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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die "Blätter aus der preußischen Geschichte" behandeln einen Zeitraum,
für den überhaupt nicht allzu zahlreiche Quellen flüssig sind und in welchem
es an einer Tagespresse, die der herrschenden Stimmung Ausdruck geben
oder auch nur die Vorgänge registriren konnte, welche die öffentliche Auf¬
merksamkeit beschäftigten, in der preußischen Hauptstadt vollständig fehlte.
Das politische Leben bewegte sich innerhalb abgeschlossener Kreise, welche sich,
mochten sie. der reactionären oder der freisinnigen Richtung huldigen, gegen
die Außenwelt gleich ängstlich abschlossen. Der Hos und was mit diesem zu¬
sammenhing haßte grundsätzlich jede Publicität und der famose Grundsatz,
"daß die Welt denen nicht ins Herz sehen dürfe, welche sie regierten" wurde
in der ausgedehntesten Weise befolgt, vielleicht in dem dunkeln Gefühl,
daß die, die ihm folgten, in der That Ursache hätten, das Tageslicht zu scheuen.
Aehnlich stand es in den liberalen Kreisen und in der Sphäre der Dema¬
gogie, soweit eine solche nach dem Jahre 1818 überhaupt noch vorhanden
war. Die mißtrauische Strenge einer Polizei, welche grundsätzlich zwischen
Handlungen und Gedanken keinen Unterschied machte, zwang Alle, die ihrer
näheren Bekanntschaft aus' dem Wege gehen wollten, zu Vorsicht und
Schweigen gegen Indifferente und Fremde. -- Dieser Umstand ist aber nicht
der einzige, der die Varnhagen'schen Aufzeichnungen von 1819 bis 1823
unter einen anderen Gesichtspunkt der Beurtheilung stellt, als die Tage¬
bücher von 1849, 50 u. f. w. Der Verfasser selbst ist noch ein Anderer; er'
lebt in einer Welt, mit der er jung gewesen, mit der er wirklich Vieles ge¬
mein hat, mit der er fühlt und die er nicht nur einseitig vom Isolirschemel
eines abstracten und radicalen Parteistandpunktes aus beurtheilt. Von einem
wirklichen Parteileben ist in den Jahren, aus welchen diese neuesten Auf¬
zeichnungen stammen, überhaupt nicht die Rede; es fehlt darum an der Ver¬
anlassung zu Urtheilen über die Einseitigkeit und Befangenheit der späteren.

Endlich -- und das scheint uns die Hauptsache zu sein -- trägt die
Reactionszeit von 1819 und 1823, das Zeitalter, in welchem die Jarcke,
Schmalz und Kamptz auf dem Höhepunkt ihres unseligen Einflusses standen
und den Credit der Regierung bei In- und Ausland systematisch herunter¬
brachten, einen Charakter, der die Art und Weise politischer Kritik, welche
Narnhagen übte, in gewissem Sinne zulässig erscheinen läßt. Der negative va¬
terländische Standpunkt, der uns bet den Zeugen der Vorgänge von 1848
und 1849 verdrießt, erscheint in der Periode der demagogischen Umtriebe
nicht nur verzeihlich, sondern sogar natürlich; es ist wesentlich derselbe Stand¬
punkt, den die besten Männer jener erbärmlichen Zeit einnahmen, und das
Urtheil, welches wir aus dem modernen Bewußtsein heraus über dasselbe
fällen, wird mit dem Varnhagens bei weitem in den meisten Fällen zusam¬
mentreffen. Erst jenseit der vierziger Jahre wird das Verhältniß ein ante>


Die „Blätter aus der preußischen Geschichte" behandeln einen Zeitraum,
für den überhaupt nicht allzu zahlreiche Quellen flüssig sind und in welchem
es an einer Tagespresse, die der herrschenden Stimmung Ausdruck geben
oder auch nur die Vorgänge registriren konnte, welche die öffentliche Auf¬
merksamkeit beschäftigten, in der preußischen Hauptstadt vollständig fehlte.
Das politische Leben bewegte sich innerhalb abgeschlossener Kreise, welche sich,
mochten sie. der reactionären oder der freisinnigen Richtung huldigen, gegen
die Außenwelt gleich ängstlich abschlossen. Der Hos und was mit diesem zu¬
sammenhing haßte grundsätzlich jede Publicität und der famose Grundsatz,
„daß die Welt denen nicht ins Herz sehen dürfe, welche sie regierten" wurde
in der ausgedehntesten Weise befolgt, vielleicht in dem dunkeln Gefühl,
daß die, die ihm folgten, in der That Ursache hätten, das Tageslicht zu scheuen.
Aehnlich stand es in den liberalen Kreisen und in der Sphäre der Dema¬
gogie, soweit eine solche nach dem Jahre 1818 überhaupt noch vorhanden
war. Die mißtrauische Strenge einer Polizei, welche grundsätzlich zwischen
Handlungen und Gedanken keinen Unterschied machte, zwang Alle, die ihrer
näheren Bekanntschaft aus' dem Wege gehen wollten, zu Vorsicht und
Schweigen gegen Indifferente und Fremde. — Dieser Umstand ist aber nicht
der einzige, der die Varnhagen'schen Aufzeichnungen von 1819 bis 1823
unter einen anderen Gesichtspunkt der Beurtheilung stellt, als die Tage¬
bücher von 1849, 50 u. f. w. Der Verfasser selbst ist noch ein Anderer; er'
lebt in einer Welt, mit der er jung gewesen, mit der er wirklich Vieles ge¬
mein hat, mit der er fühlt und die er nicht nur einseitig vom Isolirschemel
eines abstracten und radicalen Parteistandpunktes aus beurtheilt. Von einem
wirklichen Parteileben ist in den Jahren, aus welchen diese neuesten Auf¬
zeichnungen stammen, überhaupt nicht die Rede; es fehlt darum an der Ver¬
anlassung zu Urtheilen über die Einseitigkeit und Befangenheit der späteren.

