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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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eingeführt zu werden. Daß in weiterer Perspective auch an eine Einführung
dieses nationalen Vehicels in Liv-, Esth- und Kurland gedacht werde, ist von
der Presse der national-demokratischen Partei bereits ziemlich deutlich gesagt wor¬
den. Der fanatische Eifer gegen die deutschen und polnischen Elemente in der
westlichen, zur Assimilation mit der "herrschenden Nationalität" bestimmten
Reichshälfte steht auf einer Höhe, die man für den Zenith der gesammten seit 1863
in Fluß gekommenen Bewegung halten könnte, wenn nicht bekannt wäre, daß
die Einführung der russischen Sprache in die katholischen Gottesdienste mit
dem Siege einer gemäßigten Fraction der Nationalpartei identisch ist.
Die Enrages des Panslavismus, die sogenannten Slavophilen, haben diese
Maßregel aufs Lebhafteste bekämpft, weil ihnen die Begriffe Rusfenthum und
Alleinherrschaft der griechisch-orthodoxen Kirche gleichbedeutend sind und sie
die förmliche Ausrottung der "fremdländischen" Confessionen mit Hilfe einer
gut organisirten Propaganda fertig zu bringen gedenken; Katkow, der Re¬
dacteur der Moskauschen Zeitung, bekämpfte den Plan der Ausrottung des
Katholicismus dagegen.aufs Aeußerste, indem er nachwies, daß derselbe un¬
ausführbar sei und nur einen verstärkten Einfluß des polnischen Clerus auf die
der Regierung gewonnenen Bauern zur Folge haben werde. Nach jahrelangem
Kampf gegen das nationale Vorurtheil und die Furcht der Geistlichkeit,
welche in einer russisch-katholischen Kirche eine gefährliche Rivalin sieht, hat
der einflußreiche Publicist endlich sein Programm durchgesetzt.

Nächst den Vernichtungsmaßregeln gegen Polen haben der Erlaß eines
Gesetzes über Umgestaltung der Agrarverhältnisse in Bessarabien und die Er¬
öffnung neuer Eisenbahnlinien (Riga-Mitau und Smolensk-Witepsy die
Aufmerksamkeit des russischen Publicums hauptsächlich beschäftigt. Ueber eine
andere, erst zu bauende Linie, welche auch für Preußen von großer Wichtig¬
keit ist, wird in der russischen Presse noch lebhast gestritten: die Nationäl-
Partei wünscht den kurländischen Hafenort Libau mit Kowno zu verbinden,
um den westrussischen Export, der bisher auf Königsberg gerichtet war. nach
Libau zu dirigiren und diese Stadt dadurch mit dem Innern Rußlands und
dessen Interessen enger zu verbinden. In den Ostseeprovinzen sähe man
Libau lieber mit Riga verbunden und die Regierung scheint bis jetzt diesem
letzteren Project zuzuneigen. Die moskauer Presse ermangelt nicht, diese
"Schädigung der russischen Interessen" preußischen Intriguen zur Last zu
legen und dadurch den tiefen Groll zu nähren, den ihre Anhängerschaft schon
lange gegen den aufstrebenden, von der russischen Vormundschaft emancipirten
preußisch-deutschen Staat hegt. Die russisch-preußische Alliance ist von dieser
Seite her schon vor einiger Zeit Angriffen ausgesetzt gewesen, die denen der
wiener und pariser Presse an Rücksichtslosigkeit nichts nachgaben. In den
letzten Wochen sind die offenen Angriffe der Nationalpartei gegen Preußen


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eingeführt zu werden. Daß in weiterer Perspective auch an eine Einführung
dieses nationalen Vehicels in Liv-, Esth- und Kurland gedacht werde, ist von
der Presse der national-demokratischen Partei bereits ziemlich deutlich gesagt wor¬
den. Der fanatische Eifer gegen die deutschen und polnischen Elemente in der
westlichen, zur Assimilation mit der „herrschenden Nationalität" bestimmten
Reichshälfte steht auf einer Höhe, die man für den Zenith der gesammten seit 1863
in Fluß gekommenen Bewegung halten könnte, wenn nicht bekannt wäre, daß
die Einführung der russischen Sprache in die katholischen Gottesdienste mit
dem Siege einer gemäßigten Fraction der Nationalpartei identisch ist.
Die Enrages des Panslavismus, die sogenannten Slavophilen, haben diese
Maßregel aufs Lebhafteste bekämpft, weil ihnen die Begriffe Rusfenthum und
Alleinherrschaft der griechisch-orthodoxen Kirche gleichbedeutend sind und sie
die förmliche Ausrottung der „fremdländischen" Confessionen mit Hilfe einer
gut organisirten Propaganda fertig zu bringen gedenken; Katkow, der Re¬
dacteur der Moskauschen Zeitung, bekämpfte den Plan der Ausrottung des
Katholicismus dagegen.aufs Aeußerste, indem er nachwies, daß derselbe un¬
ausführbar sei und nur einen verstärkten Einfluß des polnischen Clerus auf die
der Regierung gewonnenen Bauern zur Folge haben werde. Nach jahrelangem
Kampf gegen das nationale Vorurtheil und die Furcht der Geistlichkeit,
welche in einer russisch-katholischen Kirche eine gefährliche Rivalin sieht, hat
der einflußreiche Publicist endlich sein Programm durchgesetzt.

