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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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offenbart. Mit guten Beziehungen und nachhaltigen Einflüssen in Spanien
und Italien ließ sich ebenso wenig renommiren, wie mit dem Respect, den man
Preußen und Deutschland eingeflößt hätte, oder den guten Beziehungen zu
Rußland; selbst von dem Project einer militärisch - commerciellen Alliance
mit Holland und Belgien ließ sich noch nicht öffentlich reden, da dasselbe bis
jetzt keine Chancen auf Erfolg hat. So mußte der hohe Werth der Freund¬
schaft Oestreichs in ein möglichst Helles Licht gerückt werden und um die
Franzosen glauben zu machen, Hand in Hand mit Herrn von Beust ver¬
möchte der Kaiser immer noch den Welttheil aus den Angeln zu Heben, ver¬
stieg das officielle pariser Organ sich zu nachstehendem Urtheil über die
gegenwärtige innere Lage des östreichischen Kaiserstaats: "Ungeachtet einzelner
Schwierigkeiten befestigt sich die Neugestaltung der östreichischen Monarchie mit
jeden Tage und die feindlichen Strömungen, welche sich auf den Landtagen
von Prag und Lemberg geltend machten, haben weder die wohlwollenden
Absichten des Kaisers Franz Joseph, noch die Gefühle der Dankbarkeit und
des Vertrauens bei seinen Völkern abzuschwächen vermocht." Selbst wenn man
diesen Satz umkehrte und behauptete, die Vorgänge in Gallizien und Böhmen
hätten hingereicht, was von Vertrauen bei den Völkern und von gutem
Willen bei der Regierung übrig geblieben, zu erschüttern, man hätte doch
noch nicht die Düsterkeit des Bildes erreicht, welches in denselben Tagen von
der "Neuen freien Presse" vor den Augen des neuversammelten wiener
Neichsraths entrollt wurde. "Der Zeitabschnitt von der einen bis zur andern
Parlamentssession ist in einigen Tagen beendet: er ist düsterer und unruhiger
gewesen, als wir gefürchtet hatten" -- so beginnt die Rundschau welche das
officiöse Organ des östreichischen Liberalismus über die vier Monate hält.
Welche seit dem 24. Juni dieses Jahres verflossen sind. Und in der That --
die Unmöglichkeit, eine Staatsform für Oestreich zu finden, welche den An¬
sprüchen der drei Hauptgruppen: Deutschen, Magyaren und Slaven in
gleicher Weise entspräche, hat sich kaum jemals so schlagend ausgewiesen,
wie bei dem Versuch, die Arbeit des Reichstags vom ersten Halbjahr 1868
durch die territorialen Landtage besiegeln zu lassen. So groß ist die Zer¬
fahrenheit der Nationalitäten und Stämme, welche in Betracht kommen, daß
nicht einmal innerhalb der einzelnen Hauptgruppen eine Einigung erzielt
werden konnte, welche für das Gelingen des staatlichen Neubaus Garantien
böte. Während die Ruthenen Galiziens nach Rußland, die Raizen nach Ser¬
bien gravitiren, die Polen die Wiederherstellung der alten "königlichen Re¬
publik" als letztes Ziel ihrer Politik bezeichnen, die Czechen die Reeon-
struction des Föderativsystems anstreben, kämpfen in Deutschöstreich die
Parteien der Constitutionell-Liberalen und der altöstreichischen Ultramontanen
auf Tod und Leben. Nicht nur, daß die Renitenz der Bischöfe gegen die


offenbart. Mit guten Beziehungen und nachhaltigen Einflüssen in Spanien
und Italien ließ sich ebenso wenig renommiren, wie mit dem Respect, den man
Preußen und Deutschland eingeflößt hätte, oder den guten Beziehungen zu
Rußland; selbst von dem Project einer militärisch - commerciellen Alliance
mit Holland und Belgien ließ sich noch nicht öffentlich reden, da dasselbe bis
jetzt keine Chancen auf Erfolg hat. So mußte der hohe Werth der Freund¬
schaft Oestreichs in ein möglichst Helles Licht gerückt werden und um die
Franzosen glauben zu machen, Hand in Hand mit Herrn von Beust ver¬
möchte der Kaiser immer noch den Welttheil aus den Angeln zu Heben, ver¬
stieg das officielle pariser Organ sich zu nachstehendem Urtheil über die
gegenwärtige innere Lage des östreichischen Kaiserstaats: „Ungeachtet einzelner
Schwierigkeiten befestigt sich die Neugestaltung der östreichischen Monarchie mit
jeden Tage und die feindlichen Strömungen, welche sich auf den Landtagen
von Prag und Lemberg geltend machten, haben weder die wohlwollenden
Absichten des Kaisers Franz Joseph, noch die Gefühle der Dankbarkeit und
des Vertrauens bei seinen Völkern abzuschwächen vermocht." Selbst wenn man
diesen Satz umkehrte und behauptete, die Vorgänge in Gallizien und Böhmen
hätten hingereicht, was von Vertrauen bei den Völkern und von gutem
Willen bei der Regierung übrig geblieben, zu erschüttern, man hätte doch
noch nicht die Düsterkeit des Bildes erreicht, welches in denselben Tagen von
der „Neuen freien Presse" vor den Augen des neuversammelten wiener
Neichsraths entrollt wurde. „Der Zeitabschnitt von der einen bis zur andern
Parlamentssession ist in einigen Tagen beendet: er ist düsterer und unruhiger
gewesen, als wir gefürchtet hatten" — so beginnt die Rundschau welche das
officiöse Organ des östreichischen Liberalismus über die vier Monate hält.
Welche seit dem 24. Juni dieses Jahres verflossen sind. Und in der That —
die Unmöglichkeit, eine Staatsform für Oestreich zu finden, welche den An¬
sprüchen der drei Hauptgruppen: Deutschen, Magyaren und Slaven in
gleicher Weise entspräche, hat sich kaum jemals so schlagend ausgewiesen,
wie bei dem Versuch, die Arbeit des Reichstags vom ersten Halbjahr 1868
durch die territorialen Landtage besiegeln zu lassen. So groß ist die Zer¬
fahrenheit der Nationalitäten und Stämme, welche in Betracht kommen, daß
nicht einmal innerhalb der einzelnen Hauptgruppen eine Einigung erzielt
werden konnte, welche für das Gelingen des staatlichen Neubaus Garantien
böte. Während die Ruthenen Galiziens nach Rußland, die Raizen nach Ser¬
bien gravitiren, die Polen die Wiederherstellung der alten »königlichen Re¬
publik" als letztes Ziel ihrer Politik bezeichnen, die Czechen die Reeon-
struction des Föderativsystems anstreben, kämpfen in Deutschöstreich die
Parteien der Constitutionell-Liberalen und der altöstreichischen Ultramontanen
auf Tod und Leben. Nicht nur, daß die Renitenz der Bischöfe gegen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/209>, abgerufen am 05.02.2025.