Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich widersetzt hatten, von ihrem Brigadechef. dem General Schipow, arretirt
wurden, erschien bei der Eingangspforte der Caserne M. A. Bestushew I.
und zwar in demselben Augenblicke, als vom Senatsplatze die Flintenschüsse
gegen den Angriff der Garde zu Pferde zu hören waren, und rief laut:
"Kinder, die Unsrigen werden angegriffen! Folgt mir!" -- Alles strömte
ihm nach zum Jsaaksplatze. In der Eile hatte er vergessen einige Kanonen,
die im Bataillonsarsenal aufgestellt waren, mitzunehmen; übrigens hoffte
man auf den Beistand der reitenden Gardeartillerie, die ihre Geschütze mit¬
bringen sollte. Auf dem Platze angelangt, bildete das Bataillon sogleich
eine Angriffscolonne und stellte sich neben das Quarre der Moskaner, dicht
an die zur Jsaakskirche gewandte Colonne.

Wenig später kam weitere Hilfe; zu den aufständischen Regimentern
stießen noch drei Compagnien der Leibgrenadiere, die durch den Lieutenant
A. N. Sutthoff. den Bataillonsadjutanten N. A. Panow und den Unter-
Iteutenant Koschewnikow aus ihrer Caserne auf den Jsaaksplatz geführt
worden waren. Diese Truppen waren im Sturmschritt über das Eis der
Newa gegangen und dann in den inneren Hof des Winterpalastes gerückt,
wo sie Cameraden zu finden hofften. Statt dieser fanden sie den Obristen
Gerun. der sein Garde-Sappeurbataillon aufgestellt hatte. Es wurden von
ihm vergebliche Versuche gemacht, die Grenadiere zum Gehorsam gegen den
neuen Kaiser zu bringen. Die Soldaten, ihr Versehen erkennend, riefen laut:
"Diese sind nicht von den Unsrigen!" und wandten im Hofe um, um auf
den Staatsplatz zu eilen und die übrigen Aufständischen zu unterstützen.
Unterwegs beim Admiralitätsboulevard sahen sie den Kaiser, welcher sie
fragte: "Wohin? Seid ihr für mich, so wendet rechts; wenn nicht, so wendet
links!" -- Eine Stimme antwortete: "Links!" und Alle eilten, ohne auch
nur in Reihe und Glied zu bleiben, auf den Jsaaksplatz. Hier wurden die
Grenadiere in das Quarre des moskauschen Regiments ausgenommen, um
unter dem Schutz desselben nach Compagnien geordnet zu werden. Noch
war diese Aufstellung nicht beendet, so trat bereits die entscheidende Kata¬
strophe ein.

In den Reihen der Aufständischen standen bereits über 2000 Mann.
Unter einheitlicher Leitung wäre, im Angesicht des rund herum zu Tausenden
versammelten und zur Mitwirkung bereiten Volkes, mit so beträchtlicher
Mannschaft ein dem Aufstande günstiger Ausgang wohl möglich gewesen,
zumal die Gegenpartei schwankte und verschiedene um den Kaiser versammelte
Regimenter Miene machten, sich den Aufständischen anzuschließen. An einer
wirklichen Leitung fehlte es den Aufständischen aber vollständig und die Sol-
daten mußten in passiver Haltung, bet 10 Grad Kälte und einem scharfen
Ostwinde und nur in Uniform gekleidet. Stunden lang dastehen. Der er,


sich widersetzt hatten, von ihrem Brigadechef. dem General Schipow, arretirt
wurden, erschien bei der Eingangspforte der Caserne M. A. Bestushew I.
und zwar in demselben Augenblicke, als vom Senatsplatze die Flintenschüsse
gegen den Angriff der Garde zu Pferde zu hören waren, und rief laut:
„Kinder, die Unsrigen werden angegriffen! Folgt mir!" — Alles strömte
ihm nach zum Jsaaksplatze. In der Eile hatte er vergessen einige Kanonen,
die im Bataillonsarsenal aufgestellt waren, mitzunehmen; übrigens hoffte
man auf den Beistand der reitenden Gardeartillerie, die ihre Geschütze mit¬
bringen sollte. Auf dem Platze angelangt, bildete das Bataillon sogleich
eine Angriffscolonne und stellte sich neben das Quarre der Moskaner, dicht
an die zur Jsaakskirche gewandte Colonne.

