Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.wurden, konnten durch denselben nur nothdürftig vor dem Verhungern geschützt Bis zum 3. Januar 1826 blieb ich in meinem elenden Winkel; am Nach¬ Mit bewegtem Herzen fuhr ich durch das Thor der Peter-Pauls-Festung; wurden, konnten durch denselben nur nothdürftig vor dem Verhungern geschützt Bis zum 3. Januar 1826 blieb ich in meinem elenden Winkel; am Nach¬ Mit bewegtem Herzen fuhr ich durch das Thor der Peter-Pauls-Festung; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287428"/> <p xml:id="ID_371" prev="#ID_370"> wurden, konnten durch denselben nur nothdürftig vor dem Verhungern geschützt<lb/> werden. Einer meiner GM)reen, M. N. Nasimow, wagte es, dem Kaiser<lb/> beim Verhör zu sagen, daß man ihn im Palais hungern lasse. „Dabei ist<lb/> nichts zu machen" erwiederte Nikolaus. „Alle werden auf gleiche Weise be¬<lb/> handelt — es ist nur für kurze Zeit." Das Schlimmste für mich war, daß<lb/> ich nicht schlafen konnte; auf meinem Stuhl — außer dem Tisch dem einzigen<lb/> Meuble des Zimmers — war es zu unbequem, auf dem Fußboden trotz des<lb/> wärmenden Mantels furchtbar kalt. Es blieb mir nichts übrig, als 14<lb/> Nächte auf dem Stuhl zu verbringen. Mehrere Male geschah es, daß die<lb/> wachhabenden Soldaten sich meines Hungers erbarmten, mich Nachts weckten<lb/> und mir heimlich von ihrem Brod gaben. — Den Unterhaltungen dieser<lb/> Leute, die mich stets mit rücksichtsvoller Höflichkeit behandelten, zuzuhören<lb/> war meine einzige Beschäftigung. Diese Unterhaltungen klangen oft seltsam<lb/> genug: „Es ist Schade, Bruder, um die armen jungen Leute" hörte ich<lb/> Einen sagen; „die kommen jetzt auf die Festung und werden da eingesperrt."<lb/> — „Wir haben es nicht besser" erwiederte der Andere, „unsere Casernen<lb/> sind noch schlimmer wie die Festungen — und wenn wir sie verlassen, so ist<lb/> es doch nur, um mit Exercitien und Wachen gedrillt und gequält zu wer¬<lb/> den! Diese guten, armen Herzensjungen werden in ihren Löchern wenigstens<lb/> Ruhe haben." —</p><lb/> <p xml:id="ID_372"> Bis zum 3. Januar 1826 blieb ich in meinem elenden Winkel; am Nach¬<lb/> mittage dieses Tages intervenirte der Großfürst Michail, der wiederum in die<lb/> Wachtstuve eintrat und wiederum verwundert war, mich noch im Verschlage der¬<lb/> selben zu finden. Auf sein Geheiß wurde ich in ein anderes Zimmer geführt, wo<lb/> man mir ein Bett und frische Wäsche gab: vor meine Thür wurden zwei Sol¬<lb/> daten mit blankem Säbel gestellt. Die Wohlthat wieder ausgestreckt schlafen<lb/> zu können genoß ich in vollen Zügen. Zwei Tage lang blieb ich in<lb/> diesem Zimmer, dasein anderer Compromittirter, Obrist Rajewsky, mehrere<lb/> Stunden lang mit mir theilte. Da die Schildwache uns an jedem Gespräch<lb/> verhinderte, unterhielten wir uns singend in französischer Sprache; Jeder<lb/> trällerte vor sich hin, als ob er auf den Anderen keine Rücksicht nähme. Am<lb/> Nachmittag des ö. Januar wurde ich endlich durch einen Feldjäger auf die<lb/> Festung abgeführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_373" next="#ID_374"> Mit bewegtem Herzen fuhr ich durch das Thor der Peter-Pauls-Festung;<lb/> mich begrüßte das Glockenspiel der Festungsuhr, eines mechanischen Kunst¬<lb/> werkes, welches gedehnt und langweilig die Melodie Kot Sö>ve ein? King<lb/> abspielte. In der Commandantur fand ich drei arretirte Offiziere vom Js-<lb/> mailow'schen Regiments, Andre'jew, Müller und Maliutin vor, welche gleich<lb/> mir ihrer Einsparung entgegen gingen. Nach einer halben Stunde kam der<lb/> Commandant sulln, öffnete die Packete, die der Feldjäger ihm eingehändigt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
