Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.war; er erzählt uns, wie seine Frau ein böses Gesicht machen werde, wenn "Wenn ich mein Liebchen im Arme halte auf einer rings von Bäumen ein¬ Dieses Stück Lebensphilosophie eines lustigen Sängers und Musikers "Im Mai, früh Morgens beim Ausgang der Sonne, als die Vögel war; er erzählt uns, wie seine Frau ein böses Gesicht machen werde, wenn „Wenn ich mein Liebchen im Arme halte auf einer rings von Bäumen ein¬ Dieses Stück Lebensphilosophie eines lustigen Sängers und Musikers „Im Mai, früh Morgens beim Ausgang der Sonne, als die Vögel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287456"/> <p xml:id="ID_464" prev="#ID_463"> war; er erzählt uns, wie seine Frau ein böses Gesicht machen werde, wenn<lb/> er mit leerem Säckel heimkomme und führt sie sprechend ein: „Euer Quer¬<lb/> sack schlägt Falten und ist nur vom Winde aufgeblasen." Angenehmer da¬<lb/> gegen, sagt Colin weiter, sei sein Empfang, wenn er mit gefülltem Quersack<lb/> hinter sich und schön geschmückt mit einem neuen pelzverbrämten Kleide heim¬<lb/> komme, dann lege seine Frau schleunigst den Rocken bei Seite, komme ihm<lb/> freundlich lächelnden Angesichtes entgegen, umarme ihn und entledige das<lb/> Pferd, das dann der Knabe zur Tränke führe, des gefüllten Sackes, während<lb/> seine Tochter zwei Kapaunen schlachte, um sie in Knoblauchssauce zuzubereiten<lb/> und ein anderes Mädchen für seine Toilette sorge. Dann fühle er sich so<lb/> wohl in seinem Hause, mehr als man sagen könne. — Dies Gedicht ist in<lb/> vielfacher Beziehung interessant; es zeigt uns zunächst, daß Colin einer ge¬<lb/> wissen Wohlhabenheit — wahrscheinlich durch die Freigebigkeit seiner Gönner,<lb/> die er aber auch niemals um den Preis seiner poetischen und musikalischen<lb/> Leistungen zu mahnen vergaß — genoß, vielleicht angefeuert durch seine Frau,<lb/> welche, wie es scheint, gleich der Albrecht Dürer's, das Talent ohne materielle<lb/> Resultate nicht zu schätzen wußte, sondern einen wohlgefüllten Quersack höher<lb/> stellte, als allen Dichter- und Künstlerruhm. In diesem speciellen Falle<lb/> scheint der Himmel auch kein ungleiches Paar zusammengeführt zu haben.<lb/> Denn wie Colin selbst sich hier als einen Verehrer leiblichen Wohlseins,<lb/> wohlgebratener Kapaunen und eines behäbigen Lebens in seinem Heim hin¬<lb/> stellt, so zeigt er sich auch in anderen Gedichten als einen Epikuräer und<lb/> Freund grobmaterieller Genüsse:</p><lb/> <p xml:id="ID_465"> „Wenn ich mein Liebchen im Arme halte auf einer rings von Bäumen ein¬<lb/> geschlossenen Wiese im Sommergrün und wenn ich außerdem gebratene Gänse<lb/> und Backwerk, Hühnchen, Torten, ein Spanferkel und Rindfleisch mit Kräuter¬<lb/> sauce habe, dazu in einem Tönnchen kühlen, starken und lieblichen Wein, um<lb/> bei der großen Hitze zu trinken, dann fühle ich mich wohler, als auf einem<lb/> Schiff im Meere in großer Furcht."</p><lb/> <p xml:id="ID_466"> Dieses Stück Lebensphilosophie eines lustigen Sängers und Musikers<lb/> aus dem dreizehnten Jahrhundert, das zugleich Beiträge liefern kann zu<lb/> einem Speisezettel dieser Epoche, zeigt uns, daß Colin in allen Stücken ein<lb/> vollendeter Epikursjünger war. Die meisten seiner Lieder zeigen ihn außer¬<lb/> dem als eifrigen Verehrer des schönen Geschlechts. So beginnt er z. B.<lb/> eines seiner hübschesten Lieder:</p><lb/> <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> „Im Mai, früh Morgens beim Ausgang der Sonne, als die Vögel<lb/> mit großer Freude sangen, ging ich auf eine blumige Wiese, einen Kranz in<lb/> der Grüne zu winden. — Da sah ich ein Mägdlein, lieblich und schön und<lb/> lachenden Mundes, das mir zurief: .Komm her, geig' mir hübsch vor und<lb/> singe dazu!' Ich eilte zu ihr und sang ihr den Musee, während ihre blonden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
