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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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donnern die Stegreifredner gegen den deutschen Trug und Druck, zeigen, daß
die wiener Minister Erzfeinde der slavischen Sache, oder daß die Fabriken
der Deutschen und Juden in Prag "Mördergruben" seien. Unterhaltungen
dieser Art pflegen in jedem Klima das Blut gewöhnlicher Leute in Wallung
zu setzen, und selbst in Czechien scheinen Sanftmuth und Weisheit in der
niederen Volksschicht nicht vorherrschend zu sein. Es tauchen von da unten
Gesichter auf, in denen bei viel jesuitischer Kniffigkeit zuweilen auch ein Zug
hussitischer Grimmigkeit lauert. Und in Bezug auf seine Kopfzahl ist der
czechische Pöbel nicht gering zu schätzen. "Jede Bevölkerung hat einen mehr
oder minder dicken Bodensatz" bemerkt ein prager Doctor und Statistiker,
"ist mehr oder minder pöbelhaltig. Wir, z. B., sind 7^/2 bis 9 Percent
pöbelhaltiger als Wien." In wie weit die abschreckenden Eigenschaften dieses
Elements durch die weltbekannte "slavische Weichheit" gemildert werden, ver¬
mag ich nicht genau zu berechnen. Sie trägt vielleicht dazu bei, daß der
durch ein Massenmeeting angefachte nationale Zorn in lauten Jubel über¬
geht, sobald ihm einige kleine Opfer gebracht sind, Hat man aus dem Steg¬
reif einige Hüte eingetrieben, einen Deutschen oder Juden durchgeprügelt,
oder einen Beamten ein Bischen gelyncht, so läuft man vergnügt auseinander
und gibt sich der Hoffnung auf künftige immer größere Erfolge hin. Diese
Nationalvergnügungen werden nun, da der Winter eines gelinden Belage¬
rungszustandes über Prag hängt, jedenfalls in der Hauptstadt und vielleicht
auch auf dem Lande ins Stocken gerathen.

"Ein schönes Loch hat die Verfassung" höhnen jetzt die Patrioten, wenn
sie von der über Prag verhängten Tyrannei reden. Wer das Loch gemacht
hat, ist keine Frage die ihnen in den Sinn kommt. Sie haben ihrem Volke
bewiesen, daß die Verfassung ein Gaukelwerk oder nur für die Deutschen
gegeben ist. Mit einer Hand -- sagen sie -- bietet man uns das Ver-
fassungsrecht, mit der andern nimmt man es zurück. Den Deutschen gestattet
man, was uns, blos weil wir Slaven sind, streng untersagt wird. Werden
Sie es glauben, daß selbst wohlhabende und von Hause aus ruhige czechische
Bürger sich in dieser Weise äußern? Ich habe Wochen lang mit Männern
dieser Klasse verkehrt, aber mit keiner Silbe verriethen sie eine Ahnung da¬
von, daß das Versammlungsrecht an gesetzliche Bedingungen geknüpft ist,
oder daß es selbst in den freiesten Ländern, wie England und Amerika,
gewissen Beschränkungen unterliegt. Wer sich nicht den Wortlaut der neuen
Gesetze verschafft -- eine Gewohnheit die nichts weniger als allgemein ist,
hat wenig Aussicht die Wahrheit zu erfahren. Der Stockczeche glaubt nur
was er in seinen eigenen Organen, Narodni Lisei, Novini, Pokrok u. s. w.
schwarz auf weiß sieht. Verweise man ihn auf die "Bohemia", die wiener
"Presse", auf die Prager Zeitung oder ein anderes nichtslavisches Organ,


Grenzboten IV. 1868. 17

donnern die Stegreifredner gegen den deutschen Trug und Druck, zeigen, daß
die wiener Minister Erzfeinde der slavischen Sache, oder daß die Fabriken
der Deutschen und Juden in Prag „Mördergruben" seien. Unterhaltungen
dieser Art pflegen in jedem Klima das Blut gewöhnlicher Leute in Wallung
zu setzen, und selbst in Czechien scheinen Sanftmuth und Weisheit in der
niederen Volksschicht nicht vorherrschend zu sein. Es tauchen von da unten
Gesichter auf, in denen bei viel jesuitischer Kniffigkeit zuweilen auch ein Zug
hussitischer Grimmigkeit lauert. Und in Bezug auf seine Kopfzahl ist der
czechische Pöbel nicht gering zu schätzen. „Jede Bevölkerung hat einen mehr
oder minder dicken Bodensatz" bemerkt ein prager Doctor und Statistiker,
„ist mehr oder minder pöbelhaltig. Wir, z. B., sind 7^/2 bis 9 Percent
pöbelhaltiger als Wien." In wie weit die abschreckenden Eigenschaften dieses
Elements durch die weltbekannte „slavische Weichheit" gemildert werden, ver¬
mag ich nicht genau zu berechnen. Sie trägt vielleicht dazu bei, daß der
durch ein Massenmeeting angefachte nationale Zorn in lauten Jubel über¬
geht, sobald ihm einige kleine Opfer gebracht sind, Hat man aus dem Steg¬
reif einige Hüte eingetrieben, einen Deutschen oder Juden durchgeprügelt,
oder einen Beamten ein Bischen gelyncht, so läuft man vergnügt auseinander
und gibt sich der Hoffnung auf künftige immer größere Erfolge hin. Diese
Nationalvergnügungen werden nun, da der Winter eines gelinden Belage¬
rungszustandes über Prag hängt, jedenfalls in der Hauptstadt und vielleicht
auch auf dem Lande ins Stocken gerathen.

„Ein schönes Loch hat die Verfassung" höhnen jetzt die Patrioten, wenn
sie von der über Prag verhängten Tyrannei reden. Wer das Loch gemacht
hat, ist keine Frage die ihnen in den Sinn kommt. Sie haben ihrem Volke
bewiesen, daß die Verfassung ein Gaukelwerk oder nur für die Deutschen
gegeben ist. Mit einer Hand — sagen sie — bietet man uns das Ver-
fassungsrecht, mit der andern nimmt man es zurück. Den Deutschen gestattet
man, was uns, blos weil wir Slaven sind, streng untersagt wird. Werden
Sie es glauben, daß selbst wohlhabende und von Hause aus ruhige czechische
Bürger sich in dieser Weise äußern? Ich habe Wochen lang mit Männern
dieser Klasse verkehrt, aber mit keiner Silbe verriethen sie eine Ahnung da¬
von, daß das Versammlungsrecht an gesetzliche Bedingungen geknüpft ist,
oder daß es selbst in den freiesten Ländern, wie England und Amerika,
gewissen Beschränkungen unterliegt. Wer sich nicht den Wortlaut der neuen
Gesetze verschafft — eine Gewohnheit die nichts weniger als allgemein ist,
hat wenig Aussicht die Wahrheit zu erfahren. Der Stockczeche glaubt nur
was er in seinen eigenen Organen, Narodni Lisei, Novini, Pokrok u. s. w.
schwarz auf weiß sieht. Verweise man ihn auf die „Bohemia", die wiener
„Presse", auf die Prager Zeitung oder ein anderes nichtslavisches Organ,


Grenzboten IV. 1868. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/145>, abgerufen am 05.02.2025.