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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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seine näheren Freunde; vergeblich suchte ich RrMjew, bis man mir sagte, er
befände sich in der Zahl der Fünf, die zu schmählichem Tode verurtheilt
waren. Alle theilten sich gegenseitig ihre vernommenen Sentenzen mit, Manche
mit Humor und Laune, Andere mit verhaltenem Ingrimm. Fürst S. G.
Wolkonsky ging in munterem Gespräch auf und nieder. Batenkow hielt einen
Hobelspan in der Hand und biß vor Unwillen in denselben; Jakubowitsch
ging in Gedanken vertieft auf und nieder; Obolensky hatte in der Festung
zugenommen, seine Wangen blühten; I. I. Puschtschin war heiter nach
seiner Gewohnheit und brachte den um ihn versammelten Kreis zum Lachen.
Ich sah Niemand in Verzweiflung, selbst die Leiden welche sich auf den Ge¬
sichtern der Kranken spiegelten, blieben stumm. Außerhalb des Vierecks gingen
die General-Adjutanten Benkendorff und Lewaschew und einige Officiere auf
und nieder. Obrist P. V. Abramow, einer der Verurtheilten, rief einen der
wachhabenden Officiere laut bei Namen an ohne daß dieser sich jedoch um¬
sah; Benkendorff fragte Abramow, was er wolle? -- "Ich wünsche meine
neuen Epauletten meinem Bruder zu übergeben, der bald Obrist wird" lautete
die ruhig trockne Antwort. ->- Benkendorff willigte in höflicher Weise ein und
befahl dem anwesenden Capitain Pohlmann die Epauletten in Empfang zu
nehmen. ^-- In diesem Vierecke warteten wir eine halbe Stunde, bis wir in
vier Abtheilungen getheilt und von Soldaten umgeben wurden. In der
ersten Abtheilung befanden sich die verurtheilten Officiere der 1. Garde.Divi-
sion und des Generalstabes, in der zweiten die Officiere der 2. Garde-Divi¬
sion, der Sappeure und der Pionniere, in der dritten die Officiere der Armee,
in der vierten die Civilisten. Die Verurtheilten welche der Marine ange¬
hörten waren zur Vollziehung des Urtheils nach Kronstäbe gesandt worden.
In diesen durch Soldatenreihen von einander getrennten Abtheilungen führte
man uns durch das Festungsthor auf das Glacis der Kronwerkschen Cour¬
tine. Mit dem Rücken gegen die Petersburger Seite*) gewandt, standen
in unabsehbar langer Reihe die Truppen aus allen Regimentern des ganzen
Gardecorps mit geladenen Kanonen da. Auf dem Kronwerkschen Walle war
ein Galgen sichtbar -- ich erkannte die Zimmermannsarbeit, die ich aus
meiner Casematte gesehen hatte, ohne sie mir erklären zu können. -- Unsere
zwei Abtheilungen wurden in gleichmäßiger Entfernung von den beiden benach¬
barten aufgestellt; neben jeder Abtheilung brannte ein Scheiterhaufen, vor
welchem ein Henker dastand. Der General-Adjutant Tschernytschew ritt ab
und zu; an diesem Morgen war er nicht geschminkt, sein Gesicht war blaß,
und er ließ sein Roß nicht courbettiren.



') Der östlich von der Festung auf dem linken Newaufer liegende Stadttheil heißt "Pe-
tersbmger Seite" (kvterbm-gsKHa. Storons).

seine näheren Freunde; vergeblich suchte ich RrMjew, bis man mir sagte, er
befände sich in der Zahl der Fünf, die zu schmählichem Tode verurtheilt
waren. Alle theilten sich gegenseitig ihre vernommenen Sentenzen mit, Manche
mit Humor und Laune, Andere mit verhaltenem Ingrimm. Fürst S. G.
Wolkonsky ging in munterem Gespräch auf und nieder. Batenkow hielt einen
Hobelspan in der Hand und biß vor Unwillen in denselben; Jakubowitsch
ging in Gedanken vertieft auf und nieder; Obolensky hatte in der Festung
zugenommen, seine Wangen blühten; I. I. Puschtschin war heiter nach
seiner Gewohnheit und brachte den um ihn versammelten Kreis zum Lachen.
Ich sah Niemand in Verzweiflung, selbst die Leiden welche sich auf den Ge¬
sichtern der Kranken spiegelten, blieben stumm. Außerhalb des Vierecks gingen
die General-Adjutanten Benkendorff und Lewaschew und einige Officiere auf
und nieder. Obrist P. V. Abramow, einer der Verurtheilten, rief einen der
wachhabenden Officiere laut bei Namen an ohne daß dieser sich jedoch um¬
sah; Benkendorff fragte Abramow, was er wolle? — „Ich wünsche meine
neuen Epauletten meinem Bruder zu übergeben, der bald Obrist wird" lautete
die ruhig trockne Antwort. ->- Benkendorff willigte in höflicher Weise ein und
befahl dem anwesenden Capitain Pohlmann die Epauletten in Empfang zu
nehmen. ^— In diesem Vierecke warteten wir eine halbe Stunde, bis wir in
vier Abtheilungen getheilt und von Soldaten umgeben wurden. In der
ersten Abtheilung befanden sich die verurtheilten Officiere der 1. Garde.Divi-
sion und des Generalstabes, in der zweiten die Officiere der 2. Garde-Divi¬
sion, der Sappeure und der Pionniere, in der dritten die Officiere der Armee,
in der vierten die Civilisten. Die Verurtheilten welche der Marine ange¬
hörten waren zur Vollziehung des Urtheils nach Kronstäbe gesandt worden.
In diesen durch Soldatenreihen von einander getrennten Abtheilungen führte
man uns durch das Festungsthor auf das Glacis der Kronwerkschen Cour¬
tine. Mit dem Rücken gegen die Petersburger Seite*) gewandt, standen
in unabsehbar langer Reihe die Truppen aus allen Regimentern des ganzen
Gardecorps mit geladenen Kanonen da. Auf dem Kronwerkschen Walle war
ein Galgen sichtbar — ich erkannte die Zimmermannsarbeit, die ich aus
meiner Casematte gesehen hatte, ohne sie mir erklären zu können. — Unsere
zwei Abtheilungen wurden in gleichmäßiger Entfernung von den beiden benach¬
barten aufgestellt; neben jeder Abtheilung brannte ein Scheiterhaufen, vor
welchem ein Henker dastand. Der General-Adjutant Tschernytschew ritt ab
und zu; an diesem Morgen war er nicht geschminkt, sein Gesicht war blaß,
und er ließ sein Roß nicht courbettiren.



