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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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sich Ritter und Herren mit großen Kosten anfertigen ließen, die Gedichte
irgend eines Jongleurs zu sammeln, mit der sie eine vollständige Sammlung
der beliebten Gedichte des Königs von Navarra, des Grafen von Champagne
oder des Modedichters Monseigneur Gasse Brule' zusammenzustellen
suchten. -- Die beiden Handschriften vielmehr, welche uns die besten und
vollständigsten Recensionen von Colin's Gedichten aufbewahren, sind die ein¬
zigen Liedermanuscripte, von denen man mit Sicherheit sagen kann, daß sie
für den Handgebrauch eines Jongleurs zusammengestellt sind. Für diese
mochte sich das Bedürfniß ergeben, auch zuweilen dem dörflichen Ge¬
schmack zu genügen, und gewiß fanden sie häufig die derbere Gastfreund¬
schaft und die Schinken und Würste irgend eines fetten Klosterbauern ebenso
gut, wie die Pelzmäntel, Pferde und Kleinodien der Ritter, die es ohnehin
nicht alle Tage regnete, wie uns ein Lied vou Colin selbst belehren wird.
-- Wenn diese volksthümlichen Erzeugnisse dem dörflichen Geschmack zusagten,
so wurden sie von Rittern und Großen doch auch nicht verschmäht; haben
sich doch Fürsten und Könige nicht gescheut, mit den Jongleurs in die Arena
zu treten und um den Preis der volksthümlichen Dichtung zu concurriren;
wir erinnern nur an die Pastourellen des Königs von Jerusalem, des
Königs von Navarra und des Grafen von der Mark, Hugo's von
Lusignan. u. A. in. Daß aber bei weitem die größte Anzahl der Pastou¬
rellen, dieser Hauptart unter den volksthümlichen Genres, anonym überliefert
ist, dürfte ein Beweis dafür sein, daß die vornehmen Herren wohl zu¬
weilen sich in diesen leichten Spielen des Geistes zu üben liebten, doch ohne
gern ihren Namen dazu herzugeben. Derselbe Grund hat wohl in den
meisten Handschriften den Pastourellen und sonstigen Erzeugnissen der volks¬
thümlichen Muse einen so untergeordneten Rang zugewiesen. Die großen
Herren reinem in ihren wilden Jugendtagen gern irgend einen mehr oder
weniger derben Gassenhauer, eine lustige Tanzweise oder gar ein Trinklied,
desavouirten aber diese Jugendsünden in reiferen Jahren sorglich.

Unser Dichter gehört sicherlich dem Anfang des 13. Jahrhunderts an,
wenn wir auch sonst nicht viel Sicheres von ihm wissen. Das beweist:


"mein guter Herr von Waignonrut"

wie Colin ihn in dem Geleit eines seiner Lieder nennt, und der höchstwahr¬
scheinlich mit einem Gautier de Gaignonru identisch ist, welcher, wie
wir aus Villehardouin sehen, den Kreuzzug von 1199 mitmachte, das beweist
ferner der in demselben Gedichte genannte Graf von Widemont oder
Vaudemont, der. wie uns die fleißige Kompilation der Benedictiner (l'art as
v6riÜLr les 6g.tsL) lehrt, im Jahre 1233 starb und schon 1187 bet Tt-
berias ankämpfte. Beide gehören der Champagne an, was uns zugleich


sich Ritter und Herren mit großen Kosten anfertigen ließen, die Gedichte
irgend eines Jongleurs zu sammeln, mit der sie eine vollständige Sammlung
der beliebten Gedichte des Königs von Navarra, des Grafen von Champagne
oder des Modedichters Monseigneur Gasse Brule' zusammenzustellen
suchten. — Die beiden Handschriften vielmehr, welche uns die besten und
vollständigsten Recensionen von Colin's Gedichten aufbewahren, sind die ein¬
zigen Liedermanuscripte, von denen man mit Sicherheit sagen kann, daß sie
für den Handgebrauch eines Jongleurs zusammengestellt sind. Für diese
mochte sich das Bedürfniß ergeben, auch zuweilen dem dörflichen Ge¬
schmack zu genügen, und gewiß fanden sie häufig die derbere Gastfreund¬
schaft und die Schinken und Würste irgend eines fetten Klosterbauern ebenso
gut, wie die Pelzmäntel, Pferde und Kleinodien der Ritter, die es ohnehin
nicht alle Tage regnete, wie uns ein Lied vou Colin selbst belehren wird.
— Wenn diese volksthümlichen Erzeugnisse dem dörflichen Geschmack zusagten,
so wurden sie von Rittern und Großen doch auch nicht verschmäht; haben
sich doch Fürsten und Könige nicht gescheut, mit den Jongleurs in die Arena
zu treten und um den Preis der volksthümlichen Dichtung zu concurriren;
wir erinnern nur an die Pastourellen des Königs von Jerusalem, des
Königs von Navarra und des Grafen von der Mark, Hugo's von
Lusignan. u. A. in. Daß aber bei weitem die größte Anzahl der Pastou¬
rellen, dieser Hauptart unter den volksthümlichen Genres, anonym überliefert
ist, dürfte ein Beweis dafür sein, daß die vornehmen Herren wohl zu¬
weilen sich in diesen leichten Spielen des Geistes zu üben liebten, doch ohne
gern ihren Namen dazu herzugeben. Derselbe Grund hat wohl in den
meisten Handschriften den Pastourellen und sonstigen Erzeugnissen der volks¬
thümlichen Muse einen so untergeordneten Rang zugewiesen. Die großen
Herren reinem in ihren wilden Jugendtagen gern irgend einen mehr oder
weniger derben Gassenhauer, eine lustige Tanzweise oder gar ein Trinklied,
desavouirten aber diese Jugendsünden in reiferen Jahren sorglich.

Unser Dichter gehört sicherlich dem Anfang des 13. Jahrhunderts an,
wenn wir auch sonst nicht viel Sicheres von ihm wissen. Das beweist:


„mein guter Herr von Waignonrut"

wie Colin ihn in dem Geleit eines seiner Lieder nennt, und der höchstwahr¬
scheinlich mit einem Gautier de Gaignonru identisch ist, welcher, wie
wir aus Villehardouin sehen, den Kreuzzug von 1199 mitmachte, das beweist
ferner der in demselben Gedichte genannte Graf von Widemont oder
Vaudemont, der. wie uns die fleißige Kompilation der Benedictiner (l'art as
v6riÜLr les 6g.tsL) lehrt, im Jahre 1233 starb und schon 1187 bet Tt-
berias ankämpfte. Beide gehören der Champagne an, was uns zugleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/182>, abgerufen am 05.02.2025.