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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Eisenbahn-Frachtwesen, Handelsgerichte, Concursordnung; am
Donnerstag: Wechselstempel, Markenschutz und Versicherungs¬
wesen; außerdem die Neuwahl des bleibenden Ausschusses. Die Aufgabe
des Vorsitzenden war bei der Menge der Verhandlungsgegenstände und bei
der Fluth gedruckter und geschriebener Amendements, in denen das rege
Interesse der Theilnehmer unaufhörlich Ausdruck suchte, keine beneidenswerthe.
Hr. Reineke entledigte sich derselben bis zuletzt mit unveränderter Frische
und Liebenswürdigkeit; nur am Donnerstag Nachmittag ließ er sich durch
den ersten Vicepräsidenten, Liebermann-Berlin, vertreten.

Von der glänzenden Soirie im Kroll'schen Etablissement, welche die
ernsten Arbeiten unterbrach, haben die Tagesblätter speciell berichtet. Mochte
man in den dort gehaltenen Reden, denen schon das Programm nur eine
bescheidene Stelle eingeräumt hatte, den warmen Hauch vermissen, welcher den
Mitgliedern des Zollparlaments die Feste des 21. und 22. Mai unvergeßlich
gemacht hat, so war doch sonst die Stimmung eine überaus belebte und der
Verkehr unter den Theilnehmern voller Herzlichkeit. "

Wenden wir uns nun zu den einzelnen Gegenständen der Tagesord¬
nung, so dürfen wir

I. über die Organisationsfrage kurz hinweggehen. Von einschnei¬
dender Bedeutung war nur der von Königsberg ausgegangene, vom Aus¬
schuß adoptirte Vorschlag, das Stimmverhältniß im Plenum nach der Be¬
deutung der einzelnen Korporationen, entsprechend den jährlichen Beiträgen
zu normiren und diese demgemäß in fünf Classen mit 1--S Stimmen ein¬
zutheilen. Es war jedoch in der Debatte kaum das Wort: "Majorisirung
der Kleinen durch die Großen" gefallen, als der Ausschuß jenen Antrag
zurückzog. In der Folge würde sich, wenn der Vorschlag durchgegangen
wäre, bei einigen Beschlüssen das Stimmverhältniß umgekehrt haben; man
darf aber erwarten, daß Regierungen und Zollparlament auch so die Stim¬
men der einzelnen Handelskammern wägen und nicht blos zählen werden.
Die weitere Frage, ob aus Orten, wo eine officielle Handelskammer besteht,
auch Privatvereine zuzulassen seien, führte zu piquanten Mittheilungen über
die Natur der Handelskammern im Großherzogthum Hessen: die Negierung
ernennt dort zuerst die Mitglieder, und diese ergänzen sich in der Folge durch
Cooptation, es sind also erbliche Notabelnversammlungen. Gegen den dar¬
aus hergeleiteten Antrag, daneben auch wirkliche Vertreter des Hnndelsstan-
des zuzulassen, wandte Stephan-Königsberg ein, man möge doch lieber
dafür sorgen, daß der geschilderte "Scandal" beseitigt werde. Seine ge¬
wichtige Stimme drang durch.

II. In der Münzsrage nahm der Handelstag insofern eine etwas
schwierige Stellung ein, als er im Gegensatz zu seinem früheren, noch 1865


Eisenbahn-Frachtwesen, Handelsgerichte, Concursordnung; am
Donnerstag: Wechselstempel, Markenschutz und Versicherungs¬
wesen; außerdem die Neuwahl des bleibenden Ausschusses. Die Aufgabe
des Vorsitzenden war bei der Menge der Verhandlungsgegenstände und bei
der Fluth gedruckter und geschriebener Amendements, in denen das rege
Interesse der Theilnehmer unaufhörlich Ausdruck suchte, keine beneidenswerthe.
Hr. Reineke entledigte sich derselben bis zuletzt mit unveränderter Frische
und Liebenswürdigkeit; nur am Donnerstag Nachmittag ließ er sich durch
den ersten Vicepräsidenten, Liebermann-Berlin, vertreten.

Von der glänzenden Soirie im Kroll'schen Etablissement, welche die
ernsten Arbeiten unterbrach, haben die Tagesblätter speciell berichtet. Mochte
man in den dort gehaltenen Reden, denen schon das Programm nur eine
bescheidene Stelle eingeräumt hatte, den warmen Hauch vermissen, welcher den
Mitgliedern des Zollparlaments die Feste des 21. und 22. Mai unvergeßlich
gemacht hat, so war doch sonst die Stimmung eine überaus belebte und der
Verkehr unter den Theilnehmern voller Herzlichkeit. »

Wenden wir uns nun zu den einzelnen Gegenständen der Tagesord¬
nung, so dürfen wir

