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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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England von den napoleonischen Kriegen her in gutem Andenken steht.
Französische Einflüsse im madrider Cabinet sind stets dem Lande verderblich,
englische Rathschläge oft nützlich gewesen. Schon aus der Parteinahme beider
Großstaaten gegenüber der spanischen Bewegung ergibt sich die Natur
ihres Einflusses. Frankreich begünstigte die Moderados, England die Pro-
gressisten. Während die französischen Einflüsterungen den Grund zu den
Unruhen unter Maria Christina legten, war in Espartero's Maßnahmen ein
Anlehnen an die wirthschaftlichen Grundsätze der englischen Politik nicht zu
verkennen. Jetzt, da Espartero von der Volkesstimme wieder als Präsident
der provisorischen Regierung bezeichnet wird, dürfte seine Vorliebe für Eng¬
land, die ihm seiner Zeit einen darauf bezüglichen Spitznamen eintrug, schwer
in die Wagschale fallen. Von englischer Seite nun -- in der Presse vertritt
der "Specrator" hauptsächlich diese Ansicht -- wird eine Einigung mit Por¬
tugal für das Wünschenswerteste gehalten. Auch französische und deutsche
Organe sprechen sich, anfangs schüchtern, jetzt mehr und mehr bestimmt, in
diesem Sinne aus. In Spanien selbst hat die Verschwörung Alernany's vom
10. Juni 1865 gezeigt, daß man in gewissen Kreisen nach Abschüttelung des
bourbonischen Joches Spanien mit Portugal vereinigt wissen wolle. Wenn man
dagegen fürchtet, Portugal werde von dem viermal größeren und volkreiche¬
ren Spanien erdrückt werden, so kann die Geschichte diese Furcht entkräften.
Sechzig Jahre lang (1S80- 1640) war Portugal eine Provinz der dama¬
ligen Großmacht Spanien: dennoch hat es, durch den Druck der spanischen
Habsburger empört, kräftige Mittel gefunden, sich selbständig zu machen und
bis heute zu behaupten. Das zähe und hartnäckige Portugiesenvolk ist nicht
geeignet in die spanische Nationalität aufzugehen; auch wäre bei einer Per¬
sonalunion jeder nationalen Individualität -- wir sehen es an Schweden
und Norwegen -- ihr eigenthümliches Recht in ausgedehntem Maße ge¬
wahrt. Selbst das Votum der portugiesischen Kammer, die sich bei Ge¬
legenheit des Prim'schen Aufstandes einstimmig gegen die Einheit Iberiens
aussprach, scheint uns für den Ausgang der Sache noch nicht entschei¬
dend. Die lockende Aussicht ein weites bisher ungenügend exploitirtes
Wirthschaftsgebiet wie Spanien durch das dem portugiesischen Volk eigen¬
thümliche handelsmännische Genie auszunutzen, wie die Aussicht, der iberischen
Halbinsel einen Portugiesischen König zu geben, werden auf die Portugiesen un¬
streitig einen gewissen Einfluß üben, sobald die Thronfolgefrage näher an
sie herantritt. Auch die Könige, Vater und Sohn, verhalten sich abwartend
und deshalb für jetzt ablehnend; es ist der alte Kunstgriff, der bald als
solcher erkannt werden wird.

Sollte das portugiesische Project keinen Erfolg haben, so weist doch die
Meinung der bestunterrichteten Preßorgane auf Throncandidaten germanischen


13*

England von den napoleonischen Kriegen her in gutem Andenken steht.
Französische Einflüsse im madrider Cabinet sind stets dem Lande verderblich,
englische Rathschläge oft nützlich gewesen. Schon aus der Parteinahme beider
Großstaaten gegenüber der spanischen Bewegung ergibt sich die Natur
ihres Einflusses. Frankreich begünstigte die Moderados, England die Pro-
gressisten. Während die französischen Einflüsterungen den Grund zu den
Unruhen unter Maria Christina legten, war in Espartero's Maßnahmen ein
Anlehnen an die wirthschaftlichen Grundsätze der englischen Politik nicht zu
verkennen. Jetzt, da Espartero von der Volkesstimme wieder als Präsident
der provisorischen Regierung bezeichnet wird, dürfte seine Vorliebe für Eng¬
land, die ihm seiner Zeit einen darauf bezüglichen Spitznamen eintrug, schwer
in die Wagschale fallen. Von englischer Seite nun — in der Presse vertritt
der „Specrator" hauptsächlich diese Ansicht — wird eine Einigung mit Por¬
tugal für das Wünschenswerteste gehalten. Auch französische und deutsche
Organe sprechen sich, anfangs schüchtern, jetzt mehr und mehr bestimmt, in
diesem Sinne aus. In Spanien selbst hat die Verschwörung Alernany's vom
10. Juni 1865 gezeigt, daß man in gewissen Kreisen nach Abschüttelung des
bourbonischen Joches Spanien mit Portugal vereinigt wissen wolle. Wenn man
dagegen fürchtet, Portugal werde von dem viermal größeren und volkreiche¬
ren Spanien erdrückt werden, so kann die Geschichte diese Furcht entkräften.
Sechzig Jahre lang (1S80- 1640) war Portugal eine Provinz der dama¬
ligen Großmacht Spanien: dennoch hat es, durch den Druck der spanischen
Habsburger empört, kräftige Mittel gefunden, sich selbständig zu machen und
bis heute zu behaupten. Das zähe und hartnäckige Portugiesenvolk ist nicht
geeignet in die spanische Nationalität aufzugehen; auch wäre bei einer Per¬
sonalunion jeder nationalen Individualität — wir sehen es an Schweden
und Norwegen — ihr eigenthümliches Recht in ausgedehntem Maße ge¬
wahrt. Selbst das Votum der portugiesischen Kammer, die sich bei Ge¬
legenheit des Prim'schen Aufstandes einstimmig gegen die Einheit Iberiens
aussprach, scheint uns für den Ausgang der Sache noch nicht entschei¬
dend. Die lockende Aussicht ein weites bisher ungenügend exploitirtes
Wirthschaftsgebiet wie Spanien durch das dem portugiesischen Volk eigen¬
thümliche handelsmännische Genie auszunutzen, wie die Aussicht, der iberischen
Halbinsel einen Portugiesischen König zu geben, werden auf die Portugiesen un¬
streitig einen gewissen Einfluß üben, sobald die Thronfolgefrage näher an
sie herantritt. Auch die Könige, Vater und Sohn, verhalten sich abwartend
und deshalb für jetzt ablehnend; es ist der alte Kunstgriff, der bald als
solcher erkannt werden wird.

