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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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auch der einzige europäische Beisitzer, der Deputirte des norddeutschen Con-
sulats, -- die übrigen Consulatsvertreter sind eingeborene Juden -- zur Ein¬
sicht gelangen, daß all' seine Bemühmungen fruchtlos sind, so lange die
Oberverwaltung in türkischen Händen ist. Rege Thätigkeit vermögen die
Türken nur zu entwickeln, wenn es gilt, Strafgelder und Steuern einzutreiben;
Reformvorschläge, welche auf eine gewinnbringende Erleichterung der Admi¬
nistration hinzielen, würden augenblicklich angenommen werden. Das türkische
Aussaugesystem scheint durch die jetzige neueste Aera auf die Spitze getrieben
zu sein, nothwendig ist es aber. Bet Gelegenheit der im vorigen Jahre den
von jeher steuerfreien Bewohnern der heiligen Stadt auferlegten Zwangsanleihe
lief ein Geschichtchen von Mund zu Mund, das für die Stellung des Volks
zum heutigen Regiment höchst bezeichnend ist. Zur Zeit der Geburt des jetzi¬
gen Sultans -- so lautet die Erzählung -- befand sich der Padischah Mach-
mud gerade im Bade. Der Großvezir beeilte sich, seinem Gebieter die erste
Kunde des Ereignisses zu überbringen, er drang in die innersten Räume des
Badhauses und fand den Sultan völlig entkleidet mit den Waschungen be¬
schäftigt. Die ehrerbietigst dargebrachte Gratulation wurde aber sehr un¬
gnädig aufgenommen; mit wuthentbrannten Blicken und fürchterlicher Stimme
herrschte er dem Vezir zu, sich augenblicklich aufs schleunigste zu entfernen.
Voll Angst und Furcht eilte der Arme nach Hause", ein bedenkliches Wackeln
seines Kopfes spürend. Mit Zittern und Schrecken machte er sich auf. als
er nach einer Stunde zum Sultan gerufen wurde, mit Mühe nur konnte er
sich vor dem ins Staatsgemach zurückgekehrten Fürsten auf den Füßen hal¬
ten; die Hälfte seiner Seele wandelte bereits unter den Bäumen im Paradies.
Doch der Sultan öffnete seinen Mund zu süßer Rede. "Weißt du nicht.
Vezir. daß ich ein Prophet bin? Als du mir die Nachricht brachtest, stand
es mir sofort vor den Augen, daß der so eben zur Welt gekommene Sohn,
wenn er einst zur Herrschaft gelange, seine Unterthanen so bedrücken und
ausziehen werden, daß sie zuletzt ganz entblößt dastehen, wie ich es gethan, da
du mir Glück gewünscht. Hätte ich ein Schwert zur Hand gehabt, dein Kopf
würde nicht mehr so fest sitzen." -- Immerhin mag es der gute Wille der
obersten Leiter sein, Ordnung und Rechtlichkeit in die Verwaltung des großen
Reiches zu bringen; aber in der Praxis wird wenig davon verspürt; schon der
eine Wink mag genügen, daß die untern Beamten viel zu schlecht und viel
zu unregelmäßig bezahlt werden, als daß sie von ihrem Gehalte leben könn¬
ten ; sie müssen sich nothgedrungen an ihre Nebenspesen halten. -- Von der
Landbevölkerung wird der Zehnten eingefordert und zwar auf eine für die
Regierung nicht ungünstige Art. Sie verpachtet dem Meistbietenden irgend
einen Bezirk für einen nach der Ertragsfähigkeit des Ortes berechneten Be¬
trag, welcher vom Pächter baar eingezahlt werden muß. Letzterer, meist ein


auch der einzige europäische Beisitzer, der Deputirte des norddeutschen Con-
sulats, — die übrigen Consulatsvertreter sind eingeborene Juden — zur Ein¬
sicht gelangen, daß all' seine Bemühmungen fruchtlos sind, so lange die
Oberverwaltung in türkischen Händen ist. Rege Thätigkeit vermögen die
Türken nur zu entwickeln, wenn es gilt, Strafgelder und Steuern einzutreiben;
Reformvorschläge, welche auf eine gewinnbringende Erleichterung der Admi¬
nistration hinzielen, würden augenblicklich angenommen werden. Das türkische
Aussaugesystem scheint durch die jetzige neueste Aera auf die Spitze getrieben
zu sein, nothwendig ist es aber. Bet Gelegenheit der im vorigen Jahre den
von jeher steuerfreien Bewohnern der heiligen Stadt auferlegten Zwangsanleihe
lief ein Geschichtchen von Mund zu Mund, das für die Stellung des Volks
zum heutigen Regiment höchst bezeichnend ist. Zur Zeit der Geburt des jetzi¬
gen Sultans — so lautet die Erzählung — befand sich der Padischah Mach-
mud gerade im Bade. Der Großvezir beeilte sich, seinem Gebieter die erste
Kunde des Ereignisses zu überbringen, er drang in die innersten Räume des
Badhauses und fand den Sultan völlig entkleidet mit den Waschungen be¬
schäftigt. Die ehrerbietigst dargebrachte Gratulation wurde aber sehr un¬
gnädig aufgenommen; mit wuthentbrannten Blicken und fürchterlicher Stimme
herrschte er dem Vezir zu, sich augenblicklich aufs schleunigste zu entfernen.
