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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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werde und daß es gelingen könne, einfach das Haushaltswahlrecht durchzu¬
setzen. So vereinigten sich 48 Mitglieder der Opposition im Theezimmer
des Hauses und kamen zu dem Beschluß, von ihrem Führer zu verlangen,
daß der zweite Satz der Instruction wegfalle. Gladstone mußte hierauf ein¬
gehen, da er ohne die 48 nicht die Majorität gehabt haben würde; aber die
Instruction war damit ihres eigentlichen Inhalts beraubt: als der erste Satz
allein vorgebracht ward, erklärte Disraeli mit ironischer Bereitwilligkeit, er
habe Nichts dagegen einzuwenden und das Haus ging ohne Abstimmung
ins Comite'.

Indeß Gladstone gab sich noch nicht geschlagen; am 9. April kündigte
er zwei Verbesferungsanträge an:

1) daß die geforderte Wohnzelt (tgrm ok resiäenos) von 2 auf 1 Jahr
herabgesetzt werde,

2) daß die Wohnung, welche Wahlrecht gebe, einen jährlichen Werth
von mindestens ü Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung haben müsse, sei es daß
der Einwohner seine Abgaben persönlich oder durch den Eigenthümer zahle.

Disraeli dagegen erklärte seinen Anhängern, daß, wenn einer dieser An¬
träge angenommen werde, die Regierung sich in die Unmöglichkeit versetzt
sehen würde, mit der Bill weiter vorzugehen. Inzwischen wurden alle Künste
der Coulissen ins Werk gesetzt, die parlamentarischen Agenten gingen umher
und flüsterten den Schwachen ins Ohr, die Regierung werde, wenn Glad-
stone's Vorschläge angenommen würden, ans Land appelliren. Das wirkte
mehr als die schlagendsten Argumente, eine Auflösung drohte große Kosten,
möglicherweise Verlust des Sitzes, eine Herbstsesston würde höchst unbequem
sein, die Agitation würde nur aufs Neue und stärker beginnen -- das Re¬
sultat war, daß Gladstone's zweiter Antrag, über den zuerst abgestimmt
ward, mit 21 Stimmen abgelehnt wurde. Im Verdruß darüber zog Glad¬
stone auch sein erstes Amendement zurück und schrieb einem seiner Freunde,
er sei es müde Führer einer Partei zu sein, die ihm nicht mehr folge. Die
Verbesserung der Bill ward nun von unabhängigen Mitgliedern der libe¬
ralen Partei übernommen. Triumphirend über die Niederlage seines alten
Gegners zeigte sich Disraeli gefügiger, und nachdem Mr. Ayrton Gladstone's
ersten Antrag aufgenommen und durchgesetzt halte, erklärte er, daß, obwohl
die Regierung die Entscheidung bedauere, er es doch nicht für unvereinbar
mit ihrer Pflicht halte, sich der Meinung des Hauses zu unterwerfen.

Es folgte nun ein anderes Amendement von Hibbert, wonach der Aecord-
haushalter, um stimmberechtigt zu werden, künftig nur so viel Gemeindesteuern
zahlen sollte, als er jetzt durch den Eigenthümer entrichte. Colonel Taylor, der
Einpeitscher der conservativen Partei, versicherte, der Schatzkanzler werde sich be¬
reit finden lassen dem zuzustimmen; als es aber zur Discussion im Parlament


Grenzboten IV. 18K8. . 27

werde und daß es gelingen könne, einfach das Haushaltswahlrecht durchzu¬
setzen. So vereinigten sich 48 Mitglieder der Opposition im Theezimmer
des Hauses und kamen zu dem Beschluß, von ihrem Führer zu verlangen,
daß der zweite Satz der Instruction wegfalle. Gladstone mußte hierauf ein¬
gehen, da er ohne die 48 nicht die Majorität gehabt haben würde; aber die
Instruction war damit ihres eigentlichen Inhalts beraubt: als der erste Satz
allein vorgebracht ward, erklärte Disraeli mit ironischer Bereitwilligkeit, er
habe Nichts dagegen einzuwenden und das Haus ging ohne Abstimmung
ins Comite'.

Indeß Gladstone gab sich noch nicht geschlagen; am 9. April kündigte
er zwei Verbesferungsanträge an:

1) daß die geforderte Wohnzelt (tgrm ok resiäenos) von 2 auf 1 Jahr
herabgesetzt werde,

2) daß die Wohnung, welche Wahlrecht gebe, einen jährlichen Werth
von mindestens ü Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung haben müsse, sei es daß
der Einwohner seine Abgaben persönlich oder durch den Eigenthümer zahle.

