Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.hatte, und kündigte uns an, daß wir auf allerhöchsten Befehl in die Kasematten In meiner Zelle war es fast beständig finster; das Fenster war mit hatte, und kündigte uns an, daß wir auf allerhöchsten Befehl in die Kasematten In meiner Zelle war es fast beständig finster; das Fenster war mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287429"/> <p xml:id="ID_374" prev="#ID_373"> hatte, und kündigte uns an, daß wir auf allerhöchsten Befehl in die Kasematten<lb/> gesetzt werden würden. — In demselben Saale mit uns stand ein bejahrter<lb/> Mann in Civilkleidung, er trug den Annenorden in Brillanten um den<lb/> Hals; der Commandant wandte sich zu ihm und rief entrüstet und traurig:<lb/> „Wie? Du bist auch hier — sür diese Sache und mit diesen Herren?" —<lb/> „Nein, Ew. Excellenz; ich befinde mich unter Kriegsrecht für Entwertung<lb/> von Bauholz und^ Schiffsmaterialien." — „Nun, Gott sei gedankt! lieber<lb/> Neffe" — sagte der Commandant und drückte dem Glücklichen freundschaft¬<lb/> lich die Hand. — Der Platzmajor Obristlieutenant G. M. Poduschkin führte<lb/> uns einzeln in die Casematten; er fragte mich, ob ich ein Taschentuch bei<lb/> mir hätte, da er mir dem Reglement gemäß die Augen verbinden müsse.<lb/> Er verband mir wirklich die Augen, ergriff meinen Arm, geleitete mich die<lb/> Treppen hinunter und setzte mich dann in einen Schlitten. Nach kurzer Fahrt<lb/> waren wir an Ort und Stelle.. Der Platzmajor half uns aus dem Schlitten,<lb/> sagte „nun kommt eine Schwelle und dann sechs Stufen" und rief end¬<lb/> lich laut: „Feuerwerker! öffne Nummer 13!" — Schlüssel klingelten, Schlösser<lb/> klapperten, wir traten ein, die Thüren wurden hinter uns zugeschlagen. —<lb/> Darauf nahm der Platzmajor die Binde von meinen Augen ab und wünschte<lb/> mir baldigste Befreiung. Ich bat ihn, mir etwas zu essen geben zu<lb/> lassen; an diesem Tage hatte ich noch gar keine Nahrung bekommen, vier¬<lb/> zehn Tage lang im Palais gehungert. Er machte einige Schwierigkeiten, weil<lb/> die Mittagsstunde schon längst vorüber war, entschuldigte sich mit der schlech¬<lb/> ten Beschaffenheit der Festungsküche, voraussetzend, daß ich zu den verwöhn¬<lb/> ten Gastronomen gehöre, versprach mir aber Essen zu schicken, obgleich ich<lb/> nur um ein Stück Brod gebeten hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_375" next="#ID_376"> In meiner Zelle war es fast beständig finster; das Fenster war mit<lb/> einem dichten eisernen Gitter beschlagen, durch welches ich nur einen schmalen<lb/> Streifen des Horizonts und einen Theil der Festungsglacis sehen konnte.<lb/> An der einen inneren Wand meiner dreieckigen Zelle stand ein Bett mit<lb/> bläulichgrauer Decke, an der anderen ein Tisch und eine Bank. Mein Dreieck<lb/> hatte sechs Schritte in der Hypotenuse. In der Thür war ein kleines<lb/> Fenster, von außen mit Leinwand behängen, damit die im Corridor stehen¬<lb/> den Schildwachen zu jeder Zeit ihre Arrestanten beobachten könnten. Eine<lb/> kleine Weile nachdem ich in diesen Käfig getreten war und mich niederge¬<lb/> lassen hatte, hörte ich die Schritte der Schildwachen, die Schlüssel und<lb/> Schlösser klapperten wieder, der Gesängntßwärter trat ein und brachte mir<lb/> eine Lampe (einen Docht, der in einem gewöhnlichen mit Wasser und Oel<lb/> gefüllten Glase brannte), einen Topf mit Suppe und ein gewaltig großes<lb/> Stück Brod. Auf die Fragen, die ich an den Mann richtete, bekam ich keine<lb/> Antwort; dann verschlang ich in der größten Geschwindigkeit die mit Lor-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