') Der östlich von der Festung auf dem linken Newaufer liegende Stadttheil heißt „Pe-
tersbmger Seite" (kvterbm-gsKHa. Storons).
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[0198] seine näheren Freunde; vergeblich suchte ich RrMjew, bis man mir sagte, er befände sich in der Zahl der Fünf, die zu schmählichem Tode verurtheilt waren. Alle theilten sich gegenseitig ihre vernommenen Sentenzen mit, Manche mit Humor und Laune, Andere mit verhaltenem Ingrimm. Fürst S. G. Wolkonsky ging in munterem Gespräch auf und nieder. Batenkow hielt einen Hobelspan in der Hand und biß vor Unwillen in denselben; Jakubowitsch ging in Gedanken vertieft auf und nieder; Obolensky hatte in der Festung zugenommen, seine Wangen blühten; I. I. Puschtschin war heiter nach seiner Gewohnheit und brachte den um ihn versammelten Kreis zum Lachen. Ich sah Niemand in Verzweiflung, selbst die Leiden welche sich auf den Ge¬ sichtern der Kranken spiegelten, blieben stumm. Außerhalb des Vierecks gingen die General-Adjutanten Benkendorff und Lewaschew und einige Officiere auf und nieder. Obrist P. V. Abramow, einer der Verurtheilten, rief einen der wachhabenden Officiere laut bei Namen an ohne daß dieser sich jedoch um¬ sah; Benkendorff fragte Abramow, was er wolle? — „Ich wünsche meine neuen Epauletten meinem Bruder zu übergeben, der bald Obrist wird" lautete die ruhig trockne Antwort. ->- Benkendorff willigte in höflicher Weise ein und befahl dem anwesenden Capitain Pohlmann die Epauletten in Empfang zu nehmen. ^— In diesem Vierecke warteten wir eine halbe Stunde, bis wir in vier Abtheilungen getheilt und von Soldaten umgeben wurden. In der ersten Abtheilung befanden sich die verurtheilten Officiere der 1. Garde.Divi- sion und des Generalstabes, in der zweiten die Officiere der 2. Garde-Divi¬ sion, der Sappeure und der Pionniere, in der dritten die Officiere der Armee, in der vierten die Civilisten. Die Verurtheilten welche der Marine ange¬ hörten waren zur Vollziehung des Urtheils nach Kronstäbe gesandt worden. In diesen durch Soldatenreihen von einander getrennten Abtheilungen führte man uns durch das Festungsthor auf das Glacis der Kronwerkschen Cour¬ tine. Mit dem Rücken gegen die Petersburger Seite*) gewandt, standen in unabsehbar langer Reihe die Truppen aus allen Regimentern des ganzen Gardecorps mit geladenen Kanonen da. Auf dem Kronwerkschen Walle war ein Galgen sichtbar — ich erkannte die Zimmermannsarbeit, die ich aus meiner Casematte gesehen hatte, ohne sie mir erklären zu können. — Unsere zwei Abtheilungen wurden in gleichmäßiger Entfernung von den beiden benach¬ barten aufgestellt; neben jeder Abtheilung brannte ein Scheiterhaufen, vor welchem ein Henker dastand. Der General-Adjutant Tschernytschew ritt ab und zu; an diesem Morgen war er nicht geschminkt, sein Gesicht war blaß, und er ließ sein Roß nicht courbettiren. ') Der östlich von der Festung auf dem linken Newaufer liegende Stadttheil heißt „Pe- tersbmger Seite" (kvterbm-gsKHa. Storons).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/198>, abgerufen am 05.02.2025.