Voll Angst und Furcht eilte der Arme nach Hause", ein bedenkliches Wackeln
seines Kopfes spürend. Mit Zittern und Schrecken machte er sich auf. als
er nach einer Stunde zum Sultan gerufen wurde, mit Mühe nur konnte er
sich vor dem ins Staatsgemach zurückgekehrten Fürsten auf den Füßen hal¬
ten; die Hälfte seiner Seele wandelte bereits unter den Bäumen im Paradies.
Doch der Sultan öffnete seinen Mund zu süßer Rede. „Weißt du nicht.
Vezir. daß ich ein Prophet bin? Als du mir die Nachricht brachtest, stand
es mir sofort vor den Augen, daß der so eben zur Welt gekommene Sohn,
wenn er einst zur Herrschaft gelange, seine Unterthanen so bedrücken und
ausziehen werden, daß sie zuletzt ganz entblößt dastehen, wie ich es gethan, da
du mir Glück gewünscht. Hätte ich ein Schwert zur Hand gehabt, dein Kopf
würde nicht mehr so fest sitzen." — Immerhin mag es der gute Wille der
obersten Leiter sein, Ordnung und Rechtlichkeit in die Verwaltung des großen
Reiches zu bringen; aber in der Praxis wird wenig davon verspürt; schon der
eine Wink mag genügen, daß die untern Beamten viel zu schlecht und viel
zu unregelmäßig bezahlt werden, als daß sie von ihrem Gehalte leben könn¬
ten ; sie müssen sich nothgedrungen an ihre Nebenspesen halten. — Von der
Landbevölkerung wird der Zehnten eingefordert und zwar auf eine für die
Regierung nicht ungünstige Art. Sie verpachtet dem Meistbietenden irgend
einen Bezirk für einen nach der Ertragsfähigkeit des Ortes berechneten Be¬
trag, welcher vom Pächter baar eingezahlt werden muß. Letzterer, meist ein


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[0086] auch der einzige europäische Beisitzer, der Deputirte des norddeutschen Con- sulats, — die übrigen Consulatsvertreter sind eingeborene Juden — zur Ein¬ sicht gelangen, daß all' seine Bemühmungen fruchtlos sind, so lange die Oberverwaltung in türkischen Händen ist. Rege Thätigkeit vermögen die Türken nur zu entwickeln, wenn es gilt, Strafgelder und Steuern einzutreiben; Reformvorschläge, welche auf eine gewinnbringende Erleichterung der Admi¬ nistration hinzielen, würden augenblicklich angenommen werden. Das türkische Aussaugesystem scheint durch die jetzige neueste Aera auf die Spitze getrieben zu sein, nothwendig ist es aber. Bet Gelegenheit der im vorigen Jahre den von jeher steuerfreien Bewohnern der heiligen Stadt auferlegten Zwangsanleihe lief ein Geschichtchen von Mund zu Mund, das für die Stellung des Volks zum heutigen Regiment höchst bezeichnend ist. Zur Zeit der Geburt des jetzi¬ gen Sultans — so lautet die Erzählung — befand sich der Padischah Mach- mud gerade im Bade. Der Großvezir beeilte sich, seinem Gebieter die erste Kunde des Ereignisses zu überbringen, er drang in die innersten Räume des Badhauses und fand den Sultan völlig entkleidet mit den Waschungen be¬ schäftigt. Die ehrerbietigst dargebrachte Gratulation wurde aber sehr un¬ gnädig aufgenommen; mit wuthentbrannten Blicken und fürchterlicher Stimme herrschte er dem Vezir zu, sich augenblicklich aufs schleunigste zu entfernen. Voll Angst und Furcht eilte der Arme nach Hause", ein bedenkliches Wackeln seines Kopfes spürend. Mit Zittern und Schrecken machte er sich auf. als er nach einer Stunde zum Sultan gerufen wurde, mit Mühe nur konnte er sich vor dem ins Staatsgemach zurückgekehrten Fürsten auf den Füßen hal¬ ten; die Hälfte seiner Seele wandelte bereits unter den Bäumen im Paradies. Doch der Sultan öffnete seinen Mund zu süßer Rede. „Weißt du nicht. Vezir. daß ich ein Prophet bin? Als du mir die Nachricht brachtest, stand es mir sofort vor den Augen, daß der so eben zur Welt gekommene Sohn, wenn er einst zur Herrschaft gelange, seine Unterthanen so bedrücken und ausziehen werden, daß sie zuletzt ganz entblößt dastehen, wie ich es gethan, da du mir Glück gewünscht. Hätte ich ein Schwert zur Hand gehabt, dein Kopf würde nicht mehr so fest sitzen." — Immerhin mag es der gute Wille der obersten Leiter sein, Ordnung und Rechtlichkeit in die Verwaltung des großen Reiches zu bringen; aber in der Praxis wird wenig davon verspürt; schon der eine Wink mag genügen, daß die untern Beamten viel zu schlecht und viel zu unregelmäßig bezahlt werden, als daß sie von ihrem Gehalte leben könn¬ ten ; sie müssen sich nothgedrungen an ihre Nebenspesen halten. — Von der Landbevölkerung wird der Zehnten eingefordert und zwar auf eine für die Regierung nicht ungünstige Art. Sie verpachtet dem Meistbietenden irgend einen Bezirk für einen nach der Ertragsfähigkeit des Ortes berechneten Be¬ trag, welcher vom Pächter baar eingezahlt werden muß. Letzterer, meist ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/86>, abgerufen am 22.07.2024.