Endlich — und das scheint uns die Hauptsache zu sein — trägt die
Reactionszeit von 1819 und 1823, das Zeitalter, in welchem die Jarcke,
Schmalz und Kamptz auf dem Höhepunkt ihres unseligen Einflusses standen
und den Credit der Regierung bei In- und Ausland systematisch herunter¬
brachten, einen Charakter, der die Art und Weise politischer Kritik, welche
Narnhagen übte, in gewissem Sinne zulässig erscheinen läßt. Der negative va¬
terländische Standpunkt, der uns bet den Zeugen der Vorgänge von 1848
und 1849 verdrießt, erscheint in der Periode der demagogischen Umtriebe
nicht nur verzeihlich, sondern sogar natürlich; es ist wesentlich derselbe Stand¬
punkt, den die besten Männer jener erbärmlichen Zeit einnahmen, und das
Urtheil, welches wir aus dem modernen Bewußtsein heraus über dasselbe
fällen, wird mit dem Varnhagens bei weitem in den meisten Fällen zusam¬
mentreffen. Erst jenseit der vierziger Jahre wird das Verhältniß ein ante>


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[0130] Die „Blätter aus der preußischen Geschichte" behandeln einen Zeitraum, für den überhaupt nicht allzu zahlreiche Quellen flüssig sind und in welchem es an einer Tagespresse, die der herrschenden Stimmung Ausdruck geben oder auch nur die Vorgänge registriren konnte, welche die öffentliche Auf¬ merksamkeit beschäftigten, in der preußischen Hauptstadt vollständig fehlte. Das politische Leben bewegte sich innerhalb abgeschlossener Kreise, welche sich, mochten sie. der reactionären oder der freisinnigen Richtung huldigen, gegen die Außenwelt gleich ängstlich abschlossen. Der Hos und was mit diesem zu¬ sammenhing haßte grundsätzlich jede Publicität und der famose Grundsatz, „daß die Welt denen nicht ins Herz sehen dürfe, welche sie regierten" wurde in der ausgedehntesten Weise befolgt, vielleicht in dem dunkeln Gefühl, daß die, die ihm folgten, in der That Ursache hätten, das Tageslicht zu scheuen. Aehnlich stand es in den liberalen Kreisen und in der Sphäre der Dema¬ gogie, soweit eine solche nach dem Jahre 1818 überhaupt noch vorhanden war. Die mißtrauische Strenge einer Polizei, welche grundsätzlich zwischen Handlungen und Gedanken keinen Unterschied machte, zwang Alle, die ihrer näheren Bekanntschaft aus' dem Wege gehen wollten, zu Vorsicht und Schweigen gegen Indifferente und Fremde. — Dieser Umstand ist aber nicht der einzige, der die Varnhagen'schen Aufzeichnungen von 1819 bis 1823 unter einen anderen Gesichtspunkt der Beurtheilung stellt, als die Tage¬ bücher von 1849, 50 u. f. w. Der Verfasser selbst ist noch ein Anderer; er' lebt in einer Welt, mit der er jung gewesen, mit der er wirklich Vieles ge¬ mein hat, mit der er fühlt und die er nicht nur einseitig vom Isolirschemel eines abstracten und radicalen Parteistandpunktes aus beurtheilt. Von einem wirklichen Parteileben ist in den Jahren, aus welchen diese neuesten Auf¬ zeichnungen stammen, überhaupt nicht die Rede; es fehlt darum an der Ver¬ anlassung zu Urtheilen über die Einseitigkeit und Befangenheit der späteren. Endlich — und das scheint uns die Hauptsache zu sein — trägt die Reactionszeit von 1819 und 1823, das Zeitalter, in welchem die Jarcke, Schmalz und Kamptz auf dem Höhepunkt ihres unseligen Einflusses standen und den Credit der Regierung bei In- und Ausland systematisch herunter¬ brachten, einen Charakter, der die Art und Weise politischer Kritik, welche Narnhagen übte, in gewissem Sinne zulässig erscheinen läßt. Der negative va¬ terländische Standpunkt, der uns bet den Zeugen der Vorgänge von 1848 und 1849 verdrießt, erscheint in der Periode der demagogischen Umtriebe nicht nur verzeihlich, sondern sogar natürlich; es ist wesentlich derselbe Stand¬ punkt, den die besten Männer jener erbärmlichen Zeit einnahmen, und das Urtheil, welches wir aus dem modernen Bewußtsein heraus über dasselbe fällen, wird mit dem Varnhagens bei weitem in den meisten Fällen zusam¬ mentreffen. Erst jenseit der vierziger Jahre wird das Verhältniß ein ante>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/130>, abgerufen am 05.02.2025.