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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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einen Anhalt für das Vaterland des Colin gibt, den die Champagne mit
Recht reclamirt.

Das Vaterland aber und die ungefähre Lebenszeit ist auch Alles was
wir über Colin wissen. Die neuere Kritik hat nichts Positives zu diesen
Daten hinzugefügt, sie hat sich, wie das leider meist ihre Aufgabe ist,
darauf beschränken müssen, hier wie bei anderen Dichtern des Mittelalters
die künstlich aufgeführten biographischen Gebäude der Dilettanten des vorigen
und dieses Jahrhunderts zu zerstören. -- Zu diesen durch Nichts begründeten
biographischen Notizen, in deren Aufnahme und Erfindung vor Allen
Laborda, der Verfasser des bekannten Lssai -zur 1a Nusiyuö, große
Leichtfertigkeit bewies, gehört z. B. die Nachricht, daß Colin sich in irgend
einer officiellen Stellung am Hofe Thibaut's des Vierten von Navarra be¬
funden, oder gar Mitglied der fabelhaften Akademie gewesen sei, die man
diesem König und Dichter zu Troyes hat gründen lassen. In dieselbe Kate¬
gorie von Fabeln gehört die Notiz, daß Colin die Kirche Le. Julien ach
w6n6triei'8 gegründet habe, daß er die Vielle (ein beliebtes Saiteninstrument),
das Vaudeville, das Tanzlied erfunden habe u. tgi. Das Alles gehört in
das Reich der müßigen Erfindungen.

Was wir Positives über Colin wissen, geht lediglich aus den Gedichten
hervor, die in den verschiedenen Handschriften seinen Namen tragen, und in
denen er außerdem meist Sorge getragen hat, sich zu nennen. Wir erfahren
daraus, daß er Jongleur von Metier war, Dichter und Musiker zu gleicher
Zeit und daß er vielfach in der Champagne und in der Lorraine, vielleicht auch
in Flandern und Artots umherzog. Außer den Grafen von Waignonrut
und Widemont zählte er noch andere große Herren und Damen zu seinen
hohen Gönnern, so ist z. B. eines seiner Lieder, ein Descort (welches
überhaupt die poetische Form war, in der er sich mit Vorliebe bewegte), an
eine nicht genannte Herzogin gerichtet, unter welcher wir Agnes von Bar,
Herzogin von Lothringen zu vermuthen Grund haben. -- Aber nicht
überall war Colin gleich gern gesehen, nicht immer wurden ihm die Ehren¬
gaben des Dichters zu Theil, das zeigen seine häufigen Klagen über die
kargen Schenker. So sagt er in einem seiner Lieder:

"Wenn ich Gott wäre, so würde ich die Welt ganz anders schaffen und
bessere Leute hineinsetzen, denn die vorhandenen sind nichts werth. Je mehr
Gold und Silber. Pelzwerk und Seidenstoffe sie besitzen, um so kärglicher
schenken sie, kärglicher als ein wuchertreibender Jude."

Noch directer und bitterer beklagt er sich in einem anderen Gedichte
über den Geiz eines nicht genannten Grafen, vor dem er in seinem Schlosse
die Viola gespielt, der ihm aber nichts gegeben habe -- das sei ein unadeliges
Betragen (vilame). Dasselbe Gedicht zeigt uns, daß Colin Familienvater


einen Anhalt für das Vaterland des Colin gibt, den die Champagne mit
Recht reclamirt.

Das Vaterland aber und die ungefähre Lebenszeit ist auch Alles was
wir über Colin wissen. Die neuere Kritik hat nichts Positives zu diesen
Daten hinzugefügt, sie hat sich, wie das leider meist ihre Aufgabe ist,
darauf beschränken müssen, hier wie bei anderen Dichtern des Mittelalters
die künstlich aufgeführten biographischen Gebäude der Dilettanten des vorigen
und dieses Jahrhunderts zu zerstören. — Zu diesen durch Nichts begründeten
biographischen Notizen, in deren Aufnahme und Erfindung vor Allen
Laborda, der Verfasser des bekannten Lssai -zur 1a Nusiyuö, große
Leichtfertigkeit bewies, gehört z. B. die Nachricht, daß Colin sich in irgend
einer officiellen Stellung am Hofe Thibaut's des Vierten von Navarra be¬
funden, oder gar Mitglied der fabelhaften Akademie gewesen sei, die man
diesem König und Dichter zu Troyes hat gründen lassen. In dieselbe Kate¬
gorie von Fabeln gehört die Notiz, daß Colin die Kirche Le. Julien ach
w6n6triei'8 gegründet habe, daß er die Vielle (ein beliebtes Saiteninstrument),
das Vaudeville, das Tanzlied erfunden habe u. tgi. Das Alles gehört in
das Reich der müßigen Erfindungen.