Wenig später kam weitere Hilfe; zu den aufständischen Regimentern
stießen noch drei Compagnien der Leibgrenadiere, die durch den Lieutenant
A. N. Sutthoff. den Bataillonsadjutanten N. A. Panow und den Unter-
Iteutenant Koschewnikow aus ihrer Caserne auf den Jsaaksplatz geführt
worden waren. Diese Truppen waren im Sturmschritt über das Eis der
Newa gegangen und dann in den inneren Hof des Winterpalastes gerückt,
wo sie Cameraden zu finden hofften. Statt dieser fanden sie den Obristen
Gerun. der sein Garde-Sappeurbataillon aufgestellt hatte. Es wurden von
ihm vergebliche Versuche gemacht, die Grenadiere zum Gehorsam gegen den
neuen Kaiser zu bringen. Die Soldaten, ihr Versehen erkennend, riefen laut:
„Diese sind nicht von den Unsrigen!" und wandten im Hofe um, um auf
den Staatsplatz zu eilen und die übrigen Aufständischen zu unterstützen.
Unterwegs beim Admiralitätsboulevard sahen sie den Kaiser, welcher sie
fragte: „Wohin? Seid ihr für mich, so wendet rechts; wenn nicht, so wendet
links!" — Eine Stimme antwortete: „Links!" und Alle eilten, ohne auch
nur in Reihe und Glied zu bleiben, auf den Jsaaksplatz. Hier wurden die
Grenadiere in das Quarre des moskauschen Regiments ausgenommen, um
unter dem Schutz desselben nach Compagnien geordnet zu werden. Noch
war diese Aufstellung nicht beendet, so trat bereits die entscheidende Kata¬
strophe ein.

