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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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angelangt, so wurden einige auf etliche Stunden zu mir hinter die Scheide¬
wand gesetzt, diesen aber eine Schildwache beigegeben, welche darüber wachen
sollte, daß wir nicht mit einander sprachen. So brachten ewige Stunden
der Obrist Poliwanow und Graf Bulgary bei mir zu; am längsten, eine ganze
Nacht saß der Obrist P. O. Grabbe bei mir; er blieb mir besonders er¬
innerlich wegen seiner vollkommenen Gemüthsruhe in Gebärden und Ge¬
sichtszügen. -- Weihnachten kam heran, noch immer war derselbe enge,
dunkle Verschlag des Wachtvorzimmers mein Aufenthalt; man ließ mich da¬
sitzen, in hohen engen Bottfort-Stiefeln, wie sie damals zur Uniform gehörten,
und kurzem, unbequemen Uniformsfrack; glücklicherweise hatte ich meinen
Mantel mitgenommen, der mich etwas wärmte. Alle Vorbeigehenden gafften
durch meine Glasthüre, weshalb ich meinen Stuhl so umkehrte, daß ich mit
dem Rücken gegen die Thür saß. Jeden Tag bei Ablösung der Wache be¬
sichtigten mich der Obrist und der Capitän. Den fünften Tag traf die
Reihe das Gardejägerregiment und den Obristen V. I. Busse, meinen frühe¬
ren Dienstkameraden; ich bat ihn, einen Soldaten in meine Wohnung zu
schicken und mir einen Ueberrock, kurze Stiefel und Wäsche bringen zu lassen.
Nach einigen Stunden waren diese Sachen mir zugestellt; meine Frau hatte
ein Sasfianohrkissen mitgeschickt. -- So bestimmte lediglich der Zufall darüber,
ob und welche Bequemlichkeiten uns, die wir uns vorläufig nur in Unter¬
suchungshaft befanden, zu Theil wurden.

Im December wird es zeitig dunkel, Licht gab man mir nicht, es war
auch unnütz, da ich kein Buch hatte: durch die Glasthüre drang etwas Be¬
leuchtung aus dem Vorzimmer, ein schwacher Schimmer derselben fiel auf
meine Hinterwand. Die Stimmen der Redenden im Wachtzimmer waren
deutlich zu hören.

In .dieser,, Situation verging eine Reihe von Tagen, die mir endlos
erschien. -- Am Nachmittage des dritten Weihnachtsseiertags trat plötzlich
der Großfürst Michail bei mir ein. Er blieb in der Thür stehen und fragte:
"Wie -- ist er noch immer hier?" Ich gewann es über mich, weder über
Kälte noch über Hunger zu klagen, obgleich meine tägliche Nahrung sich auf
einen Teller Suppe und ein kleines Stück weißen Brodes beschränkte. Der
Grund davon war in meiner exceptionellen Lage zu suchen. Während die
meisten Verdächtigen, sobald sie nach Petersburg geschafft waren, in das
Winterpalais geführt wurden und hier nur einige Stunden, höchstens einen
Tag auf das Verhör warteten, war mir der Winkel in der Wachtstube des
Palais als vorläufiger Ausenthalt angewiesen worden, der 14 Tage lang
währte. Für Diejenigen, welche nur wenige Stunden im Palais zubringen
mußten, war der Teller Suppe aus der Hofküche genügend -- ich und die gleich
mir im Palais saßen und dennoch mit den Uebrigen aus gleichem Fuß behandelt


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angelangt, so wurden einige auf etliche Stunden zu mir hinter die Scheide¬
wand gesetzt, diesen aber eine Schildwache beigegeben, welche darüber wachen
sollte, daß wir nicht mit einander sprachen. So brachten ewige Stunden
der Obrist Poliwanow und Graf Bulgary bei mir zu; am längsten, eine ganze
Nacht saß der Obrist P. O. Grabbe bei mir; er blieb mir besonders er¬
innerlich wegen seiner vollkommenen Gemüthsruhe in Gebärden und Ge¬
sichtszügen. — Weihnachten kam heran, noch immer war derselbe enge,
dunkle Verschlag des Wachtvorzimmers mein Aufenthalt; man ließ mich da¬
sitzen, in hohen engen Bottfort-Stiefeln, wie sie damals zur Uniform gehörten,
und kurzem, unbequemen Uniformsfrack; glücklicherweise hatte ich meinen
Mantel mitgenommen, der mich etwas wärmte. Alle Vorbeigehenden gafften
durch meine Glasthüre, weshalb ich meinen Stuhl so umkehrte, daß ich mit
dem Rücken gegen die Thür saß. Jeden Tag bei Ablösung der Wache be¬
sichtigten mich der Obrist und der Capitän. Den fünften Tag traf die
Reihe das Gardejägerregiment und den Obristen V. I. Busse, meinen frühe¬
ren Dienstkameraden; ich bat ihn, einen Soldaten in meine Wohnung zu
schicken und mir einen Ueberrock, kurze Stiefel und Wäsche bringen zu lassen.
Nach einigen Stunden waren diese Sachen mir zugestellt; meine Frau hatte
ein Sasfianohrkissen mitgeschickt. — So bestimmte lediglich der Zufall darüber,
ob und welche Bequemlichkeiten uns, die wir uns vorläufig nur in Unter¬
suchungshaft befanden, zu Theil wurden.

Im December wird es zeitig dunkel, Licht gab man mir nicht, es war
auch unnütz, da ich kein Buch hatte: durch die Glasthüre drang etwas Be¬
leuchtung aus dem Vorzimmer, ein schwacher Schimmer derselben fiel auf
meine Hinterwand. Die Stimmen der Redenden im Wachtzimmer waren
deutlich zu hören.

In .dieser,, Situation verging eine Reihe von Tagen, die mir endlos
erschien. — Am Nachmittage des dritten Weihnachtsseiertags trat plötzlich
der Großfürst Michail bei mir ein. Er blieb in der Thür stehen und fragte:
„Wie — ist er noch immer hier?" Ich gewann es über mich, weder über
Kälte noch über Hunger zu klagen, obgleich meine tägliche Nahrung sich auf
einen Teller Suppe und ein kleines Stück weißen Brodes beschränkte. Der
Grund davon war in meiner exceptionellen Lage zu suchen. Während die
meisten Verdächtigen, sobald sie nach Petersburg geschafft waren, in das
Winterpalais geführt wurden und hier nur einige Stunden, höchstens einen
Tag auf das Verhör warteten, war mir der Winkel in der Wachtstube des
Palais als vorläufiger Ausenthalt angewiesen worden, der 14 Tage lang
währte. Für Diejenigen, welche nur wenige Stunden im Palais zubringen
mußten, war der Teller Suppe aus der Hofküche genügend — ich und die gleich
mir im Palais saßen und dennoch mit den Uebrigen aus gleichem Fuß behandelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/155>, abgerufen am 05.02.2025.