war; er erzählt uns, wie seine Frau ein böses Gesicht machen werde, wenn
er mit leerem Säckel heimkomme und führt sie sprechend ein: „Euer Quer¬
sack schlägt Falten und ist nur vom Winde aufgeblasen." Angenehmer da¬
gegen, sagt Colin weiter, sei sein Empfang, wenn er mit gefülltem Quersack
hinter sich und schön geschmückt mit einem neuen pelzverbrämten Kleide heim¬
komme, dann lege seine Frau schleunigst den Rocken bei Seite, komme ihm
freundlich lächelnden Angesichtes entgegen, umarme ihn und entledige das
Pferd, das dann der Knabe zur Tränke führe, des gefüllten Sackes, während
seine Tochter zwei Kapaunen schlachte, um sie in Knoblauchssauce zuzubereiten
und ein anderes Mädchen für seine Toilette sorge. Dann fühle er sich so
wohl in seinem Hause, mehr als man sagen könne. — Dies Gedicht ist in
vielfacher Beziehung interessant; es zeigt uns zunächst, daß Colin einer ge¬
wissen Wohlhabenheit — wahrscheinlich durch die Freigebigkeit seiner Gönner,
die er aber auch niemals um den Preis seiner poetischen und musikalischen
Leistungen zu mahnen vergaß — genoß, vielleicht angefeuert durch seine Frau,
welche, wie es scheint, gleich der Albrecht Dürer's, das Talent ohne materielle
Resultate nicht zu schätzen wußte, sondern einen wohlgefüllten Quersack höher
stellte, als allen Dichter- und Künstlerruhm. In diesem speciellen Falle
scheint der Himmel auch kein ungleiches Paar zusammengeführt zu haben.
Denn wie Colin selbst sich hier als einen Verehrer leiblichen Wohlseins,
wohlgebratener Kapaunen und eines behäbigen Lebens in seinem Heim hin¬
stellt, so zeigt er sich auch in anderen Gedichten als einen Epikuräer und
Freund grobmaterieller Genüsse:
„Wenn ich mein Liebchen im Arme halte auf einer rings von Bäumen ein¬
geschlossenen Wiese im Sommergrün und wenn ich außerdem gebratene Gänse
und Backwerk, Hühnchen, Torten, ein Spanferkel und Rindfleisch mit Kräuter¬
sauce habe, dazu in einem Tönnchen kühlen, starken und lieblichen Wein, um
bei der großen Hitze zu trinken, dann fühle ich mich wohler, als auf einem
Schiff im Meere in großer Furcht."
Dieses Stück Lebensphilosophie eines lustigen Sängers und Musikers
aus dem dreizehnten Jahrhundert, das zugleich Beiträge liefern kann zu
einem Speisezettel dieser Epoche, zeigt uns, daß Colin in allen Stücken ein
vollendeter Epikursjünger war. Die meisten seiner Lieder zeigen ihn außer¬
dem als eifrigen Verehrer des schönen Geschlechts. So beginnt er z. B.
eines seiner hübschesten Lieder:
„Im Mai, früh Morgens beim Ausgang der Sonne, als die Vögel
mit großer Freude sangen, ging ich auf eine blumige Wiese, einen Kranz in
der Grüne zu winden. — Da sah ich ein Mägdlein, lieblich und schön und
lachenden Mundes, das mir zurief: .Komm her, geig' mir hübsch vor und
singe dazu!' Ich eilte zu ihr und sang ihr den Musee, während ihre blonden
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