I. über die Organisationsfrage kurz hinweggehen. Von einschnei¬
dender Bedeutung war nur der von Königsberg ausgegangene, vom Aus¬
schuß adoptirte Vorschlag, das Stimmverhältniß im Plenum nach der Be¬
deutung der einzelnen Korporationen, entsprechend den jährlichen Beiträgen
zu normiren und diese demgemäß in fünf Classen mit 1—S Stimmen ein¬
zutheilen. Es war jedoch in der Debatte kaum das Wort: „Majorisirung
der Kleinen durch die Großen" gefallen, als der Ausschuß jenen Antrag
zurückzog. In der Folge würde sich, wenn der Vorschlag durchgegangen
wäre, bei einigen Beschlüssen das Stimmverhältniß umgekehrt haben; man
darf aber erwarten, daß Regierungen und Zollparlament auch so die Stim¬
men der einzelnen Handelskammern wägen und nicht blos zählen werden.
Die weitere Frage, ob aus Orten, wo eine officielle Handelskammer besteht,
auch Privatvereine zuzulassen seien, führte zu piquanten Mittheilungen über
die Natur der Handelskammern im Großherzogthum Hessen: die Negierung
ernennt dort zuerst die Mitglieder, und diese ergänzen sich in der Folge durch
Cooptation, es sind also erbliche Notabelnversammlungen. Gegen den dar¬
aus hergeleiteten Antrag, daneben auch wirkliche Vertreter des Hnndelsstan-
des zuzulassen, wandte Stephan-Königsberg ein, man möge doch lieber
dafür sorgen, daß der geschilderte „Scandal" beseitigt werde. Seine ge¬
wichtige Stimme drang durch.

II. In der Münzsrage nahm der Handelstag insofern eine etwas
schwierige Stellung ein, als er im Gegensatz zu seinem früheren, noch 1865


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[0216] Eisenbahn-Frachtwesen, Handelsgerichte, Concursordnung; am Donnerstag: Wechselstempel, Markenschutz und Versicherungs¬ wesen; außerdem die Neuwahl des bleibenden Ausschusses. Die Aufgabe des Vorsitzenden war bei der Menge der Verhandlungsgegenstände und bei der Fluth gedruckter und geschriebener Amendements, in denen das rege Interesse der Theilnehmer unaufhörlich Ausdruck suchte, keine beneidenswerthe. Hr. Reineke entledigte sich derselben bis zuletzt mit unveränderter Frische und Liebenswürdigkeit; nur am Donnerstag Nachmittag ließ er sich durch den ersten Vicepräsidenten, Liebermann-Berlin, vertreten. Von der glänzenden Soirie im Kroll'schen Etablissement, welche die ernsten Arbeiten unterbrach, haben die Tagesblätter speciell berichtet. Mochte man in den dort gehaltenen Reden, denen schon das Programm nur eine bescheidene Stelle eingeräumt hatte, den warmen Hauch vermissen, welcher den Mitgliedern des Zollparlaments die Feste des 21. und 22. Mai unvergeßlich gemacht hat, so war doch sonst die Stimmung eine überaus belebte und der Verkehr unter den Theilnehmern voller Herzlichkeit. » Wenden wir uns nun zu den einzelnen Gegenständen der Tagesord¬ nung, so dürfen wir I. über die Organisationsfrage kurz hinweggehen. Von einschnei¬ dender Bedeutung war nur der von Königsberg ausgegangene, vom Aus¬ schuß adoptirte Vorschlag, das Stimmverhältniß im Plenum nach der Be¬ deutung der einzelnen Korporationen, entsprechend den jährlichen Beiträgen zu normiren und diese demgemäß in fünf Classen mit 1—S Stimmen ein¬ zutheilen. Es war jedoch in der Debatte kaum das Wort: „Majorisirung der Kleinen durch die Großen" gefallen, als der Ausschuß jenen Antrag zurückzog. In der Folge würde sich, wenn der Vorschlag durchgegangen wäre, bei einigen Beschlüssen das Stimmverhältniß umgekehrt haben; man darf aber erwarten, daß Regierungen und Zollparlament auch so die Stim¬ men der einzelnen Handelskammern wägen und nicht blos zählen werden. Die weitere Frage, ob aus Orten, wo eine officielle Handelskammer besteht, auch Privatvereine zuzulassen seien, führte zu piquanten Mittheilungen über die Natur der Handelskammern im Großherzogthum Hessen: die Negierung ernennt dort zuerst die Mitglieder, und diese ergänzen sich in der Folge durch Cooptation, es sind also erbliche Notabelnversammlungen. Gegen den dar¬ aus hergeleiteten Antrag, daneben auch wirkliche Vertreter des Hnndelsstan- des zuzulassen, wandte Stephan-Königsberg ein, man möge doch lieber dafür sorgen, daß der geschilderte „Scandal" beseitigt werde. Seine ge¬ wichtige Stimme drang durch. II. In der Münzsrage nahm der Handelstag insofern eine etwas schwierige Stellung ein, als er im Gegensatz zu seinem früheren, noch 1865

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/216>, abgerufen am 05.02.2025.