Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.kam, erklärte Disraeli, von solchen Zusicherungen nichts zu wissen und blieb bei ") Es besteht nämlich in England folgender wunderlicher Geschäftsgang. Die Sitzung
wird um 4>/j Uhr eröffnet, worauf zunächst Interpellationen erledigt werde"; etwa um S Uhr beginnt gewöhnlich die ernstere Discussion und dauert bis 7Vz Uhr; dann gehen fast Alle zum Essen, aber die Sitzung wird nicht suspendirt, es bleiben vielmehr gerade so viel Mitglieder da als nöthig um dos Haus beschlußfähig zu machen, und vor den leeren Bänken sprechen die kleinen Redner, die 6ü rainorum gsntwm, bis dann etwa um 9 Uhr die Menge zurückkehrt und die große Debatte wieder anfängt. kam, erklärte Disraeli, von solchen Zusicherungen nichts zu wissen und blieb bei ") Es besteht nämlich in England folgender wunderlicher Geschäftsgang. Die Sitzung
wird um 4>/j Uhr eröffnet, worauf zunächst Interpellationen erledigt werde»; etwa um S Uhr beginnt gewöhnlich die ernstere Discussion und dauert bis 7Vz Uhr; dann gehen fast Alle zum Essen, aber die Sitzung wird nicht suspendirt, es bleiben vielmehr gerade so viel Mitglieder da als nöthig um dos Haus beschlußfähig zu machen, und vor den leeren Bänken sprechen die kleinen Redner, die 6ü rainorum gsntwm, bis dann etwa um 9 Uhr die Menge zurückkehrt und die große Debatte wieder anfängt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287502"/> <p xml:id="ID_593" prev="#ID_592" next="#ID_594"> kam, erklärte Disraeli, von solchen Zusicherungen nichts zu wissen und blieb bei<lb/> seiner Forderung, daß solche Miether die volle Abgabe, auf die ihre Wohnung<lb/> taxirt sei, zahlen müßten um Stimmrecht zu erhalten. Als man nun ihm die Unge¬<lb/> rechtigkeit vorhielt, die darin liege, daß ein Mann, der bisher durch seinen Haus¬<lb/> wirth 16 Shilling gezahlt, nun 20 Shilling zahlen müsse, auf die sein Haus ur¬<lb/> sprünglich geschätzt sei, machte er die Concession, daß der Compounder künf¬<lb/> tig berechtigt sein solle, den vollen Betrag der Steuer, den er direct bezahle,<lb/> von seiner Miethe abzuziehen. Es war indeß klar, daß dies nur eine schein¬<lb/> bare Lösung bot; in dem angegebenen Falle würde so der Hausetgenthümer<lb/> 5 Shilling weniger an Miethe erhalten, ein Verlust zu dem er sich offenbar<lb/> nicht verstehen wird, er wird also einfach die Miethe um 5 Shilling erhöhen,<lb/> so daß der Miether nur die Wahl hat, diese Prämie für die Gewährung<lb/> des Wahlrechts zu zahlen oder es beim Alten zu lassen, also auf die Zu¬<lb/> lassung zur Wahl zu verzichten. Trotz der beredten Auseinandersetzungen<lb/> der Opposition blieb Disraeli bei seiner Auffassung, lehnte die Aufhebung<lb/> des eompoulläi'ng' oder eine Aenderung der Gesetze über die Gemeindeabgaben<lb/> entschieden ab und siegte bei der Abstimmung mit erheblicher Mehrheit. Nach¬<lb/> dem nun dieser kritische Punkt glücklich umschifft war, ignorirte Disraeli<lb/> mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit alle Erklärungen, die er gegen die Un¬<lb/> gerechtigkeit einer in Zahlen ausgedrückten Grenze für das Stimmrecht (Kg.ra<lb/> ana last uns) gegeben, gestand die bisher verweigerte Clausel für Miether ein¬<lb/> zelner Zimmer zu und proponirte eine Qualification von 10 Pfd. Sterl.<lb/> dafür. Aber die größte Ueberraschung sollte noch kommen. Am 18. Mai<lb/> stellte ein wenig bekanntes Mitglied, Herr Hodkinson, den Antrag, das ganze<lb/> System des eomxounäinA abzuschaffen und nur solche Leute auf das Steuer¬<lb/> register zu setzen, folglich für stimmfähig zu erklären, welche ihre Abgaben<lb/> direct bezahlten. Gladstone erkannte an, daß dieser Vorschlag, da einmal das<lb/> von ihm bekämpfte Prinzip angenommen sei, die Bill sehr vereinfachen und<lb/> verbessern würde; und siehe da, während die meisten Mitglieder zum Essen<lb/> gegangen waren*), erhob sich Disraeli, der noch neulich die Aufforderung<lb/> Hibbert's, die Accordgesetze zu ändern, als eine unbedachte Neuerung zurück¬<lb/> gewiesen, und erklärte das Amendement sei ihm aus der Seele gesprochen, er<lb/> habe