Was wir Positives über Colin wissen, geht lediglich aus den Gedichten
hervor, die in den verschiedenen Handschriften seinen Namen tragen, und in
denen er außerdem meist Sorge getragen hat, sich zu nennen. Wir erfahren
daraus, daß er Jongleur von Metier war, Dichter und Musiker zu gleicher
Zeit und daß er vielfach in der Champagne und in der Lorraine, vielleicht auch
in Flandern und Artots umherzog. Außer den Grafen von Waignonrut
und Widemont zählte er noch andere große Herren und Damen zu seinen
hohen Gönnern, so ist z. B. eines seiner Lieder, ein Descort (welches
überhaupt die poetische Form war, in der er sich mit Vorliebe bewegte), an
eine nicht genannte Herzogin gerichtet, unter welcher wir Agnes von Bar,
Herzogin von Lothringen zu vermuthen Grund haben. — Aber nicht
überall war Colin gleich gern gesehen, nicht immer wurden ihm die Ehren¬
gaben des Dichters zu Theil, das zeigen seine häufigen Klagen über die
kargen Schenker. So sagt er in einem seiner Lieder:

„Wenn ich Gott wäre, so würde ich die Welt ganz anders schaffen und
bessere Leute hineinsetzen, denn die vorhandenen sind nichts werth. Je mehr
Gold und Silber. Pelzwerk und Seidenstoffe sie besitzen, um so kärglicher
schenken sie, kärglicher als ein wuchertreibender Jude."

Noch directer und bitterer beklagt er sich in einem anderen Gedichte
über den Geiz eines nicht genannten Grafen, vor dem er in seinem Schlosse
die Viola gespielt, der ihm aber nichts gegeben habe — das sei ein unadeliges
Betragen (vilame). Dasselbe Gedicht zeigt uns, daß Colin Familienvater


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[0183] einen Anhalt für das Vaterland des Colin gibt, den die Champagne mit Recht reclamirt. Das Vaterland aber und die ungefähre Lebenszeit ist auch Alles was wir über Colin wissen. Die neuere Kritik hat nichts Positives zu diesen Daten hinzugefügt, sie hat sich, wie das leider meist ihre Aufgabe ist, darauf beschränken müssen, hier wie bei anderen Dichtern des Mittelalters die künstlich aufgeführten biographischen Gebäude der Dilettanten des vorigen und dieses Jahrhunderts zu zerstören. — Zu diesen durch Nichts begründeten biographischen Notizen, in deren Aufnahme und Erfindung vor Allen Laborda, der Verfasser des bekannten Lssai -zur 1a Nusiyuö, große Leichtfertigkeit bewies, gehört z. B. die Nachricht, daß Colin sich in irgend einer officiellen Stellung am Hofe Thibaut's des Vierten von Navarra be¬ funden, oder gar Mitglied der fabelhaften Akademie gewesen sei, die man diesem König und Dichter zu Troyes hat gründen lassen. In dieselbe Kate¬ gorie von Fabeln gehört die Notiz, daß Colin die Kirche Le. Julien ach w6n6triei'8 gegründet habe, daß er die Vielle (ein beliebtes Saiteninstrument), das Vaudeville, das Tanzlied erfunden habe u. tgi. Das Alles gehört in das Reich der müßigen Erfindungen. Was wir Positives über Colin wissen, geht lediglich aus den Gedichten hervor, die in den verschiedenen Handschriften seinen Namen tragen, und in denen er außerdem meist Sorge getragen hat, sich zu nennen. Wir erfahren daraus, daß er Jongleur von Metier war, Dichter und Musiker zu gleicher Zeit und daß er vielfach in der Champagne und in der Lorraine, vielleicht auch in Flandern und Artots umherzog. Außer den Grafen von Waignonrut und Widemont zählte er noch andere große Herren und Damen zu seinen hohen Gönnern, so ist z. B. eines seiner Lieder, ein Descort (welches überhaupt die poetische Form war, in der er sich mit Vorliebe bewegte), an eine nicht genannte Herzogin gerichtet, unter welcher wir Agnes von Bar, Herzogin von Lothringen zu vermuthen Grund haben. — Aber nicht überall war Colin gleich gern gesehen, nicht immer wurden ihm die Ehren¬ gaben des Dichters zu Theil, das zeigen seine häufigen Klagen über die kargen Schenker. So sagt er in einem seiner Lieder: „Wenn ich Gott wäre, so würde ich die Welt ganz anders schaffen und bessere Leute hineinsetzen, denn die vorhandenen sind nichts werth. Je mehr Gold und Silber. Pelzwerk und Seidenstoffe sie besitzen, um so kärglicher schenken sie, kärglicher als ein wuchertreibender Jude." Noch directer und bitterer beklagt er sich in einem anderen Gedichte über den Geiz eines nicht genannten Grafen, vor dem er in seinem Schlosse die Viola gespielt, der ihm aber nichts gegeben habe — das sei ein unadeliges Betragen (vilame). Dasselbe Gedicht zeigt uns, daß Colin Familienvater

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/183>, abgerufen am 05.02.2025.