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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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lich Antheil nahm, ohne auch nur nachträglich den Anspruch auf eine große
Rolle im Kreise der jugendlichen Verschwörer von 1825 zu erheben. Der
selbständigen Veröffentlichung des gesammten Memoirenwerks soll die Mit¬
theilung einiger der interessantesten Episoden desselben vorhergehen, um das
deutsche Publicum mit dem Schauplatz der Handlung und den mitwirkenden
Personen vorläufig bekannt zu machen.

Der erste Abschnitt des für die grünen Blätter bestimmten Theils dieser
Publicationen fällt sogleich meäias in res; zunächst ohne auf die geheime
Gesellschaft und sein Verhältniß zu derselben einzugehen. erzählt der Ver¬
fasser, wie er als junger Premierlieutenant des finnländischen Leibgarde-Re¬
giments bewogen worden, an der Schilderhebung vom 14. December 1825
Theil zu nehmen, und welche Rolle ihm an dem Tage zugetheilt gewesen, der
zugleich der erste Tag der Regierung des Kaisers Nikolaus war. Die spä¬
teren Abschnitte erzählen von der Untersuchung des Komplotts, der Ge¬
fangenschaft und der Verurteilung der Theilnehmer. Sodann wird zu
einem umständlichen Bericht über die Reise nach Sibirien und das Loos
übergegangen, welches die Verurtheilten hier erwartete.

Als bekannt darf vorausgesetzt werden, daß die von den Obristen Pestel
Murawjew-Apostol, dem Dichter Rylijew, Bestushew-Rzumie und Kachowski
geleitete Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Regierung und zur Be¬
gründung einer republikanischen Staatsform gleichzeitig an zwei Punkten
in Se, Petersburg und in Südrußland losbrach und daß beide Erhebungs¬
versuche vollständig mißglückter. Ueber die Einzelheiten des Aufstandes und
den Vorwand, welcher zu demselben genommen wurde, lassen wir den Ver¬
fasser selbst reden. Die einfache, schmucklose Art seiner Darstellung trägt das
Gepräge so strenger Wahrheitsliebe, daß die Einzelheiten derselben jeder Be¬
rufung auf die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit anderen
Berichten über die geschilderten Vorgänge füglich entbehren können.




Am 27. November früh Morgens trat ich in den Salon meiner Wohnung
ein. in welchem ich Geräusch gehört hatte; es arbeitete dort ein im Hofe be¬
schäftigter Tischler, den ich gemiethet hatte das Parquet in Ordnung zu hal¬
ten. Mit geheimnißvoller Miene fragte er mich: "Haben Sie von dem großen
Unglück gehört? Der Kaiser ist in Taganrog gestorben!" -- Die Personen,
die ich den Tag über sprach, bestätigten mir die Richtigkeit dieser Mitthei¬
lung. Ich schweige von der Bestürzung, die sie allenthalben erregte. -- Ge-
gen Abend versammelte sich unser Regiment aus der Straße, unserm Hospital
gegenüber. Der Regimentscommandeur General C. I. Bistram verkündete
mit bebender Stimme den Tod des Kaisers Alexander, beglückwünschte uns zu
dem neuen Kaiser Constantin, schwenkte den Hut und rief Hurrah! Thränen


lich Antheil nahm, ohne auch nur nachträglich den Anspruch auf eine große
Rolle im Kreise der jugendlichen Verschwörer von 1825 zu erheben. Der
selbständigen Veröffentlichung des gesammten Memoirenwerks soll die Mit¬
theilung einiger der interessantesten Episoden desselben vorhergehen, um das
deutsche Publicum mit dem Schauplatz der Handlung und den mitwirkenden
Personen vorläufig bekannt zu machen.

Der erste Abschnitt des für die grünen Blätter bestimmten Theils dieser
Publicationen fällt sogleich meäias in res; zunächst ohne auf die geheime
Gesellschaft und sein Verhältniß zu derselben einzugehen. erzählt der Ver¬
fasser, wie er als junger Premierlieutenant des finnländischen Leibgarde-Re¬
giments bewogen worden, an der Schilderhebung vom 14. December 1825
Theil zu nehmen, und welche Rolle ihm an dem Tage zugetheilt gewesen, der
zugleich der erste Tag der Regierung des Kaisers Nikolaus war. Die spä¬
teren Abschnitte erzählen von der Untersuchung des Komplotts, der Ge¬
fangenschaft und der Verurteilung der Theilnehmer. Sodann wird zu
einem umständlichen Bericht über die Reise nach Sibirien und das Loos
übergegangen, welches die Verurtheilten hier erwartete.

Als bekannt darf vorausgesetzt werden, daß die von den Obristen Pestel
Murawjew-Apostol, dem Dichter Rylijew, Bestushew-Rzumie und Kachowski
geleitete Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Regierung und zur Be¬
gründung einer republikanischen Staatsform gleichzeitig an zwei Punkten
in Se, Petersburg und in Südrußland losbrach und daß beide Erhebungs¬
versuche vollständig mißglückter. Ueber die Einzelheiten des Aufstandes und
den Vorwand, welcher zu demselben genommen wurde, lassen wir den Ver¬
fasser selbst reden. Die einfache, schmucklose Art seiner Darstellung trägt das
Gepräge so strenger Wahrheitsliebe, daß die Einzelheiten derselben jeder Be¬
rufung auf die Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit anderen
Berichten über die geschilderten Vorgänge füglich entbehren können.




Am 27. November früh Morgens trat ich in den Salon meiner Wohnung
ein. in welchem ich Geräusch gehört hatte; es arbeitete dort ein im Hofe be¬
schäftigter Tischler, den ich gemiethet hatte das Parquet in Ordnung zu hal¬
ten. Mit geheimnißvoller Miene fragte er mich: „Haben Sie von dem großen
Unglück gehört? Der Kaiser ist in Taganrog gestorben!" — Die Personen,
die ich den Tag über sprach, bestätigten mir die Richtigkeit dieser Mitthei¬
lung. Ich schweige von der Bestürzung, die sie allenthalben erregte. — Ge-
gen Abend versammelte sich unser Regiment aus der Straße, unserm Hospital
gegenüber. Der Regimentscommandeur General C. I. Bistram verkündete
mit bebender Stimme den Tod des Kaisers Alexander, beglückwünschte uns zu
dem neuen Kaiser Constantin, schwenkte den Hut und rief Hurrah! Thränen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/115>, abgerufen am 05.02.2025.