Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.beerblättern gewürzte Kartoffelsuppe und zwei Pfund Brod. Der Wächter Die Festungsspieluhr schlug acht Mal, dann begann wiederum das Hoa Am 8. Januar neun Uhr Abends kam der Platzmajor zu mir, um mich beerblättern gewürzte Kartoffelsuppe und zwei Pfund Brod. Der Wächter Die Festungsspieluhr schlug acht Mal, dann begann wiederum das Hoa Am 8. Januar neun Uhr Abends kam der Platzmajor zu mir, um mich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287430"/> <p xml:id="ID_376" prev="#ID_375"> beerblättern gewürzte Kartoffelsuppe und zwei Pfund Brod. Der Wächter<lb/> sah mich mit Verwunderung an, weshalb ich ihm die Ursache meines<lb/> Hungers erklärte; wie ein Stummer nahm er den ausgeleerten Topf, ging<lb/> hinaus und schloß meine Thüre.</p><lb/> <p xml:id="ID_377"> Die Festungsspieluhr schlug acht Mal, dann begann wiederum das Hoa<lb/> et.ö Kuss. Die Töne klangen noch in meinem Gehör nach, als ich bereits<lb/> fest einschlief; ich hätte gewiß 24 Stunden geschlafen, wenn der Wächter mit<lb/> seinen Schlüsseln mich nicht aufgeweckt hätte. Nach diesem Höllengeklapper<lb/> trat der Platzadjutant Nikolajew ein, ihm folgten ein langer Mann im schwar¬<lb/> zen Frack und der als Gefängnißwärter fungirende Feuerwerker; ich setzte<lb/> mich auf mein Bett und glaubte, daß man mir noch einen Mitgefangenen<lb/> einführe. — Der Adjutant erkundigte sich nach meinem Befinden, nach ihm<lb/> fragte der Arzt im Frack, wie meine Gesundheit sei? Beiden antwortete ich<lb/> „Gott sei gedankt! ich habe süß geruht." — „Entschuldigen Sie dann, daß<lb/> wir Sie gestört haben, wir mußten unsere Amtspflicht erfüllen;" — und<lb/> stumm, wie sie eingetreten waren, verschwanden die drei Männer. Ich<lb/> schlief sofort wieder ein. Als ich erwachte war es Mittag; aber es wurde<lb/> nicht Heller, denn das Fenster war in einer tiefen Schießscharte angebracht<lb/> und gab kein volles Licht, nie habe ich durch das Fenster Sonne oder Mond<lb/> gesehen, nur selten einen Stern an dem engen Streifen des Horizontes.<lb/> Gegen Abend brachte man eine Lampe; ich hatte kein Buch, und Niemanden<lb/> gab man Bücher in den ersten Monaten unserer Gefangenschaft. Allein,<lb/> eingeschlossen in einem engen Raume hatte der Körper keine Bewegung, die<lb/> Sinne keine Zerstreuung; die Gedanken allein waren nicht zu fesseln. Un¬<lb/> gewiß und traurig lag die Zukunft vor mir, die Gegenwart bot gar Nichts;<lb/> die Vergangenheit allein war mir treu geblieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_378" next="#ID_379"> Am 8. Januar neun Uhr Abends kam der Platzmajor zu mir, um mich<lb/> in das Untersuchungscomite zu führen, welches sich täglich in der Comman-<lb/> dantur versammelte. Er verband mir die Augen, aber dieses Mal so fest, daß<lb/> mein ganzes Gesicht bedeckt war. An der Commandanturtreppe hörte ich<lb/> sprechen, durch das Tuch konnte ich die erleuchteten Laternen der Wagen<lb/> sehen, das Vorzimmer war gefüllt von Dienern. In dem folgenden Zimmer<lb/> setzte mich der Platzmajor auf einen Stuhl und hieß mich seine Rückkehr ab¬<lb/> warten. Ich hob sogleich das Tuch auf, erblickte eine doppelte große Thüre,<lb/> hinter mir einen mächtigen Schirm, hinter dem Schirme zwei Lichter, und<lb/> keinen Menschen im ganzen Zimmer. Ich weiß nicht, woher mir der Ge¬<lb/> danke kam, daß die Thüre sich plötzlich öffnen und ich erschossen werden<lb/> würde? Vermuthlich war diese Einbildung durch das geheimntßvolle Wesen<lb/> des Platzmajors und durch das Festbinden meiner Augen erzeugt worden. —<lb/> So saß ich eine Stunde. Endlich erschien der Platzmajor, der mich mit ver-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
beerblättern gewürzte Kartoffelsuppe und zwei Pfund Brod. Der Wächter
sah mich mit Verwunderung an, weshalb ich ihm die Ursache meines
Hungers erklärte; wie ein Stummer nahm er den ausgeleerten Topf, ging
hinaus und schloß meine Thüre.
