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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Als die Truppen, so aufgestellt, die Aufständischen von allen Seiten mit
dichten Colonnen umzingelt hatten, verringerte sich die Zahl der um sie ver¬
sammelten Volkshaufen auf dem Platze. Die Polizei wurde in dem Ausein¬
andertreiben des Volks kecker, das anfangs alle drei Theile des Jsaaksplatzes,
die Plätze des Senats, der Admiralität und des Palastes bedeckt hatte; auf den
zwei letztgenannten Plätzen ritt der Kaiser selbst in raschem Trabe hin und her.
bald streng befehlend, bald freundlich bittend, das Volk solle auseinander
gehen und die Bewegung der Truppen nicht länger hindern. Unterdessen
waren verschiedene höhere Offiziere bemüht, die noch unentschiedenen Truppen¬
theile für die kaiserliche Sache zu gewinnen. Der Kaiser selbst war einem
Blutvergießen entschieden abgeneigt und wünschte lebhast die Aufständischen
zum Gehorsam zurückgeführt zu sehen, ehe es zum Aeußersten kam. General
Bistram hielt die in der Caserne gebliebenen Compagnien des moskauschen
Regiments zurück, damit sie sich nicht mit ihren aufständischen Kameraden ver¬
einigten, es gelang ihm sogar dieselben zu vermögen, die Wachen an diesem
Abende zu beziehen. Der General I. O. Suchasonet sprengte mitten in das
empörerische Quarri hinein und bat die Soldaten, auseinander zu gehen, ehe
die Kanonen abgefeuert würden; man antwortete ihm, er möge sich selbst
aus dem Staube machen und schießen!

Dann näherte sich der Großfürst Michail Pawlowitsch, der an diesem Tage
nur wenige Stunden vorher von der Station Umnak (wo er, wie erwähnt, auf
den ruhig in Warschau weilenden Großfürsten Constantin gewartet hatte)
zurückgekehrt war, zu Pferde muthig dem Viereck der Aufrührer und
suchte die Soldaten zum Gehorsam zu überreden. Er war in Gefahr, ein
Opfer seines Muthes zu werden, denn W. K. Küchelbecker, befürchtend, daß
es dem Großfürsten gelingen könnte, die Soldaten vom Aufstande abwendig
zu machen, schoß auf ihn sein Pistol ab, das zufällig versagte. Graf M.
A. Miloradowitsch, der geliebteste Anführer der Soldaten, bemühte sich eben¬
falls, die Aufständischen vom Jsaaksplatz mit sich fortzuführen; Fürst P. E.
Obolensky griff dem Pferde des Grafen in die Zügel, um es aus dem
Quarre' fortzuleiten, und stieß mit dem Bajonnet einer Soldatenflinte in
die Weichen des Rosses, um den Reiter zu retten. In diesem Augenblicke
trafen die Kugeln Kachowsky's und noch zweier Soldaten den tapfern Mi-
loradowitsch, der in unzähligen Schlachten mit Ruhm gekämpft hatte und
nie verwundet worden war, sodaß er sterbend niedersank. -- Auch der Com¬
mandeur des Leibgarde-Grenadier-Regiments, Obrist Stürler. fiel von einer
Kugel Kachowsky's, als er eben bemüht war, die Grenadier-Compagnien, die
vom Regiment abgefallen waren, zum Gehorsam zurückzurufen. Endlich erschien
der Metropolit Seraphim in vollem Ornat, begleitet von dem kiew'schen
Metropoliten Eugenius und mehreren Geistlichen. Das geweihte Kreuz in


Als die Truppen, so aufgestellt, die Aufständischen von allen Seiten mit
dichten Colonnen umzingelt hatten, verringerte sich die Zahl der um sie ver¬
sammelten Volkshaufen auf dem Platze. Die Polizei wurde in dem Ausein¬
andertreiben des Volks kecker, das anfangs alle drei Theile des Jsaaksplatzes,
die Plätze des Senats, der Admiralität und des Palastes bedeckt hatte; auf den
zwei letztgenannten Plätzen ritt der Kaiser selbst in raschem Trabe hin und her.
bald streng befehlend, bald freundlich bittend, das Volk solle auseinander
gehen und die Bewegung der Truppen nicht länger hindern. Unterdessen
waren verschiedene höhere Offiziere bemüht, die noch unentschiedenen Truppen¬
theile für die kaiserliche Sache zu gewinnen. Der Kaiser selbst war einem
Blutvergießen entschieden abgeneigt und wünschte lebhast die Aufständischen
zum Gehorsam zurückgeführt zu sehen, ehe es zum Aeußersten kam. General
Bistram hielt die in der Caserne gebliebenen Compagnien des moskauschen
Regiments zurück, damit sie sich nicht mit ihren aufständischen Kameraden ver¬
einigten, es gelang ihm sogar dieselben zu vermögen, die Wachen an diesem
Abende zu beziehen. Der General I. O. Suchasonet sprengte mitten in das
empörerische Quarri hinein und bat die Soldaten, auseinander zu gehen, ehe
die Kanonen abgefeuert würden; man antwortete ihm, er möge sich selbst
aus dem Staube machen und schießen!