hatte, und kündigte uns an, daß wir auf allerhöchsten Befehl in die Kasematten
gesetzt werden würden. — In demselben Saale mit uns stand ein bejahrter
Mann in Civilkleidung, er trug den Annenorden in Brillanten um den
Hals; der Commandant wandte sich zu ihm und rief entrüstet und traurig:
„Wie? Du bist auch hier — sür diese Sache und mit diesen Herren?" —
„Nein, Ew. Excellenz; ich befinde mich unter Kriegsrecht für Entwertung
von Bauholz und^ Schiffsmaterialien." — „Nun, Gott sei gedankt! lieber
Neffe" — sagte der Commandant und drückte dem Glücklichen freundschaft¬
lich die Hand. — Der Platzmajor Obristlieutenant G. M. Poduschkin führte
uns einzeln in die Casematten; er fragte mich, ob ich ein Taschentuch bei
mir hätte, da er mir dem Reglement gemäß die Augen verbinden müsse.
Er verband mir wirklich die Augen, ergriff meinen Arm, geleitete mich die
Treppen hinunter und setzte mich dann in einen Schlitten. Nach kurzer Fahrt
waren wir an Ort und Stelle.. Der Platzmajor half uns aus dem Schlitten,
sagte „nun kommt eine Schwelle und dann sechs Stufen" und rief end¬
lich laut: „Feuerwerker! öffne Nummer 13!" — Schlüssel klingelten, Schlösser
klapperten, wir traten ein, die Thüren wurden hinter uns zugeschlagen. —
Darauf nahm der Platzmajor die Binde von meinen Augen ab und wünschte
mir baldigste Befreiung. Ich bat ihn, mir etwas zu essen geben zu
lassen; an diesem Tage hatte ich noch gar keine Nahrung bekommen, vier¬
zehn Tage lang im Palais gehungert. Er machte einige Schwierigkeiten, weil
die Mittagsstunde schon längst vorüber war, entschuldigte sich mit der schlech¬
ten Beschaffenheit der Festungsküche, voraussetzend, daß ich zu den verwöhn¬
ten Gastronomen gehöre, versprach mir aber Essen zu schicken, obgleich ich
nur um ein Stück Brod gebeten hatte.
In meiner Zelle war es fast beständig finster; das Fenster war mit
einem dichten eisernen Gitter beschlagen, durch welches ich nur einen schmalen
Streifen des Horizonts und einen Theil der Festungsglacis sehen konnte.
An der einen inneren Wand meiner dreieckigen Zelle stand ein Bett mit
bläulichgrauer Decke, an der anderen ein Tisch und eine Bank. Mein Dreieck
hatte sechs Schritte in der Hypotenuse. In der Thür war ein kleines
Fenster, von außen mit Leinwand behängen, damit die im Corridor stehen¬
den Schildwachen zu jeder Zeit ihre Arrestanten beobachten könnten. Eine
kleine Weile nachdem ich in diesen Käfig getreten war und mich niederge¬
lassen hatte, hörte ich die Schritte der Schildwachen, die Schlüssel und
Schlösser klapperten wieder, der Gesängntßwärter trat ein und brachte mir
eine Lampe (einen Docht, der in einem gewöhnlichen mit Wasser und Oel
gefüllten Glase brannte), einen Topf mit Suppe und ein gewaltig großes
Stück Brod. Auf die Fragen, die ich an den Mann richtete, bekam ich keine
Antwort; dann verschlang ich in der größten Geschwindigkeit die mit Lor-
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