wurden, konnten durch denselben nur nothdürftig vor dem Verhungern geschützt
werden. Einer meiner GM)reen, M. N. Nasimow, wagte es, dem Kaiser
beim Verhör zu sagen, daß man ihn im Palais hungern lasse. „Dabei ist
nichts zu machen" erwiederte Nikolaus. „Alle werden auf gleiche Weise be¬
handelt — es ist nur für kurze Zeit." Das Schlimmste für mich war, daß
ich nicht schlafen konnte; auf meinem Stuhl — außer dem Tisch dem einzigen
Meuble des Zimmers — war es zu unbequem, auf dem Fußboden trotz des
wärmenden Mantels furchtbar kalt. Es blieb mir nichts übrig, als 14
Nächte auf dem Stuhl zu verbringen. Mehrere Male geschah es, daß die
wachhabenden Soldaten sich meines Hungers erbarmten, mich Nachts weckten
und mir heimlich von ihrem Brod gaben. — Den Unterhaltungen dieser
Leute, die mich stets mit rücksichtsvoller Höflichkeit behandelten, zuzuhören
war meine einzige Beschäftigung. Diese Unterhaltungen klangen oft seltsam
genug: „Es ist Schade, Bruder, um die armen jungen Leute" hörte ich
Einen sagen; „die kommen jetzt auf die Festung und werden da eingesperrt."
— „Wir haben es nicht besser" erwiederte der Andere, „unsere Casernen
sind noch schlimmer wie die Festungen — und wenn wir sie verlassen, so ist
es doch nur, um mit Exercitien und Wachen gedrillt und gequält zu wer¬
den! Diese guten, armen Herzensjungen werden in ihren Löchern wenigstens
Ruhe haben." —
Bis zum 3. Januar 1826 blieb ich in meinem elenden Winkel; am Nach¬
mittage dieses Tages intervenirte der Großfürst Michail, der wiederum in die
Wachtstuve eintrat und wiederum verwundert war, mich noch im Verschlage der¬
selben zu finden. Auf sein Geheiß wurde ich in ein anderes Zimmer geführt, wo
man mir ein Bett und frische Wäsche gab: vor meine Thür wurden zwei Sol¬
daten mit blankem Säbel gestellt. Die Wohlthat wieder ausgestreckt schlafen
zu können genoß ich in vollen Zügen. Zwei Tage lang blieb ich in
diesem Zimmer, dasein anderer Compromittirter, Obrist Rajewsky, mehrere
Stunden lang mit mir theilte. Da die Schildwache uns an jedem Gespräch
verhinderte, unterhielten wir uns singend in französischer Sprache; Jeder
trällerte vor sich hin, als ob er auf den Anderen keine Rücksicht nähme. Am
Nachmittag des ö. Januar wurde ich endlich durch einen Feldjäger auf die
Festung abgeführt.
Mit bewegtem Herzen fuhr ich durch das Thor der Peter-Pauls-Festung;
mich begrüßte das Glockenspiel der Festungsuhr, eines mechanischen Kunst¬
werkes, welches gedehnt und langweilig die Melodie Kot Sö>ve ein? King
abspielte. In der Commandantur fand ich drei arretirte Offiziere vom Js-
mailow'schen Regiments, Andre'jew, Müller und Maliutin vor, welche gleich
mir ihrer Einsparung entgegen gingen. Nach einer halben Stunde kam der
Commandant sulln, öffnete die Packete, die der Feldjäger ihm eingehändigt
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