Dann näherte sich der Großfürst Michail Pawlowitsch, der an diesem Tage
nur wenige Stunden vorher von der Station Umnak (wo er, wie erwähnt, auf
den ruhig in Warschau weilenden Großfürsten Constantin gewartet hatte)
zurückgekehrt war, zu Pferde muthig dem Viereck der Aufrührer und
suchte die Soldaten zum Gehorsam zu überreden. Er war in Gefahr, ein
Opfer seines Muthes zu werden, denn W. K. Küchelbecker, befürchtend, daß
es dem Großfürsten gelingen könnte, die Soldaten vom Aufstande abwendig
zu machen, schoß auf ihn sein Pistol ab, das zufällig versagte. Graf M.
A. Miloradowitsch, der geliebteste Anführer der Soldaten, bemühte sich eben¬
falls, die Aufständischen vom Jsaaksplatz mit sich fortzuführen; Fürst P. E.
Obolensky griff dem Pferde des Grafen in die Zügel, um es aus dem
Quarre' fortzuleiten, und stieß mit dem Bajonnet einer Soldatenflinte in
die Weichen des Rosses, um den Reiter zu retten. In diesem Augenblicke
trafen die Kugeln Kachowsky's und noch zweier Soldaten den tapfern Mi-
loradowitsch, der in unzähligen Schlachten mit Ruhm gekämpft hatte und
nie verwundet worden war, sodaß er sterbend niedersank. — Auch der Com¬
mandeur des Leibgarde-Grenadier-Regiments, Obrist Stürler. fiel von einer
Kugel Kachowsky's, als er eben bemüht war, die Grenadier-Compagnien, die
vom Regiment abgefallen waren, zum Gehorsam zurückzurufen. Endlich erschien
der Metropolit Seraphim in vollem Ornat, begleitet von dem kiew'schen
Metropoliten Eugenius und mehreren Geistlichen. Das geweihte Kreuz in


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[0125] Als die Truppen, so aufgestellt, die Aufständischen von allen Seiten mit dichten Colonnen umzingelt hatten, verringerte sich die Zahl der um sie ver¬ sammelten Volkshaufen auf dem Platze. Die Polizei wurde in dem Ausein¬ andertreiben des Volks kecker, das anfangs alle drei Theile des Jsaaksplatzes, die Plätze des Senats, der Admiralität und des Palastes bedeckt hatte; auf den zwei letztgenannten Plätzen ritt der Kaiser selbst in raschem Trabe hin und her. bald streng befehlend, bald freundlich bittend, das Volk solle auseinander gehen und die Bewegung der Truppen nicht länger hindern. Unterdessen waren verschiedene höhere Offiziere bemüht, die noch unentschiedenen Truppen¬ theile für die kaiserliche Sache zu gewinnen. Der Kaiser selbst war einem Blutvergießen entschieden abgeneigt und wünschte lebhast die Aufständischen zum Gehorsam zurückgeführt zu sehen, ehe es zum Aeußersten kam. General Bistram hielt die in der Caserne gebliebenen Compagnien des moskauschen Regiments zurück, damit sie sich nicht mit ihren aufständischen Kameraden ver¬ einigten, es gelang ihm sogar dieselben zu vermögen, die Wachen an diesem Abende zu beziehen. Der General I. O. Suchasonet sprengte mitten in das empörerische Quarri hinein und bat die Soldaten, auseinander zu gehen, ehe die Kanonen abgefeuert würden; man antwortete ihm, er möge sich selbst aus dem Staube machen und schießen! Dann näherte sich der Großfürst Michail Pawlowitsch, der an diesem Tage nur wenige Stunden vorher von der Station Umnak (wo er, wie erwähnt, auf den ruhig in Warschau weilenden Großfürsten Constantin gewartet hatte) zurückgekehrt war, zu Pferde muthig dem Viereck der Aufrührer und suchte die Soldaten zum Gehorsam zu überreden. Er war in Gefahr, ein Opfer seines Muthes zu werden, denn W. K. Küchelbecker, befürchtend, daß es dem Großfürsten gelingen könnte, die Soldaten vom Aufstande abwendig zu machen, schoß auf ihn sein Pistol ab, das zufällig versagte. Graf M. A. Miloradowitsch, der geliebteste Anführer der Soldaten, bemühte sich eben¬ falls, die Aufständischen vom Jsaaksplatz mit sich fortzuführen; Fürst P. E. Obolensky griff dem Pferde des Grafen in die Zügel, um es aus dem Quarre' fortzuleiten, und stieß mit dem Bajonnet einer Soldatenflinte in die Weichen des Rosses, um den Reiter zu retten. In diesem Augenblicke trafen die Kugeln Kachowsky's und noch zweier Soldaten den tapfern Mi- loradowitsch, der in unzähligen Schlachten mit Ruhm gekämpft hatte und nie verwundet worden war, sodaß er sterbend niedersank. — Auch der Com¬ mandeur des Leibgarde-Grenadier-Regiments, Obrist Stürler. fiel von einer Kugel Kachowsky's, als er eben bemüht war, die Grenadier-Compagnien, die vom Regiment abgefallen waren, zum Gehorsam zurückzurufen. Endlich erschien der Metropolit Seraphim in vollem Ornat, begleitet von dem kiew'schen Metropoliten Eugenius und mehreren Geistlichen. Das geweihte Kreuz in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/125>, abgerufen am 05.02.2025.