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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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ation durch den Starrsinn der Tories geworden war, eine überwiegend wohl¬
thätige Maßregel war, weil ihr eine Reihe anderer, namentlich wirthschaftlicher
Reformen zu verdanken sind, welche ohne sie schwerlich durchzusetzen gewesen
wären Durch diese hat das Parlament das Vertrauen der Bevölkerung wieder¬
gewonnen, welches es vor 1832 sehr verloren hatte. Aber ebensowenig lassen
sich die genannten Uebelstände in Abrede stellen und am wenigsten hat sich
die Voraussage Lord John Russell's bewahrheitet, daß die Bill den Abschluß
der Frage bringen werde, daß sie eine emal meaLurs sein solle. Der
großen Aufregung des Kampfes folgte allerdings eine Periode der Ruhe,
in der sich die Parteien wieder zu organisiren suchten. Sodann nahmen die
wirthschaftlichen Fragen alles Interesse in Anspruch, und nur so lange die
Korngesetze dem Volke das Brod vertheuerten, fanden die Chartisten mit
ihren abstracten Programmen für allgemeines Stimmrecht, gleiche Wahlbe¬
zirke, geheimes Stimmrecht und jährliche Parlamente einen gewissen Anhang
unter den arbeitenden Classen. Aber schon 1852 taucht die Frage einer
neuen Parlamentsreform auf. Der Anstoß ging diesmal keineswegs aus
einer Bewegung im Volke hervor, sondern aus Parteimotiven und zwar war es
derselbe Lord John Russell, der die Bill von 1832 für endgiltig erklärt hatte,
welcher, um sein schwaches Ministerium durch eine populäre Maßregel zu
stärken, eine weitere Ausdehnung des Wahlrechts vorschlug. Danach sollte
in den Grafschaften die Qualification der Wähler von 50 auf 20 Pfd. Sterl.
herabgesetzt werden und der städtische Satz von 10 Pfd. Sterl. Miethe auf
5 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung*) (rating); außerdem sollten die kleinsten
Wahlkörper zu gemeinsamen Bezirken gruppirt werden. Der Vorschlag ward
gleichgiltig aufgenommen und der Fall des Ministeriums ließ es zu keiner
Entscheidung kommen. Als dann zwei Jahre darauf Lord John im "Mini¬
sterium aller Talente" von Aberdeen saß, glaubte er in Rücksicht auf
seine "vorgeschrittenen" Collegen Sir W. Molesworth und Milner Gibson
weiter gehen zu müssen. Nun sollten 13 kleinere Flecken das Wahlrecht
ganz, 33 theilweise verlieren, die Qualification der Pächter sollte von S0
auf 10 Psd. Sterl., der städtischen Wähler von 10 Pfd. Sterl. rentg-I auf
6 Pfd. Sterl. rating herabgesetzt werden, 46 de^ verfügbar werdenden Sitze
sollten den Grafschaften zufallen, 12 den Städten, daneben sollten die Rechts¬
schulen (Inns ot Lourt) und die londoner Universität vertreten werden.
Außerdem brachte die Bill von 1854 den Vorschlag der Vertretung der



") Der Unterschied von Miethe (routs,!) und Gemcindeschätzung (rating) ist der, daß bei
ersterer der wirklich gezahlte Miethzins in Betracht kommt, bei letzterer die Abschätzung des
MicthwcrtheS eines Hauses, welche für die Gemeindesteuer" zu Grunde gelegt wird und die
immer erheblich niedriger ist als die wirklich gezahlte Miethe; S Pfd. Sterl. ratiug ist etwa
dasselbe wie 6 Pfd. Sterl. rerrwl.

ation durch den Starrsinn der Tories geworden war, eine überwiegend wohl¬
thätige Maßregel war, weil ihr eine Reihe anderer, namentlich wirthschaftlicher
Reformen zu verdanken sind, welche ohne sie schwerlich durchzusetzen gewesen
wären Durch diese hat das Parlament das Vertrauen der Bevölkerung wieder¬
gewonnen, welches es vor 1832 sehr verloren hatte. Aber ebensowenig lassen
sich die genannten Uebelstände in Abrede stellen und am wenigsten hat sich
die Voraussage Lord John Russell's bewahrheitet, daß die Bill den Abschluß
der Frage bringen werde, daß sie eine emal meaLurs sein solle. Der
großen Aufregung des Kampfes folgte allerdings eine Periode der Ruhe,
in der sich die Parteien wieder zu organisiren suchten. Sodann nahmen die
wirthschaftlichen Fragen alles Interesse in Anspruch, und nur so lange die
Korngesetze dem Volke das Brod vertheuerten, fanden die Chartisten mit
ihren abstracten Programmen für allgemeines Stimmrecht, gleiche Wahlbe¬
zirke, geheimes Stimmrecht und jährliche Parlamente einen gewissen Anhang
unter den arbeitenden Classen. Aber schon 1852 taucht die Frage einer
neuen Parlamentsreform auf. Der Anstoß ging diesmal keineswegs aus
einer Bewegung im Volke hervor, sondern aus Parteimotiven und zwar war es
derselbe Lord John Russell, der die Bill von 1832 für endgiltig erklärt hatte,
welcher, um sein schwaches Ministerium durch eine populäre Maßregel zu
stärken, eine weitere Ausdehnung des Wahlrechts vorschlug. Danach sollte
in den Grafschaften die Qualification der Wähler von 50 auf 20 Pfd. Sterl.
herabgesetzt werden und der städtische Satz von 10 Pfd. Sterl. Miethe auf
5 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung*) (rating); außerdem sollten die kleinsten
Wahlkörper zu gemeinsamen Bezirken gruppirt werden. Der Vorschlag ward
gleichgiltig aufgenommen und der Fall des Ministeriums ließ es zu keiner
Entscheidung kommen. Als dann zwei Jahre darauf Lord John im „Mini¬
sterium aller Talente" von Aberdeen saß, glaubte er in Rücksicht auf
seine „vorgeschrittenen" Collegen Sir W. Molesworth und Milner Gibson
weiter gehen zu müssen. Nun sollten 13 kleinere Flecken das Wahlrecht
ganz, 33 theilweise verlieren, die Qualification der Pächter sollte von S0
auf 10 Psd. Sterl., der städtischen Wähler von 10 Pfd. Sterl. rentg-I auf
6 Pfd. Sterl. rating herabgesetzt werden, 46 de^ verfügbar werdenden Sitze
sollten den Grafschaften zufallen, 12 den Städten, daneben sollten die Rechts¬
schulen (Inns ot Lourt) und die londoner Universität vertreten werden.
Außerdem brachte die Bill von 1854 den Vorschlag der Vertretung der



