtigen,
allen Klagen zu begegnen versucht haben. Bis vor Kurzem habe das Ver¬
dammungsurtheil gegen die Differenzialfrachten als ein Glaubensartikel
gegolten -- jetzt gebe es kaum noch einen unerschrockenen Mann, der den¬
selben noch principiell entgegenzutreten versuche; auch ein auf dem Tisch des
Hauses liegender Antrag (von Moll-Mannheim), der ihm eben zu Ge¬
sicht gekommen, sei sehr zahm gehalten. Man habe einsehen gelernt, daß die
Differenzialsrachtsätze nur eine gesunde, wenn auch zuweilen schmerzliche
Reaction gegen die Krankheit der zu hohen Frachten, ein Symptom der be¬
ginnenden Genesung bilden. Es komme nur darauf an, die Differenzialsätze
auf die Plätze zweiten, dann dritten Ranges u. f. w. auszudehnen, und das
werde geschehen, sobald man den Bahnen nachzuweisen vermöge, daß sie da¬
bei ein gutes Geschäft machen. Auch den vielgerühmten Einpsennigtarif
könne man doch unmöglich als ein unwandelbares Prinzip hinstellen; während
er in vielen Fällen die Bahnen auf Hungerlöhne setze, bedeute er in anderen
noch nicht die Grenze des zu Erstrebenden. Das einzige durchgreifende Mittel,
allen Uebelständen abzuhelfen, sei die Beförderung möglichst freier Cor-


wer vierte deutsche Handelstag.
II.

Den dritten Gegenstand der Tagesordnung bildete das Eisenbahn -
Fr acht wesen in Verbindung mit den Verhältnissen der Strom Schiff¬
fahrt. Der bleibende Ausschuß hatte denselben duxch eine von einer Sub-
commission bearbeitete, bereits im Mai d. I. ausgegebene Denkschrift vor¬
bereitet. Diese erachtet eine Beseitigung der Mißstände im Eisenbahn-Fracht-
roesen, mit deren Erörterung es nicht schwer fallen würde Bände zu füllen,
nur dadurch für möglich, daß ein neuer maßgebender Grundsatz, auf
den wir sogleich näher zu sprechen kommen, in die Verwaltung des gesammten
Eisenbahnwesens hineingetragen werde. Um den vielen berechtigten Klagen
abzuhelfen, begann der Referent Dr. Meyer aus Breslau seinen geistvollen
Bericht, biete sich zunächst der schon häufig betretene Weg, zu erklären: der
Staat muß hier eingreifen, muß Abhülfe schaffen, muß die gewünschten Re¬
formen erzwingen. Das sei der Weg derjenigen Leute, die sich zu jeder
schwierigen Arbeit außer Stande wüßten, der breite Weg des Socialismus.
Unstreitig thue eine solche entschiedene Erklärung dem bedrängten Herzen
wohl. „Einen Nachtheil aber" fuhr er fort, „hat dieser Weg, er hilft näm¬
lich nichts. Solche Resolutionen erschüttern nur die Luft." Man habe das
Handelsgesetzbuch angeklagt, daß es ausschließlich das Interesse der Eisenbahn¬
verwaltungen begünstige, allein das sei doch nicht zu verkennen, daß dessen
Verfasser Gründe und Gegengründe gehört, alle Interessen zu berücksichtigen,
allen Klagen zu begegnen versucht haben. Bis vor Kurzem habe das Ver¬
dammungsurtheil gegen die Differenzialfrachten als ein Glaubensartikel
gegolten — jetzt gebe es kaum noch einen unerschrockenen Mann, der den¬
selben noch principiell entgegenzutreten versuche; auch ein auf dem Tisch des
Hauses liegender Antrag (von Moll-Mannheim), der ihm eben zu Ge¬
sicht gekommen, sei sehr zahm gehalten. Man habe einsehen gelernt, daß die
Differenzialsrachtsätze nur eine gesunde, wenn auch zuweilen schmerzliche
Reaction gegen die Krankheit der zu hohen Frachten, ein Symptom der be¬
ginnenden Genesung bilden. Es komme nur darauf an, die Differenzialsätze
auf die Plätze zweiten, dann dritten Ranges u. f. w. auszudehnen, und das
werde geschehen, sobald man den Bahnen nachzuweisen vermöge, daß sie da¬
bei ein gutes Geschäft machen. Auch den vielgerühmten Einpsennigtarif
könne man doch unmöglich als ein unwandelbares Prinzip hinstellen; während
er in vielen Fällen die Bahnen auf Hungerlöhne setze, bedeute er in anderen
noch nicht die Grenze des zu Erstrebenden. Das einzige durchgreifende Mittel,
allen Uebelständen abzuhelfen, sei die Beförderung möglichst freier Cor-