In den Reihen der Aufständischen standen bereits über 2000 Mann.
Unter einheitlicher Leitung wäre, im Angesicht des rund herum zu Tausenden
versammelten und zur Mitwirkung bereiten Volkes, mit so beträchtlicher
Mannschaft ein dem Aufstande günstiger Ausgang wohl möglich gewesen,
zumal die Gegenpartei schwankte und verschiedene um den Kaiser versammelte
Regimenter Miene machten, sich den Aufständischen anzuschließen. An einer
wirklichen Leitung fehlte es den Aufständischen aber vollständig und die Sol-
daten mußten in passiver Haltung, bet 10 Grad Kälte und einem scharfen
Ostwinde und nur in Uniform gekleidet. Stunden lang dastehen. Der er,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287395"/>
            <p xml:id="ID_296" prev="#ID_295"> sich widersetzt hatten, von ihrem Brigadechef. dem General Schipow, arretirt<lb/>
wurden, erschien bei der Eingangspforte der Caserne M. A. Bestushew I.<lb/>
und zwar in demselben Augenblicke, als vom Senatsplatze die Flintenschüsse<lb/>
gegen den Angriff der Garde zu Pferde zu hören waren, und rief laut:<lb/>
&#x201E;Kinder, die Unsrigen werden angegriffen! Folgt mir!" &#x2014; Alles strömte<lb/>
ihm nach zum Jsaaksplatze. In der Eile hatte er vergessen einige Kanonen,<lb/>
die im Bataillonsarsenal aufgestellt waren, mitzunehmen; übrigens hoffte<lb/>
man auf den Beistand der reitenden Gardeartillerie, die ihre Geschütze mit¬<lb/>
bringen sollte. Auf dem Platze angelangt, bildete das Bataillon sogleich<lb/>
eine Angriffscolonne und stellte sich neben das Quarre der Moskaner, dicht<lb/>
an die zur Jsaakskirche gewandte Colonne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_297"> Wenig später kam weitere Hilfe; zu den aufständischen Regimentern<lb/>
stießen noch drei Compagnien der Leibgrenadiere, die durch den Lieutenant<lb/>
A. N. Sutthoff. den Bataillonsadjutanten N. A. Panow und den Unter-<lb/>
Iteutenant Koschewnikow aus ihrer Caserne auf den Jsaaksplatz geführt<lb/>
worden waren. Diese Truppen waren im Sturmschritt über das Eis der<lb/>
Newa gegangen und dann in den inneren Hof des Winterpalastes gerückt,<lb/>
wo sie Cameraden zu finden hofften. Statt dieser fanden sie den Obristen<lb/>
Gerun. der sein Garde-Sappeurbataillon aufgestellt hatte. Es wurden von<lb/>
ihm vergebliche Versuche gemacht, die Grenadiere zum Gehorsam gegen den<lb/>
neuen Kaiser zu bringen. Die Soldaten, ihr Versehen erkennend, riefen laut:<lb/>
&#x201E;Diese sind nicht von den Unsrigen!" und wandten im Hofe um, um auf<lb/>
den Staatsplatz zu eilen und die übrigen Aufständischen zu unterstützen.<lb/>
Unterwegs beim Admiralitätsboulevard sahen sie den Kaiser, welcher sie<lb/>
fragte: &#x201E;Wohin? Seid ihr für mich, so wendet rechts; wenn nicht, so wendet<lb/>
links!" &#x2014; Eine Stimme antwortete: &#x201E;Links!" und Alle eilten, ohne auch<lb/>
nur in Reihe und Glied zu bleiben, auf den Jsaaksplatz. Hier wurden die<lb/>
Grenadiere in das Quarre des moskauschen Regiments ausgenommen, um<lb/>
unter dem Schutz desselben nach Compagnien geordnet zu werden. Noch<lb/>
war diese Aufstellung nicht beendet, so trat bereits die entscheidende Kata¬<lb/>
strophe ein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_298" next="#ID_299"> In den Reihen der Aufständischen standen bereits über 2000 Mann.<lb/>
Unter einheitlicher Leitung wäre, im Angesicht des rund herum zu Tausenden<lb/>
versammelten und zur Mitwirkung bereiten Volkes, mit so beträchtlicher<lb/>
Mannschaft ein dem Aufstande günstiger Ausgang wohl möglich gewesen,<lb/>
zumal die Gegenpartei schwankte und verschiedene um den Kaiser versammelte<lb/>
Regimenter Miene machten, sich den Aufständischen anzuschließen. An einer<lb/>
wirklichen Leitung fehlte es den Aufständischen aber vollständig und die Sol-<lb/>
daten mußten in passiver Haltung, bet 10 Grad Kälte und einem scharfen<lb/>
Ostwinde und nur in Uniform gekleidet. Stunden lang dastehen. Der er,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] sich widersetzt hatten, von ihrem Brigadechef. dem General Schipow, arretirt wurden, erschien bei der Eingangspforte der Caserne M. A. Bestushew I. und zwar in demselben Augenblicke, als vom Senatsplatze die Flintenschüsse gegen den Angriff der Garde zu Pferde zu hören waren, und rief laut: „Kinder, die Unsrigen werden angegriffen! Folgt mir!" — Alles strömte ihm nach zum Jsaaksplatze. In der Eile hatte er vergessen einige Kanonen, die im Bataillonsarsenal aufgestellt waren, mitzunehmen; übrigens hoffte man auf den Beistand der reitenden Gardeartillerie, die ihre Geschütze mit¬ bringen sollte. Auf dem Platze angelangt, bildete das Bataillon sogleich eine Angriffscolonne und stellte sich neben das Quarre der Moskaner, dicht an die zur Jsaakskirche gewandte Colonne. Wenig später kam weitere Hilfe; zu den aufständischen Regimentern stießen noch drei Compagnien der Leibgrenadiere, die durch den Lieutenant A. N. Sutthoff. den Bataillonsadjutanten N. A. Panow und den Unter- Iteutenant Koschewnikow aus ihrer Caserne auf den Jsaaksplatz geführt worden waren. Diese Truppen waren im Sturmschritt über das Eis der Newa gegangen und dann in den inneren Hof des Winterpalastes gerückt, wo sie Cameraden zu finden hofften. Statt dieser fanden sie den Obristen Gerun. der sein Garde-Sappeurbataillon aufgestellt hatte. Es wurden von ihm vergebliche Versuche gemacht, die Grenadiere zum Gehorsam gegen den neuen Kaiser zu bringen. Die Soldaten, ihr Versehen erkennend, riefen laut: „Diese sind nicht von den Unsrigen!" und wandten im Hofe um, um auf den Staatsplatz zu eilen und die übrigen Aufständischen zu unterstützen. Unterwegs beim Admiralitätsboulevard sahen sie den Kaiser, welcher sie fragte: „Wohin? Seid ihr für mich, so wendet rechts; wenn nicht, so wendet links!" — Eine Stimme antwortete: „Links!" und Alle eilten, ohne auch nur in Reihe und Glied zu bleiben, auf den Jsaaksplatz. Hier wurden die Grenadiere in das Quarre des moskauschen Regiments ausgenommen, um unter dem Schutz desselben nach Compagnien geordnet zu werden. Noch war diese Aufstellung nicht beendet, so trat bereits die entscheidende Kata¬ strophe ein. In den Reihen der Aufständischen standen bereits über 2000 Mann. Unter einheitlicher Leitung wäre, im Angesicht des rund herum zu Tausenden versammelten und zur Mitwirkung bereiten Volkes, mit so beträchtlicher Mannschaft ein dem Aufstande günstiger Ausgang wohl möglich gewesen, zumal die Gegenpartei schwankte und verschiedene um den Kaiser versammelte Regimenter Miene machten, sich den Aufständischen anzuschließen. An einer wirklichen Leitung fehlte es den Aufständischen aber vollständig und die Sol- daten mußten in passiver Haltung, bet 10 Grad Kälte und einem scharfen Ostwinde und nur in Uniform gekleidet. Stunden lang dastehen. Der er,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/123
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/123>, abgerufen am 05.02.2025.