Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.Lassalle's im gegenwärtigen Augenblick wieder aufzunehmen gedenkt, so zeugt An dem diplomatischen Himmel Preußens hat sich nur ein einziges Ge¬ In Rußland, dessen Herrscher nach mehrmonatlicher Abwesenheit in Lassalle's im gegenwärtigen Augenblick wieder aufzunehmen gedenkt, so zeugt An dem diplomatischen Himmel Preußens hat sich nur ein einziges Ge¬ In Rußland, dessen Herrscher nach mehrmonatlicher Abwesenheit in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287484"/> <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> Lassalle's im gegenwärtigen Augenblick wieder aufzunehmen gedenkt, so zeugt<lb/> schon die Wahl des Zeitpunkts für ihre Unbelehrbarkeit. Mag die altconser-<lb/> vative Partei auch dessen gewiß sein, daß Herr von Schweitzer zu den Geistern<lb/> gehört, die sich wieder beschwören lassen, wenn sie lästig werden — seit Jahr<lb/> und Tag weiß der harmloseste Zeitungsleser, daß die Sache des vierten Standes<lb/> in Preußen den Herausgeber des Socialdemokraten nicht mehr braucht und daß<lb/> derselbe täglich durch eine Legion anderer Führer ersetzt werden kann. Nur der<lb/> völlig urtheilslose Leichtsinn kann mit einem Dinge spielen, dessen Rolle in<lb/> der künftigen Gestaltung der europäischen Dinge schlechterdings nicht abzu¬<lb/> sehen ist, dessen Interessen zu eigenartig beschaffen sind, um irgendwelche<lb/> Alliancen nach rechts offen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_550"> An dem diplomatischen Himmel Preußens hat sich nur ein einziges Ge¬<lb/> wölk, die von französischen Preßstimmen unterstützte Mahnung Dänemarks<lb/> zu allendlicher Regulirung der Schleswig-jütischen Grenze, gezeigt. Die ber¬<lb/> liner Regierung soll die Absicht haben, diese Angelegenheit nicht dem bevor¬<lb/> stehenden preußischen Landtage, sondern dem nächsten Reichstage vorzulegen,<lb/> mithin in das nächste Jahr hinauszuschieben. Den Landtag erwartet nächst<lb/> den Berathungen über die Umgestaltung der Provincial- und Kreisverfassung<lb/> (an deren diesjährigen Abschluß kaum Jemand innerhalb oder außerhalb<lb/> Preußens glaubt) die Aufgabe, für ein Deficit von fünf Millionen Rath zu<lb/> schaffen, ein Umstand, der der „Temperatur" des Hauses am Dönhofsplatz<lb/> nicht zu Gute kommen wird, wenn die Offiziösen auch eine Deckung ohne<lb/> Steuererhöhung in Aussicht gestellt haben. Den Ministern des Innern und<lb/> des Cultus steht eine ziemlich' lange Reihe von peinlichen Interpellationen<lb/> aus den alten, wie den neuen Provinzen bevor und wenn der Gegensatz<lb/> zwischen Alt- und Neupreußen nicht auch diesmal einen Keil in die Ge¬<lb/> schlossenheit der alten Parteien treibt, so wird das Verhältniß des Cabinets<lb/> zur Majorität selbst im Vergleich zum letzten, bereits ziemlich stürmischen Früh¬<lb/> jahrs wesentlich verschlimmert sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> In Rußland, dessen Herrscher nach mehrmonatlicher Abwesenheit in<lb/> Deutschland Anfang October in seine Residenz zurückgekehrt ist, wird das<lb/> System der Vernichtung alles dessen, was von polnischem Wesen in dem<lb/> „Weichsellande", in Litthauen und in Weißrußland übrig geblieben, unauf¬<lb/> haltsam bis in seine letzten Konsequenzen durchgeführt. „Um die Confesstons-<lb/> srage von der Nationalitätsfrage zu trennen" sind Anstalten getroffen, die<lb/> russische