Die Festungsspieluhr schlug acht Mal, dann begann wiederum das Hoa
et.ö Kuss. Die Töne klangen noch in meinem Gehör nach, als ich bereits
fest einschlief; ich hätte gewiß 24 Stunden geschlafen, wenn der Wächter mit
seinen Schlüsseln mich nicht aufgeweckt hätte. Nach diesem Höllengeklapper
trat der Platzadjutant Nikolajew ein, ihm folgten ein langer Mann im schwar¬
zen Frack und der als Gefängnißwärter fungirende Feuerwerker; ich setzte
mich auf mein Bett und glaubte, daß man mir noch einen Mitgefangenen
einführe. — Der Adjutant erkundigte sich nach meinem Befinden, nach ihm
fragte der Arzt im Frack, wie meine Gesundheit sei? Beiden antwortete ich
„Gott sei gedankt! ich habe süß geruht." — „Entschuldigen Sie dann, daß
wir Sie gestört haben, wir mußten unsere Amtspflicht erfüllen;" — und
stumm, wie sie eingetreten waren, verschwanden die drei Männer. Ich
schlief sofort wieder ein. Als ich erwachte war es Mittag; aber es wurde
nicht Heller, denn das Fenster war in einer tiefen Schießscharte angebracht
und gab kein volles Licht, nie habe ich durch das Fenster Sonne oder Mond
gesehen, nur selten einen Stern an dem engen Streifen des Horizontes.
Gegen Abend brachte man eine Lampe; ich hatte kein Buch, und Niemanden
gab man Bücher in den ersten Monaten unserer Gefangenschaft. Allein,
eingeschlossen in einem engen Raume hatte der Körper keine Bewegung, die
Sinne keine Zerstreuung; die Gedanken allein waren nicht zu fesseln. Un¬
gewiß und traurig lag die Zukunft vor mir, die Gegenwart bot gar Nichts;
die Vergangenheit allein war mir treu geblieben.
Am 8. Januar neun Uhr Abends kam der Platzmajor zu mir, um mich
in das Untersuchungscomite zu führen, welches sich täglich in der Comman-
dantur versammelte. Er verband mir die Augen, aber dieses Mal so fest, daß
mein ganzes Gesicht bedeckt war. An der Commandanturtreppe hörte ich
sprechen, durch das Tuch konnte ich die erleuchteten Laternen der Wagen
sehen, das Vorzimmer war gefüllt von Dienern. In dem folgenden Zimmer
setzte mich der Platzmajor auf einen Stuhl und hieß mich seine Rückkehr ab¬
warten. Ich hob sogleich das Tuch auf, erblickte eine doppelte große Thüre,
hinter mir einen mächtigen Schirm, hinter dem Schirme zwei Lichter, und
keinen Menschen im ganzen Zimmer. Ich weiß nicht, woher mir der Ge¬
danke kam, daß die Thüre sich plötzlich öffnen und ich erschossen werden
würde? Vermuthlich war diese Einbildung durch das geheimntßvolle Wesen
des Platzmajors und durch das Festbinden meiner Augen erzeugt worden. —
So saß ich eine Stunde. Endlich erschien der Platzmajor, der mich mit ver-
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