Nächst den Vernichtungsmaßregeln gegen Polen haben der Erlaß eines
Gesetzes über Umgestaltung der Agrarverhältnisse in Bessarabien und die Er¬
öffnung neuer Eisenbahnlinien (Riga-Mitau und Smolensk-Witepsy die
Aufmerksamkeit des russischen Publicums hauptsächlich beschäftigt. Ueber eine
andere, erst zu bauende Linie, welche auch für Preußen von großer Wichtig¬
keit ist, wird in der russischen Presse noch lebhast gestritten: die Nationäl-
Partei wünscht den kurländischen Hafenort Libau mit Kowno zu verbinden,
um den westrussischen Export, der bisher auf Königsberg gerichtet war. nach
Libau zu dirigiren und diese Stadt dadurch mit dem Innern Rußlands und
dessen Interessen enger zu verbinden. In den Ostseeprovinzen sähe man
Libau lieber mit Riga verbunden und die Regierung scheint bis jetzt diesem
letzteren Project zuzuneigen. Die moskauer Presse ermangelt nicht, diese
»Schädigung der russischen Interessen" preußischen Intriguen zur Last zu
legen und dadurch den tiefen Groll zu nähren, den ihre Anhängerschaft schon
lange gegen den aufstrebenden, von der russischen Vormundschaft emancipirten
preußisch-deutschen Staat hegt. Die russisch-preußische Alliance ist von dieser
Seite her schon vor einiger Zeit Angriffen ausgesetzt gewesen, die denen der
wiener und pariser Presse an Rücksichtslosigkeit nichts nachgaben. In den
letzten Wochen sind die offenen Angriffe der Nationalpartei gegen Preußen


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[0213] eingeführt zu werden. Daß in weiterer Perspective auch an eine Einführung dieses nationalen Vehicels in Liv-, Esth- und Kurland gedacht werde, ist von der Presse der national-demokratischen Partei bereits ziemlich deutlich gesagt wor¬ den. Der fanatische Eifer gegen die deutschen und polnischen Elemente in der westlichen, zur Assimilation mit der „herrschenden Nationalität" bestimmten Reichshälfte steht auf einer Höhe, die man für den Zenith der gesammten seit 1863 in Fluß gekommenen Bewegung halten könnte, wenn nicht bekannt wäre, daß die Einführung der russischen Sprache in die katholischen Gottesdienste mit dem Siege einer gemäßigten Fraction der Nationalpartei identisch ist. Die Enrages des Panslavismus, die sogenannten Slavophilen, haben diese Maßregel aufs Lebhafteste bekämpft, weil ihnen die Begriffe Rusfenthum und Alleinherrschaft der griechisch-orthodoxen Kirche gleichbedeutend sind und sie die förmliche Ausrottung der „fremdländischen" Confessionen mit Hilfe einer gut organisirten Propaganda fertig zu bringen gedenken; Katkow, der Re¬ dacteur der Moskauschen Zeitung, bekämpfte den Plan der Ausrottung des Katholicismus dagegen.aufs Aeußerste, indem er nachwies, daß derselbe un¬ ausführbar sei und nur einen verstärkten Einfluß des polnischen Clerus auf die der Regierung gewonnenen Bauern zur Folge haben werde. Nach jahrelangem Kampf gegen das nationale Vorurtheil und die Furcht der Geistlichkeit, welche in einer russisch-katholischen Kirche eine gefährliche Rivalin sieht, hat der einflußreiche Publicist endlich sein Programm durchgesetzt. Nächst den Vernichtungsmaßregeln gegen Polen haben der Erlaß eines Gesetzes über Umgestaltung der Agrarverhältnisse in Bessarabien und die Er¬ öffnung neuer Eisenbahnlinien (Riga-Mitau und Smolensk-Witepsy die Aufmerksamkeit des russischen Publicums hauptsächlich beschäftigt. Ueber eine andere, erst zu bauende Linie, welche auch für Preußen von großer Wichtig¬ keit ist, wird in der russischen Presse noch lebhast gestritten: die Nationäl- Partei wünscht den kurländischen Hafenort Libau mit Kowno zu verbinden, um den westrussischen Export, der bisher auf Königsberg gerichtet war. nach Libau zu dirigiren und diese Stadt dadurch mit dem Innern Rußlands und dessen Interessen enger zu verbinden. In den Ostseeprovinzen sähe man Libau lieber mit Riga verbunden und die Regierung scheint bis jetzt diesem letzteren Project zuzuneigen. Die moskauer Presse ermangelt nicht, diese »Schädigung der russischen Interessen" preußischen Intriguen zur Last zu legen und dadurch den tiefen Groll zu nähren, den ihre Anhängerschaft schon lange gegen den aufstrebenden, von der russischen Vormundschaft emancipirten preußisch-deutschen Staat hegt. Die russisch-preußische Alliance ist von dieser Seite her schon vor einiger Zeit Angriffen ausgesetzt gewesen, die denen der wiener und pariser Presse an Rücksichtslosigkeit nichts nachgaben. In den letzten Wochen sind die offenen Angriffe der Nationalpartei gegen Preußen 25'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/213>, abgerufen am 05.02.2025.