Sprache in die katholischen Gottesdienste einzuführen; katholische<lb/> Ritualbücher und Katechismen waren schon früher in das Russische übertragen<lb/> worden, und wie der Golos neulich berichtete, existirt auch Luther's kleiner<lb/> Katechismus in einer russischen Ausgabe — zunächst um in den polnisch-<lb/> und deutsch-protestantischen Gemeinden des wilnaer Generalgouvernements</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Lassalle's im gegenwärtigen Augenblick wieder aufzunehmen gedenkt, so zeugt
schon die Wahl des Zeitpunkts für ihre Unbelehrbarkeit. Mag die altconser-
vative Partei auch dessen gewiß sein, daß Herr von Schweitzer zu den Geistern
gehört, die sich wieder beschwören lassen, wenn sie lästig werden — seit Jahr
und Tag weiß der harmloseste Zeitungsleser, daß die Sache des vierten Standes
in Preußen den Herausgeber des Socialdemokraten nicht mehr braucht und daß
derselbe täglich durch eine Legion anderer Führer ersetzt werden kann. Nur der
völlig urtheilslose Leichtsinn kann mit einem Dinge spielen, dessen Rolle in
der künftigen Gestaltung der europäischen Dinge schlechterdings nicht abzu¬
sehen ist, dessen Interessen zu eigenartig beschaffen sind, um irgendwelche
Alliancen nach rechts offen zu lassen.
An dem diplomatischen Himmel Preußens hat sich nur ein einziges Ge¬
wölk, die von französischen Preßstimmen unterstützte Mahnung Dänemarks
zu allendlicher Regulirung der Schleswig-jütischen Grenze, gezeigt. Die ber¬
liner Regierung soll die Absicht haben, diese Angelegenheit nicht dem bevor¬
stehenden preußischen Landtage, sondern dem nächsten Reichstage vorzulegen,
mithin in das nächste Jahr hinauszuschieben. Den Landtag erwartet nächst
den Berathungen über die Umgestaltung der Provincial- und Kreisverfassung
(an deren diesjährigen Abschluß kaum Jemand innerhalb oder außerhalb
Preußens glaubt) die Aufgabe, für ein Deficit von fünf Millionen Rath zu
schaffen, ein Umstand, der der „Temperatur" des Hauses am Dönhofsplatz
nicht zu Gute kommen wird, wenn die Offiziösen auch eine Deckung ohne
Steuererhöhung in Aussicht gestellt haben. Den Ministern des Innern und
des Cultus steht eine ziemlich' lange Reihe von peinlichen Interpellationen
aus den alten, wie den neuen Provinzen bevor und wenn der Gegensatz
zwischen Alt- und Neupreußen nicht auch diesmal einen Keil in die Ge¬
schlossenheit der alten Parteien treibt, so wird das Verhältniß des Cabinets
zur Majorität selbst im Vergleich zum letzten, bereits ziemlich stürmischen Früh¬
jahrs wesentlich verschlimmert sein.
In Rußland, dessen Herrscher nach mehrmonatlicher Abwesenheit in
Deutschland Anfang October in seine Residenz zurückgekehrt ist, wird das
System der Vernichtung alles dessen, was von polnischem Wesen in dem
„Weichsellande", in Litthauen und in Weißrußland übrig geblieben, unauf¬
haltsam bis in seine letzten Konsequenzen durchgeführt. „Um die Confesstons-
srage von der Nationalitätsfrage zu trennen" sind Anstalten getroffen, die
russische Sprache in die katholischen Gottesdienste einzuführen; katholische
Ritualbücher und Katechismen waren schon früher in das Russische übertragen
worden, und wie der Golos neulich berichtete, existirt auch Luther's kleiner
Katechismus in einer russischen Ausgabe — zunächst um in den polnisch-
und deutsch-protestantischen Gemeinden des wilnaer Generalgouvernements
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