Sollte das portugiesische Project keinen Erfolg haben, so weist doch die
Meinung der bestunterrichteten Preßorgane auf Throncandidaten germanischen


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[0113] England von den napoleonischen Kriegen her in gutem Andenken steht. Französische Einflüsse im madrider Cabinet sind stets dem Lande verderblich, englische Rathschläge oft nützlich gewesen. Schon aus der Parteinahme beider Großstaaten gegenüber der spanischen Bewegung ergibt sich die Natur ihres Einflusses. Frankreich begünstigte die Moderados, England die Pro- gressisten. Während die französischen Einflüsterungen den Grund zu den Unruhen unter Maria Christina legten, war in Espartero's Maßnahmen ein Anlehnen an die wirthschaftlichen Grundsätze der englischen Politik nicht zu verkennen. Jetzt, da Espartero von der Volkesstimme wieder als Präsident der provisorischen Regierung bezeichnet wird, dürfte seine Vorliebe für Eng¬ land, die ihm seiner Zeit einen darauf bezüglichen Spitznamen eintrug, schwer in die Wagschale fallen. Von englischer Seite nun — in der Presse vertritt der „Specrator" hauptsächlich diese Ansicht — wird eine Einigung mit Por¬ tugal für das Wünschenswerteste gehalten. Auch französische und deutsche Organe sprechen sich, anfangs schüchtern, jetzt mehr und mehr bestimmt, in diesem Sinne aus. In Spanien selbst hat die Verschwörung Alernany's vom 10. Juni 1865 gezeigt, daß man in gewissen Kreisen nach Abschüttelung des bourbonischen Joches Spanien mit Portugal vereinigt wissen wolle. Wenn man dagegen fürchtet, Portugal werde von dem viermal größeren und volkreiche¬ ren Spanien erdrückt werden, so kann die Geschichte diese Furcht entkräften. Sechzig Jahre lang (1S80- 1640) war Portugal eine Provinz der dama¬ ligen Großmacht Spanien: dennoch hat es, durch den Druck der spanischen Habsburger empört, kräftige Mittel gefunden, sich selbständig zu machen und bis heute zu behaupten. Das zähe und hartnäckige Portugiesenvolk ist nicht geeignet in die spanische Nationalität aufzugehen; auch wäre bei einer Per¬ sonalunion jeder nationalen Individualität — wir sehen es an Schweden und Norwegen — ihr eigenthümliches Recht in ausgedehntem Maße ge¬ wahrt. Selbst das Votum der portugiesischen Kammer, die sich bei Ge¬ legenheit des Prim'schen Aufstandes einstimmig gegen die Einheit Iberiens aussprach, scheint uns für den Ausgang der Sache noch nicht entschei¬ dend. Die lockende Aussicht ein weites bisher ungenügend exploitirtes Wirthschaftsgebiet wie Spanien durch das dem portugiesischen Volk eigen¬ thümliche handelsmännische Genie auszunutzen, wie die Aussicht, der iberischen Halbinsel einen Portugiesischen König zu geben, werden auf die Portugiesen un¬ streitig einen gewissen Einfluß üben, sobald die Thronfolgefrage näher an sie herantritt. Auch die Könige, Vater und Sohn, verhalten sich abwartend und deshalb für jetzt ablehnend; es ist der alte Kunstgriff, der bald als solcher erkannt werden wird. Sollte das portugiesische Project keinen Erfolg haben, so weist doch die Meinung der bestunterrichteten Preßorgane auf Throncandidaten germanischen 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/113>, abgerufen am 05.02.2025.