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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Soldaten dieser Compagnien gehorchten ihren^Capitainen nicht und äußerten,
daß der an der Spitze stehende Offizier schon wisse, was er thue. -- Die
Uhr ging auf.zwei. Die Polizei vertrieb das Volk von dem Platze, das
Volk drängte sich an dem Geländer der Brücke vorbet nach Wassily-Ostrow*).
mehrere der Vorbeigehenden baten mich, noch eine Stunde Stand zu halten.
Alles würde dann gut gehen. Mit dem sich zurückziehenden Volke gelang es
dem Capitain unserer dritten Compagnie. D. N. Belewzow. seine Compagnie
zurückzuwenden und mit ihr die Newa von der Akademie zum englischen Quai
hin zu überschreiten und sich mit dem ersten Zuge unsers Bataillons vor der
Brücke zu vereinigen. Er wurde dafür mit dem Wladimirkreuz belohnt. Die
übrigen Colonnen blieben bis zum letzten Augenblick hinter meinem Zuge.
Ueber zwei Stunden dauerte dieser qualvolle Zustand der Erwartung; jeden
Augenblick erwartete ich, meine Freunde würden sich zur Brücke durchschlagen,
damit ich ihnen mit meinen achthundert Mann Soldaten, die bereit waren,
mir überall hin zu folgen, zu Hilfe kommen könne.

Unterdessen hatten auf dem Senatsplatze 1000 Mann von dem auf¬
ständischen moskauschen Regiment ein Viereck gebildet: die Compagnie
M. A. Bestushew's stand dem Admiralitäts-Boulevard gegenüber und bildete
unter seinem Commando drei Seiten des Quarre's, während die vierte (der
Jsaakskirche gegenüberstehend) unter dem Befehl des gänzlich ermüdeten
Fürsten Tschepin-Rostowsky blieb. Dieser Umstand machte es M. A. Bestu-
shew möglich, zwei Escadrons der Garde zu Pferde, welche am Viereck vor¬
sprengten und sich auf halbe Schußweite von demselben aufstellten, vor dem
Feuer seiner Leute zu retten. Die dem Senatsgebäude gegenüberstehende
Fronte des Vierecks legte an, um eine Salve zu geben, wurde aber durch
M. Bestushew, der sich vor die Linie der Face stellte und "legt ab" comman-
dirte, davon abgehalten. Einige Kugeln pfiffen ihm an den Ohren vorbei,
und einige Mann von der Garde zu Pferde stürzten von ihren Pferden zu
Boden. Dann wandten die Reiter um, ohne ihren Angriff zu Ende zu
führen.

Eine gute Stunde später eilte das ganze Bataillon der Garde-Equipage
(Marinesoldaten), durch die Galeerenstraße kommend**), dem aufständischen
moskauschen Regiment zu Hilfe. Als dieses Bataillon im Hofe seiner
Caserne versammelt war, um den Eid zu leisten", und einige Offiziere, die




") Wassily-Ostrow ist eine große, gegenüber dem Jsaaksplatz liegende Newainsel, mit der
"großen Seite" der Residenz durch mehrere Brücken verbunden.
Die Galeerenstraße mündet durch ein großes Thor, welches das Senatsgebäude in
zwei Hälften theilt, auf den Jsaaksplatz, Das Bataillon der Gardemarinesoldaten kam mithin
von der dem Winterpalais gegenüberstehenden Seite den Aufständischen unbehindert zu Hilfe,
da die Truppen, welche der Kaiser um sich gesammelt hatten, sämmtlich vor dem Wintnpalais
und dem Gebäude des Generalstabs aufgestellt waren.

Soldaten dieser Compagnien gehorchten ihren^Capitainen nicht und äußerten,
daß der an der Spitze stehende Offizier schon wisse, was er thue. — Die
Uhr ging auf.zwei. Die Polizei vertrieb das Volk von dem Platze, das
Volk drängte sich an dem Geländer der Brücke vorbet nach Wassily-Ostrow*).
mehrere der Vorbeigehenden baten mich, noch eine Stunde Stand zu halten.
Alles würde dann gut gehen. Mit dem sich zurückziehenden Volke gelang es
dem Capitain unserer dritten Compagnie. D. N. Belewzow. seine Compagnie
zurückzuwenden und mit ihr die Newa von der Akademie zum englischen Quai
hin zu überschreiten und sich mit dem ersten Zuge unsers Bataillons vor der
Brücke zu vereinigen. Er wurde dafür mit dem Wladimirkreuz belohnt. Die
übrigen Colonnen blieben bis zum letzten Augenblick hinter meinem Zuge.
Ueber zwei Stunden dauerte dieser qualvolle Zustand der Erwartung; jeden
Augenblick erwartete ich, meine Freunde würden sich zur Brücke durchschlagen,
damit ich ihnen mit meinen achthundert Mann Soldaten, die bereit waren,
mir überall hin zu folgen, zu Hilfe kommen könne.

Unterdessen hatten auf dem Senatsplatze 1000 Mann von dem auf¬
ständischen moskauschen Regiment ein Viereck gebildet: die Compagnie
M. A. Bestushew's stand dem Admiralitäts-Boulevard gegenüber und bildete
unter seinem Commando drei Seiten des Quarre's, während die vierte (der
Jsaakskirche gegenüberstehend) unter dem Befehl des gänzlich ermüdeten
Fürsten Tschepin-Rostowsky blieb. Dieser Umstand machte es M. A. Bestu-
shew möglich, zwei Escadrons der Garde zu Pferde, welche am Viereck vor¬
sprengten und sich auf halbe Schußweite von demselben aufstellten, vor dem
Feuer seiner Leute zu retten. Die dem Senatsgebäude gegenüberstehende
Fronte des Vierecks legte an, um eine Salve zu geben, wurde aber durch
M. Bestushew, der sich vor die Linie der Face stellte und „legt ab" comman-
dirte, davon abgehalten. Einige Kugeln pfiffen ihm an den Ohren vorbei,
und einige Mann von der Garde zu Pferde stürzten von ihren Pferden zu
Boden. Dann wandten die Reiter um, ohne ihren Angriff zu Ende zu
führen.

Eine gute Stunde später eilte das ganze Bataillon der Garde-Equipage
(Marinesoldaten), durch die Galeerenstraße kommend**), dem aufständischen
moskauschen Regiment zu Hilfe. Als dieses Bataillon im Hofe seiner
Caserne versammelt war, um den Eid zu leisten«, und einige Offiziere, die




") Wassily-Ostrow ist eine große, gegenüber dem Jsaaksplatz liegende Newainsel, mit der
„großen Seite" der Residenz durch mehrere Brücken verbunden.
Die Galeerenstraße mündet durch ein großes Thor, welches das Senatsgebäude in
zwei Hälften theilt, auf den Jsaaksplatz, Das Bataillon der Gardemarinesoldaten kam mithin
von der dem Winterpalais gegenüberstehenden Seite den Aufständischen unbehindert zu Hilfe,
da die Truppen, welche der Kaiser um sich gesammelt hatten, sämmtlich vor dem Wintnpalais
und dem Gebäude des Generalstabs aufgestellt waren.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/122>, abgerufen am 05.02.2025.