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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mit solchen Geschäften vertrauter Eingeborner, hat das Recht, die Steuern
durch Baschi-Bozuks eintreiben, Widerspenstige ins Gefängniß werfen zu
lassen, zieht aber gewöhnlich den gütlichen Weg vor: er vereinigt sich mit
einem angesehenen Manne seines Steuerbezirks, dem er für seine Mühe
S--10°/" Antheil verspricht, welcher dagegen die Ernten genau überwacht,
und die Vermögensumstände der Steuerpflichtigen kennend den richtigen
Zehnten bestimmt, der natürlich den Regierungsvoranschlag bedeutend über¬
steigt. Die Provinz Palästina, zu welcher weder Radius noch Nazareth ge¬
hören, deren Hauptorte außer der steuerfreien Hauptstadt Hebron, Gaza,
Jaffa, Ramlah und Lüdd sind, vermag an Preuß. Court Thlr. 250,000
(zweimalhundertsünfzigtausend Thaler) in Zehnten aufzubringen. -- Außerdem
verpachtet der Staat seine großen Ländereien, welche gegen ^ des jährlichen
Ertrages abwerfen, beträchtliche Einkünfte (ca. Thlr. 30.000) hat er durch
die Verpachtung der Mühlen und Fischereien bei Jaffa, des Thorgeldes in
Jerusalem, beim Salzverkauf und Stadtzoll auf hier und in Bethlehem fabri-
zirte Waaren u. f. w. -- Wehe dem Dorfe, das sich Saumseligkeit im Zahlen
zu Schulden kommen lassen sollte! Eine Schaar von Chayalen (Baschi-Bozuks)
überfällt es im Namen des Sultans gleich einem Heuschreckenschwärme und
zwingt die Ungefügigen um des größeren Uebels willen zur Pflicht.

Wohl ist Jerusalem "um seiner Heiligkeit willen" dem Namen nach steuer¬
frei, aber es kommen seit der neuesten Reform nach und nach allerlei Ab¬
gaben unter verschiedenen Benennungen: Zwangsanleihe, Militärsteuer,
Stadtgeld u. s. f. an sie, womit die Leute wenig zufrieden sind, am wenig¬
sten die großen Adelsfamilien, welche bis vor wenigen Jahren die Ein-
künfte der Moscheen und Stiftungen unbeschränkt verwalten konnten, welchen
aber dieses einträgliche Geschäft abgenommen und einem türkischen Beamten
übergeben worden ist; ihnen wie der Moschee und Stiftung ist ein sehr ge¬
ringes jährliches Benefiz ausgesetzt.

Kommen aber nun diese Einkünfte dem Lande zu gut? Nicht zum ge¬
ringsten Theil; Alles geht, nach den unbeträchtlichen Abzügen für die Sala-
rien, in den unersättlichen Schlund des Staatsschatzes zu Stambul; zurück
kommt nichts. -- Für die Hebung des Feldbaues thut die Regierung nichts
-- und auch die Bauern säen und Pflanzen nur das Nothwendige, um nicht
durch Wohlhabenheit die Gier der Steuereinnehmer zu reizen. Von Industrie
ist gar keine Rede, die Verkehrsstraßen sind in erbärmlichen Zustande, und
wenn auch in neuester Zeit die Hauptstraße von Jaffa nach Jerusalem verbessert
wird, so geschieht diese Arbeit doch viel zu nachlässig, um wirklichen Nutzen zu brin¬
gen, die Landbevölkerung hat Frohndienst zu leisten und die Ausgaben werden
durch eine Extrasteuer -- nach Abzug der üblichen Provision -- bestritten. Von
einer Staatspost nach europäischen Begriffen weiß man nichts, vom Staat unter-


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mit solchen Geschäften vertrauter Eingeborner, hat das Recht, die Steuern
durch Baschi-Bozuks eintreiben, Widerspenstige ins Gefängniß werfen zu
lassen, zieht aber gewöhnlich den gütlichen Weg vor: er vereinigt sich mit
einem angesehenen Manne seines Steuerbezirks, dem er für seine Mühe
S—10°/« Antheil verspricht, welcher dagegen die Ernten genau überwacht,
und die Vermögensumstände der Steuerpflichtigen kennend den richtigen
Zehnten bestimmt, der natürlich den Regierungsvoranschlag bedeutend über¬
steigt. Die Provinz Palästina, zu welcher weder Radius noch Nazareth ge¬
hören, deren Hauptorte außer der steuerfreien Hauptstadt Hebron, Gaza,
Jaffa, Ramlah und Lüdd sind, vermag an Preuß. Court Thlr. 250,000
(zweimalhundertsünfzigtausend Thaler) in Zehnten aufzubringen. — Außerdem
verpachtet der Staat seine großen Ländereien, welche gegen ^ des jährlichen
Ertrages abwerfen, beträchtliche Einkünfte (ca. Thlr. 30.000) hat er durch
die Verpachtung der Mühlen und Fischereien bei Jaffa, des Thorgeldes in
Jerusalem, beim Salzverkauf und Stadtzoll auf hier und in Bethlehem fabri-
zirte Waaren u. f. w. — Wehe dem Dorfe, das sich Saumseligkeit im Zahlen
zu Schulden kommen lassen sollte! Eine Schaar von Chayalen (Baschi-Bozuks)
überfällt es im Namen des Sultans gleich einem Heuschreckenschwärme und
zwingt die Ungefügigen um des größeren Uebels willen zur Pflicht.

Wohl ist Jerusalem „um seiner Heiligkeit willen" dem Namen nach steuer¬
frei, aber es kommen seit der neuesten Reform nach und nach allerlei Ab¬
gaben unter verschiedenen Benennungen: Zwangsanleihe, Militärsteuer,
Stadtgeld u. s. f. an sie, womit die Leute wenig zufrieden sind, am wenig¬
sten die großen Adelsfamilien, welche bis vor wenigen Jahren die Ein-
künfte der Moscheen und Stiftungen unbeschränkt verwalten konnten, welchen
aber dieses einträgliche Geschäft abgenommen und einem türkischen Beamten
übergeben worden ist; ihnen wie der Moschee und Stiftung ist ein sehr ge¬
ringes jährliches Benefiz ausgesetzt.

Kommen aber nun diese Einkünfte dem Lande zu gut? Nicht zum ge¬
ringsten Theil; Alles geht, nach den unbeträchtlichen Abzügen für die Sala-
rien, in den unersättlichen Schlund des Staatsschatzes zu Stambul; zurück
kommt nichts. — Für die Hebung des Feldbaues thut die Regierung nichts
— und auch die Bauern säen und Pflanzen nur das Nothwendige, um nicht
durch Wohlhabenheit die Gier der Steuereinnehmer zu reizen. Von Industrie
ist gar keine Rede, die Verkehrsstraßen sind in erbärmlichen Zustande, und
wenn auch in neuester Zeit die Hauptstraße von Jaffa nach Jerusalem verbessert
wird, so geschieht diese Arbeit doch viel zu nachlässig, um wirklichen Nutzen zu brin¬
gen, die Landbevölkerung hat Frohndienst zu leisten und die Ausgaben werden
durch eine Extrasteuer — nach Abzug der üblichen Provision — bestritten. Von
einer Staatspost nach europäischen Begriffen weiß man nichts, vom Staat unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/87>, abgerufen am 22.07.2024.