Disraeli dagegen erklärte seinen Anhängern, daß, wenn einer dieser An¬
träge angenommen werde, die Regierung sich in die Unmöglichkeit versetzt
sehen würde, mit der Bill weiter vorzugehen. Inzwischen wurden alle Künste
der Coulissen ins Werk gesetzt, die parlamentarischen Agenten gingen umher
und flüsterten den Schwachen ins Ohr, die Regierung werde, wenn Glad-
stone's Vorschläge angenommen würden, ans Land appelliren. Das wirkte
mehr als die schlagendsten Argumente, eine Auflösung drohte große Kosten,
möglicherweise Verlust des Sitzes, eine Herbstsesston würde höchst unbequem
sein, die Agitation würde nur aufs Neue und stärker beginnen — das Re¬
sultat war, daß Gladstone's zweiter Antrag, über den zuerst abgestimmt
ward, mit 21 Stimmen abgelehnt wurde. Im Verdruß darüber zog Glad¬
stone auch sein erstes Amendement zurück und schrieb einem seiner Freunde,
er sei es müde Führer einer Partei zu sein, die ihm nicht mehr folge. Die
Verbesserung der Bill ward nun von unabhängigen Mitgliedern der libe¬
ralen Partei übernommen. Triumphirend über die Niederlage seines alten
Gegners zeigte sich Disraeli gefügiger, und nachdem Mr. Ayrton Gladstone's
ersten Antrag aufgenommen und durchgesetzt halte, erklärte er, daß, obwohl
die Regierung die Entscheidung bedauere, er es doch nicht für unvereinbar
mit ihrer Pflicht halte, sich der Meinung des Hauses zu unterwerfen.

Es folgte nun ein anderes Amendement von Hibbert, wonach der Aecord-
haushalter, um stimmberechtigt zu werden, künftig nur so viel Gemeindesteuern
zahlen sollte, als er jetzt durch den Eigenthümer entrichte. Colonel Taylor, der
Einpeitscher der conservativen Partei, versicherte, der Schatzkanzler werde sich be¬
reit finden lassen dem zuzustimmen; als es aber zur Discussion im Parlament


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[0229] werde und daß es gelingen könne, einfach das Haushaltswahlrecht durchzu¬ setzen. So vereinigten sich 48 Mitglieder der Opposition im Theezimmer des Hauses und kamen zu dem Beschluß, von ihrem Führer zu verlangen, daß der zweite Satz der Instruction wegfalle. Gladstone mußte hierauf ein¬ gehen, da er ohne die 48 nicht die Majorität gehabt haben würde; aber die Instruction war damit ihres eigentlichen Inhalts beraubt: als der erste Satz allein vorgebracht ward, erklärte Disraeli mit ironischer Bereitwilligkeit, er habe Nichts dagegen einzuwenden und das Haus ging ohne Abstimmung ins Comite'. Indeß Gladstone gab sich noch nicht geschlagen; am 9. April kündigte er zwei Verbesferungsanträge an: 1) daß die geforderte Wohnzelt (tgrm ok resiäenos) von 2 auf 1 Jahr herabgesetzt werde, 2) daß die Wohnung, welche Wahlrecht gebe, einen jährlichen Werth von mindestens ü Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung haben müsse, sei es daß der Einwohner seine Abgaben persönlich oder durch den Eigenthümer zahle. Disraeli dagegen erklärte seinen Anhängern, daß, wenn einer dieser An¬ träge angenommen werde, die Regierung sich in die Unmöglichkeit versetzt sehen würde, mit der Bill weiter vorzugehen. Inzwischen wurden alle Künste der Coulissen ins Werk gesetzt, die parlamentarischen Agenten gingen umher und flüsterten den Schwachen ins Ohr, die Regierung werde, wenn Glad- stone's Vorschläge angenommen würden, ans Land appelliren. Das wirkte mehr als die schlagendsten Argumente, eine Auflösung drohte große Kosten, möglicherweise Verlust des Sitzes, eine Herbstsesston würde höchst unbequem sein, die Agitation würde nur aufs Neue und stärker beginnen — das Re¬ sultat war, daß Gladstone's zweiter Antrag, über den zuerst abgestimmt ward, mit 21 Stimmen abgelehnt wurde. Im Verdruß darüber zog Glad¬ stone auch sein erstes Amendement zurück und schrieb einem seiner Freunde, er sei es müde Führer einer Partei zu sein, die ihm nicht mehr folge. Die Verbesserung der Bill ward nun von unabhängigen Mitgliedern der libe¬ ralen Partei übernommen. Triumphirend über die Niederlage seines alten Gegners zeigte sich Disraeli gefügiger, und nachdem Mr. Ayrton Gladstone's ersten Antrag aufgenommen und durchgesetzt halte, erklärte er, daß, obwohl die Regierung die Entscheidung bedauere, er es doch nicht für unvereinbar mit ihrer Pflicht halte, sich der Meinung des Hauses zu unterwerfen. Es folgte nun ein anderes Amendement von Hibbert, wonach der Aecord- haushalter, um stimmberechtigt zu werden, künftig nur so viel Gemeindesteuern zahlen sollte, als er jetzt durch den Eigenthümer entrichte. Colonel Taylor, der Einpeitscher der conservativen Partei, versicherte, der Schatzkanzler werde sich be¬ reit finden lassen dem zuzustimmen; als es aber zur Discussion im Parlament Grenzboten IV. 18K8. . 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/229>, abgerufen am 05.02.2025.