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[0249] wer vierte deutsche Handelstag. II. Den dritten Gegenstand der Tagesordnung bildete das Eisenbahn - Fr acht wesen in Verbindung mit den Verhältnissen der Strom Schiff¬ fahrt. Der bleibende Ausschuß hatte denselben duxch eine von einer Sub- commission bearbeitete, bereits im Mai d. I. ausgegebene Denkschrift vor¬ bereitet. Diese erachtet eine Beseitigung der Mißstände im Eisenbahn-Fracht- roesen, mit deren Erörterung es nicht schwer fallen würde Bände zu füllen, nur dadurch für möglich, daß ein neuer maßgebender Grundsatz, auf den wir sogleich näher zu sprechen kommen, in die Verwaltung des gesammten Eisenbahnwesens hineingetragen werde. Um den vielen berechtigten Klagen abzuhelfen, begann der Referent Dr. Meyer aus Breslau seinen geistvollen Bericht, biete sich zunächst der schon häufig betretene Weg, zu erklären: der Staat muß hier eingreifen, muß Abhülfe schaffen, muß die gewünschten Re¬ formen erzwingen. Das sei der Weg derjenigen Leute, die sich zu jeder schwierigen Arbeit außer Stande wüßten, der breite Weg des Socialismus. Unstreitig thue eine solche entschiedene Erklärung dem bedrängten Herzen wohl. „Einen Nachtheil aber" fuhr er fort, „hat dieser Weg, er hilft näm¬ lich nichts. Solche Resolutionen erschüttern nur die Luft." Man habe das Handelsgesetzbuch angeklagt, daß es ausschließlich das Interesse der Eisenbahn¬ verwaltungen begünstige, allein das sei doch nicht zu verkennen, daß dessen Verfasser Gründe und Gegengründe gehört, alle Interessen zu berücksichtigen, allen Klagen zu begegnen versucht haben. Bis vor Kurzem habe das Ver¬ dammungsurtheil gegen die Differenzialfrachten als ein Glaubensartikel gegolten — jetzt gebe es kaum noch einen unerschrockenen Mann, der den¬ selben noch principiell entgegenzutreten versuche; auch ein auf dem Tisch des Hauses liegender Antrag (von Moll-Mannheim), der ihm eben zu Ge¬ sicht gekommen, sei sehr zahm gehalten. Man habe einsehen gelernt, daß die Differenzialsrachtsätze nur eine gesunde, wenn auch zuweilen schmerzliche Reaction gegen die Krankheit der zu hohen Frachten, ein Symptom der be¬ ginnenden Genesung bilden. Es komme nur darauf an, die Differenzialsätze auf die Plätze zweiten, dann dritten Ranges u. f. w. auszudehnen, und das werde geschehen, sobald man den Bahnen nachzuweisen vermöge, daß sie da¬ bei ein gutes Geschäft machen. Auch den vielgerühmten Einpsennigtarif könne man doch unmöglich als ein unwandelbares Prinzip hinstellen; während er in vielen Fällen die Bahnen auf Hungerlöhne setze, bedeute er in anderen noch nicht die Grenze des zu Erstrebenden. Das einzige durchgreifende Mittel, allen Uebelständen abzuhelfen, sei die Beförderung möglichst freier Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/249>, abgerufen am 05.02.2025.