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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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hielt seine Sitzungen im Senatsgebäude und zwar unter Vorsitz des tauben
Fürsten Lopuchin; als Generalprocurator fungirte der Fürst Lobanow
Rostowsky. als Secretär der erwähnte Shurawlew. -- Der aus achtzig
Gliedern bestehende Gerichtshof wählte aus seiner Mitte ein Comite zur Ein-
theilung der Staatsverbrecher in Kategorien, d. h. zur Ermittelung des
Grades der Schuld, deren die Einzelnen theilhaft waren. In diesem Comite
saßen Graf P. A. Tolstoi, Wassiltschikow*), Speransky^), Stroganow, Ko-
marowsky, Kuschnikow, Engel, Graf Kutaissow und der thätigste unter allen
unseren Richtern, D. O. Baranow, derselbe, der sich vorher gemeinsam mit
dem Grafen Benkendorff von der Echtheit unserer Unterschriften und ge¬
schriebenen Antworten überzeugt hatte. --

Als wir aus der Kommandantur heraus- und in unsere Casematten zu¬
rückgeführt wurden, fah ich bei der Pforte und vor dem Hause eine Menge
von General-Adjutanten, Regiments-Adjutanten und Lakeien, die sich her¬
an drängten, um uns ins Auge zu fassen. Da wir Fünf bis zur Case-
matte zusammengingen, war es natürlich, daß wir uns des Wiedersehens nach
langer Einkerkerung erfreuten und uns lebhaft und freundschaftlich unterhielten;
dieser Umstand wurde außerhalb der Festungsmauern als "stolze Verachtung" "
der verhängten Strafe -- nicht zu unseren Vortheil -- weiter erzählt. -- Ich
wurde nicht in meine Zelle Ur. 13, sondern in die Käsematte des Laborator-
Bollwerks geführt, wo man mir ein Zimmerchen mit ziemlich großem Fenster,
dessen unterste Glasscheiben mit Kreide beweißt waren, anwies. An den Wän¬
den las ich die Namen der hier eingesperrt gewesenen Gefangenen, von denen
nur einer, Graf H. Gr. Tschernytschew verurtheilt worden war. Ein so Helles
Gemach hatte ich seit Monaten nicht bewohnt, schlaflos ging ich die ganze
Nacht in meinem kleinen, blos neun Schritte haltenden Zimmer aus und
nieder -- die Sonne verschwand nur auf wenige Stunden vom Horizont,
denn wir befanden uns in einer jener nordischen Julinächte, wo es überhaupt
nicht dunkel wird. Der Platzadjutant hatte mir vor seinem Weggehen gesagt,
daß er mich früh Morgens zur Vollziehung der Sentenz abholen würde.
Ich erwartete eine unverzügliche Abfertigung zur weiten Reise in eine sibi¬
rische Festung.

So brach der 13. Juli an. Noch vor Sonnenaufgang führte man mich
auf den Festungsplatz, wo ein großes Quarre von Truppenabtheilungen des
Pawlowschen Leibgarde-Regiments und der Festungs-Artillerie aufgestellt war.
Man geleitete mich in das Viereck, wo schon einige meiner Unglücksgefährten
dastanden, und die Uebrigen nach und nach eingeführt wurden. Ich freute
mich, meine Bekannten wiederzusehen; Alle umarmten einander, Jeder suchte




Später Präsident des Reichsraths.
-) Der berühmte russische Codisicator und Schöpfer der Geseizcssammlqng (Swod Sokonow).
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hielt seine Sitzungen im Senatsgebäude und zwar unter Vorsitz des tauben
Fürsten Lopuchin; als Generalprocurator fungirte der Fürst Lobanow
Rostowsky. als Secretär der erwähnte Shurawlew. — Der aus achtzig
Gliedern bestehende Gerichtshof wählte aus seiner Mitte ein Comite zur Ein-
theilung der Staatsverbrecher in Kategorien, d. h. zur Ermittelung des
Grades der Schuld, deren die Einzelnen theilhaft waren. In diesem Comite
saßen Graf P. A. Tolstoi, Wassiltschikow*), Speransky^), Stroganow, Ko-
marowsky, Kuschnikow, Engel, Graf Kutaissow und der thätigste unter allen
unseren Richtern, D. O. Baranow, derselbe, der sich vorher gemeinsam mit
dem Grafen Benkendorff von der Echtheit unserer Unterschriften und ge¬
schriebenen Antworten überzeugt hatte. —

Als wir aus der Kommandantur heraus- und in unsere Casematten zu¬
rückgeführt wurden, fah ich bei der Pforte und vor dem Hause eine Menge
von General-Adjutanten, Regiments-Adjutanten und Lakeien, die sich her¬
an drängten, um uns ins Auge zu fassen. Da wir Fünf bis zur Case-
matte zusammengingen, war es natürlich, daß wir uns des Wiedersehens nach
langer Einkerkerung erfreuten und uns lebhaft und freundschaftlich unterhielten;
dieser Umstand wurde außerhalb der Festungsmauern als „stolze Verachtung" »
der verhängten Strafe — nicht zu unseren Vortheil — weiter erzählt. — Ich
wurde nicht in meine Zelle Ur. 13, sondern in die Käsematte des Laborator-
Bollwerks geführt, wo man mir ein Zimmerchen mit ziemlich großem Fenster,
dessen unterste Glasscheiben mit Kreide beweißt waren, anwies. An den Wän¬
den las ich die Namen der hier eingesperrt gewesenen Gefangenen, von denen
nur einer, Graf H. Gr. Tschernytschew verurtheilt worden war. Ein so Helles
Gemach hatte ich seit Monaten nicht bewohnt, schlaflos ging ich die ganze
Nacht in meinem kleinen, blos neun Schritte haltenden Zimmer aus und
nieder — die Sonne verschwand nur auf wenige Stunden vom Horizont,
denn wir befanden uns in einer jener nordischen Julinächte, wo es überhaupt
nicht dunkel wird. Der Platzadjutant hatte mir vor seinem Weggehen gesagt,
daß er mich früh Morgens zur Vollziehung der Sentenz abholen würde.
Ich erwartete eine unverzügliche Abfertigung zur weiten Reise in eine sibi¬
rische Festung.

So brach der 13. Juli an. Noch vor Sonnenaufgang führte man mich
auf den Festungsplatz, wo ein großes Quarre von Truppenabtheilungen des
Pawlowschen Leibgarde-Regiments und der Festungs-Artillerie aufgestellt war.
Man geleitete mich in das Viereck, wo schon einige meiner Unglücksgefährten
dastanden, und die Uebrigen nach und nach eingeführt wurden. Ich freute
mich, meine Bekannten wiederzusehen; Alle umarmten einander, Jeder suchte




Später Präsident des Reichsraths.
-) Der berühmte russische Codisicator und Schöpfer der Geseizcssammlqng (Swod Sokonow).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/197>, abgerufen am 05.02.2025.