ein derartiges Verfahren immer für das richtige gehalten und würde es<lb/> selbst schon früher vorgeschlagen haben, wenn die Regierung Meister der</p><lb/> <note xml:id="FID_37" place="foot"> ") Es besteht nämlich in England folgender wunderlicher Geschäftsgang. Die Sitzung<lb/> wird um 4>/j Uhr eröffnet, worauf zunächst Interpellationen erledigt werde»; etwa um S<lb/> Uhr beginnt gewöhnlich die ernstere Discussion und dauert bis 7Vz Uhr; dann gehen fast<lb/> Alle zum Essen, aber die Sitzung wird nicht suspendirt, es bleiben vielmehr gerade so viel<lb/> Mitglieder da als nöthig um dos Haus beschlußfähig zu machen, und vor den leeren Bänken<lb/> sprechen die kleinen Redner, die 6ü rainorum gsntwm, bis dann etwa um 9 Uhr die Menge<lb/> zurückkehrt und die große Debatte wieder anfängt.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
kam, erklärte Disraeli, von solchen Zusicherungen nichts zu wissen und blieb bei
seiner Forderung, daß solche Miether die volle Abgabe, auf die ihre Wohnung
taxirt sei, zahlen müßten um Stimmrecht zu erhalten. Als man nun ihm die Unge¬
rechtigkeit vorhielt, die darin liege, daß ein Mann, der bisher durch seinen Haus¬
wirth 16 Shilling gezahlt, nun 20 Shilling zahlen müsse, auf die sein Haus ur¬
sprünglich geschätzt sei, machte er die Concession, daß der Compounder künf¬
tig berechtigt sein solle, den vollen Betrag der Steuer, den er direct bezahle,
von seiner Miethe abzuziehen. Es war indeß klar, daß dies nur eine schein¬
bare Lösung bot; in dem angegebenen Falle würde so der Hausetgenthümer
5 Shilling weniger an Miethe erhalten, ein Verlust zu dem er sich offenbar
nicht verstehen wird, er wird also einfach die Miethe um 5 Shilling erhöhen,
so daß der Miether nur die Wahl hat, diese Prämie für die Gewährung
des Wahlrechts zu zahlen oder es beim Alten zu lassen, also auf die Zu¬
lassung zur Wahl zu verzichten. Trotz der beredten Auseinandersetzungen
der Opposition blieb Disraeli bei seiner Auffassung, lehnte die Aufhebung
des eompoulläi'ng' oder eine Aenderung der Gesetze über die Gemeindeabgaben
entschieden ab und siegte bei der Abstimmung mit erheblicher Mehrheit. Nach¬
dem nun dieser kritische Punkt glücklich umschifft war, ignorirte Disraeli
mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit alle Erklärungen, die er gegen die Un¬
gerechtigkeit einer in Zahlen ausgedrückten Grenze für das Stimmrecht (Kg.ra
ana last uns) gegeben, gestand die bisher verweigerte Clausel für Miether ein¬
zelner Zimmer zu und proponirte eine Qualification von 10 Pfd. Sterl.
dafür. Aber die größte Ueberraschung sollte noch kommen. Am 18. Mai
stellte ein wenig bekanntes Mitglied, Herr Hodkinson, den Antrag, das ganze
System des eomxounäinA abzuschaffen und nur solche Leute auf das Steuer¬
register zu setzen, folglich für stimmfähig zu erklären, welche ihre Abgaben
direct bezahlten. Gladstone erkannte an, daß dieser Vorschlag, da einmal das
von ihm bekämpfte Prinzip angenommen sei, die Bill sehr vereinfachen und
verbessern würde; und siehe da, während die meisten Mitglieder zum Essen
gegangen waren*), erhob sich Disraeli, der noch neulich die Aufforderung
Hibbert's, die Accordgesetze zu ändern, als eine unbedachte Neuerung zurück¬
gewiesen, und erklärte das Amendement sei ihm aus der Seele gesprochen, er
habe ein derartiges Verfahren immer für das richtige gehalten und würde es
selbst schon früher vorgeschlagen haben, wenn die Regierung Meister der
") Es besteht nämlich in England folgender wunderlicher Geschäftsgang. Die Sitzung
wird um 4>/j Uhr eröffnet, worauf zunächst Interpellationen erledigt werde»; etwa um S
Uhr beginnt gewöhnlich die ernstere Discussion und dauert bis 7Vz Uhr; dann gehen fast
Alle zum Essen, aber die Sitzung wird nicht suspendirt, es bleiben vielmehr gerade so viel
Mitglieder da als nöthig um dos Haus beschlußfähig zu machen, und vor den leeren Bänken
sprechen die kleinen Redner, die 6ü rainorum gsntwm, bis dann etwa um 9 Uhr die Menge
zurückkehrt und die große Debatte wieder anfängt.
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