") Der Unterschied von Miethe (routs,!) und Gemcindeschätzung (rating) ist der, daß bei
ersterer der wirklich gezahlte Miethzins in Betracht kommt, bei letzterer die Abschätzung des
MicthwcrtheS eines Hauses, welche für die Gemeindesteuer» zu Grunde gelegt wird und die
immer erheblich niedriger ist als die wirklich gezahlte Miethe; S Pfd. Sterl. ratiug ist etwa
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[0104] ation durch den Starrsinn der Tories geworden war, eine überwiegend wohl¬ thätige Maßregel war, weil ihr eine Reihe anderer, namentlich wirthschaftlicher Reformen zu verdanken sind, welche ohne sie schwerlich durchzusetzen gewesen wären Durch diese hat das Parlament das Vertrauen der Bevölkerung wieder¬ gewonnen, welches es vor 1832 sehr verloren hatte. Aber ebensowenig lassen sich die genannten Uebelstände in Abrede stellen und am wenigsten hat sich die Voraussage Lord John Russell's bewahrheitet, daß die Bill den Abschluß der Frage bringen werde, daß sie eine emal meaLurs sein solle. Der großen Aufregung des Kampfes folgte allerdings eine Periode der Ruhe, in der sich die Parteien wieder zu organisiren suchten. Sodann nahmen die wirthschaftlichen Fragen alles Interesse in Anspruch, und nur so lange die Korngesetze dem Volke das Brod vertheuerten, fanden die Chartisten mit ihren abstracten Programmen für allgemeines Stimmrecht, gleiche Wahlbe¬ zirke, geheimes Stimmrecht und jährliche Parlamente einen gewissen Anhang unter den arbeitenden Classen. Aber schon 1852 taucht die Frage einer neuen Parlamentsreform auf. Der Anstoß ging diesmal keineswegs aus einer Bewegung im Volke hervor, sondern aus Parteimotiven und zwar war es derselbe Lord John Russell, der die Bill von 1832 für endgiltig erklärt hatte, welcher, um sein schwaches Ministerium durch eine populäre Maßregel zu stärken, eine weitere Ausdehnung des Wahlrechts vorschlug. Danach sollte in den Grafschaften die Qualification der Wähler von 50 auf 20 Pfd. Sterl. herabgesetzt werden und der städtische Satz von 10 Pfd. Sterl. Miethe auf 5 Pfd. Sterl. Gemeindeschätzung*) (rating); außerdem sollten die kleinsten Wahlkörper zu gemeinsamen Bezirken gruppirt werden. Der Vorschlag ward gleichgiltig aufgenommen und der Fall des Ministeriums ließ es zu keiner Entscheidung kommen. Als dann zwei Jahre darauf Lord John im „Mini¬ sterium aller Talente" von Aberdeen saß, glaubte er in Rücksicht auf seine „vorgeschrittenen" Collegen Sir W. Molesworth und Milner Gibson weiter gehen zu müssen. Nun sollten 13 kleinere Flecken das Wahlrecht ganz, 33 theilweise verlieren, die Qualification der Pächter sollte von S0 auf 10 Psd. Sterl., der städtischen Wähler von 10 Pfd. Sterl. rentg-I auf 6 Pfd. Sterl. rating herabgesetzt werden, 46 de^ verfügbar werdenden Sitze sollten den Grafschaften zufallen, 12 den Städten, daneben sollten die Rechts¬ schulen (Inns ot Lourt) und die londoner Universität vertreten werden. Außerdem brachte die Bill von 1854 den Vorschlag der Vertretung der ") Der Unterschied von Miethe (routs,!) und Gemcindeschätzung (rating) ist der, daß bei ersterer der wirklich gezahlte Miethzins in Betracht kommt, bei letzterer die Abschätzung des MicthwcrtheS eines Hauses, welche für die Gemeindesteuer» zu Grunde gelegt wird und die immer erheblich niedriger ist als die wirklich gezahlte Miethe; S Pfd. Sterl. ratiug ist etwa dasselbe wie 6 Pfd. Sterl. rerrwl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/104>, abgerufen am 05.02.2025.