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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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so antwortet er regelmäßig: "lo jeht (das ist) Schandblatt". Es gibt auch
deutsch geschriebene Organe des Czechenthums, wie die in Wien erscheinende
"Zukunft" und die prager .Korrespondenz" (früher "Politik" betitelt). Sie
sind auf jenes große zwieschlächtige Publieum berechnet, das der Sprache
nach mehr deutsch als slavisch, der Gesinnung nach aber slavisch und föde¬
ralistisch ist. Sie sind mit Geschick und Hinterlist redigirt und für die Tak¬
tik der Czechomanen sehr charakteristisch. Sie gleichen dem höflichen Dol¬
metscher von dem ein englischer Reisender erzählt. Wenn der Pascha dem
Dolmetsch befahl: "Sage dem verfluchten Franken, daß ich ihn spießen lassen
könnte, aber ihm diesmal noch das Leben schenke", so lautet das in der
Uebersetzung: "Der Pascha liebt dich wie seinen leiblichen Sohn." Und
wenn die Narodni Lisei meint, daß die Czechen allein in Böhmen zu herrschen
und die deutschen Schmarotzer hinauszuwerfen berechtigt seien, so erklärt das
die "Korrespondenz" mit den Worten, daß der Slave in Böhmen nichts sehn¬
licher wünsche, als mit seinem deutschen Landsmann sich zu verbrüdern."
Das Czechenthum erscheint in diesem Organ immer als Opferlamm. Haben
irgendwo ein paar Jünglinge auf deutsche Weiber und Kinder zur Uebung
mit Steinen geworfen, so schweigt die Korrespondenz so lange, bis der Vor¬
fall in einem deutschen Blatte erwähnt wird, und dann seufzt sie: "Zwei
Böhmen gerathen in Streit, und gleich macht man zwei verschiedene Natio¬
nalitäten aus ihnen und will sie mit einander verfeinden." Jeden Deutschen
der sich über eine Unbill beschwert beschuldigt sie daß er setze. Von Einfluß
ist dieses Blatt auf die Haltlosen und Schwankenden unter den Deutschen,
die, ohne einer slavischen Sprache kundig zu sein, sich über die Vorgänge im
gegnerischen Lager zu orientiren wünschen und oft so schön hinters Licht
geführt werden, daß sie die journalistischen Vertreter ihrer eigenen Sache
Störenfriede, Hitzköpfe u. s. w. schelten.

In den deutsch wie in den czechisch geschriebenen Czechenorganen ist das
Verbot jedes gesetzwidrigen Meetings als Willkür und Slavenhaß dargestellt
worden. Welchen Zweck die Agitatoren dabei im Auge hatten, ist leicht zu
errathen. Der demokratische Theil der Regierungsfeinde scheint wirklich dem
Wahn zu huldigen, daß die Slovenen, Ruthenen, Mähren und Slovaken
bestimmt seien im Bunde mit den Czechen dereinst Oestreich slavisch zu
machen oder mit Hülfe Rußlands es aus den Angeln zu heben, und daß
Czechien diesem Bunde durch Groll und Mißvergnügen am sichersten ent¬
gegenreifen werde. Wollen die Thuns und Clam-Martinttze und die ultra¬
montanen Bischöfe dasselbe? Schwerlich, aber mitverantwortlich sind sie für
allen Unfug, den ihre demokratischen Alliirten stiften, so wie die komödian¬
tischen modernen Hussiten an der Frechheit ihrer pfäffischen Gönner mit Schuld
sind. Hussiten, Demokraten, Pfaffen und Großjunker bilden hier zusammen


so antwortet er regelmäßig: „lo jeht (das ist) Schandblatt". Es gibt auch
deutsch geschriebene Organe des Czechenthums, wie die in Wien erscheinende
„Zukunft" und die prager .Korrespondenz" (früher „Politik" betitelt). Sie
sind auf jenes große zwieschlächtige Publieum berechnet, das der Sprache
nach mehr deutsch als slavisch, der Gesinnung nach aber slavisch und föde¬
ralistisch ist. Sie sind mit Geschick und Hinterlist redigirt und für die Tak¬
tik der Czechomanen sehr charakteristisch. Sie gleichen dem höflichen Dol¬
metscher von dem ein englischer Reisender erzählt. Wenn der Pascha dem
Dolmetsch befahl: „Sage dem verfluchten Franken, daß ich ihn spießen lassen
könnte, aber ihm diesmal noch das Leben schenke", so lautet das in der
Uebersetzung: „Der Pascha liebt dich wie seinen leiblichen Sohn." Und
wenn die Narodni Lisei meint, daß die Czechen allein in Böhmen zu herrschen
und die deutschen Schmarotzer hinauszuwerfen berechtigt seien, so erklärt das
die „Korrespondenz" mit den Worten, daß der Slave in Böhmen nichts sehn¬
licher wünsche, als mit seinem deutschen Landsmann sich zu verbrüdern."
Das Czechenthum erscheint in diesem Organ immer als Opferlamm. Haben
irgendwo ein paar Jünglinge auf deutsche Weiber und Kinder zur Uebung
mit Steinen geworfen, so schweigt die Korrespondenz so lange, bis der Vor¬
fall in einem deutschen Blatte erwähnt wird, und dann seufzt sie: „Zwei
Böhmen gerathen in Streit, und gleich macht man zwei verschiedene Natio¬
nalitäten aus ihnen und will sie mit einander verfeinden." Jeden Deutschen
der sich über eine Unbill beschwert beschuldigt sie daß er setze. Von Einfluß
ist dieses Blatt auf die Haltlosen und Schwankenden unter den Deutschen,
die, ohne einer slavischen Sprache kundig zu sein, sich über die Vorgänge im
gegnerischen Lager zu orientiren wünschen und oft so schön hinters Licht
geführt werden, daß sie die journalistischen Vertreter ihrer eigenen Sache
Störenfriede, Hitzköpfe u. s. w. schelten.

In den deutsch wie in den czechisch geschriebenen Czechenorganen ist das
Verbot jedes gesetzwidrigen Meetings als Willkür und Slavenhaß dargestellt
worden. Welchen Zweck die Agitatoren dabei im Auge hatten, ist leicht zu
errathen. Der demokratische Theil der Regierungsfeinde scheint wirklich dem
Wahn zu huldigen, daß die Slovenen, Ruthenen, Mähren und Slovaken
bestimmt seien im Bunde mit den Czechen dereinst Oestreich slavisch zu
machen oder mit Hülfe Rußlands es aus den Angeln zu heben, und daß
Czechien diesem Bunde durch Groll und Mißvergnügen am sichersten ent¬
gegenreifen werde. Wollen die Thuns und Clam-Martinttze und die ultra¬
montanen Bischöfe dasselbe? Schwerlich, aber mitverantwortlich sind sie für
allen Unfug, den ihre demokratischen Alliirten stiften, so wie die komödian¬
tischen modernen Hussiten an der Frechheit ihrer pfäffischen Gönner mit Schuld
sind. Hussiten, Demokraten, Pfaffen und Großjunker bilden hier zusammen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/146>, abgerufen am 05.02.2025.