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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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fließen bei ihm durcheinander. "Gebrauchswerth" ist für ihn gar nicht vor¬
handen; sein Begriff umfaßt den "Tauschwerth" und das, was wir unter
"Preis" verstehen. "Nützlichkeit" und "Werth" sind keineswegs identische
Begriffe, sondern: "Nützlichkeit ist das Maß der Herrschaft des Menschen
über die Natur. Werth das Maß der Herrschaft der Natur über den Men¬
schen." Was soll die Wissenschaft mit diesen mystischen Formeln? -- Be¬
sonders hoch gerühmt wird Careys Satz, daß der Werth (in unserer Sprache
"Preis") sich nicht bestimme durch die Herstellungs -, sondern durch die
Wiederherstellungskosten, und zwar durch diese allein. Diese "große refor-
matorische Entdeckung" läuft auf nicht viel mehr als auf eine bloße Wort¬
klauberei hinaus. Ergötzlich aber ist jedenfalls, daß der Werth einer Jenny
Lind sich lediglich bemessen soll nach der Höhe der Wiederherstellungskosten.
-- Will man nun wissen, was denn eigentlich Preis sei, so erfährt man
S. 239, daß derselbe besteht in der "Kraft einer Waare, im Austausch über
Geld zu verfügen." Tiefsinnig mag die Definition sein, klar und präcise ge¬
wiß nicht. Derselbe Mangel wiederholt sich an den wichtigsten Punkten.
Oder haben wir etwas Festes in den Händen, wenn uns S. 69 "Reichthum"
erklärt wird als die "Macht, über die stets unentgeltlichen Dienste der
Natur zu verfügen"? Und dennoch ist es gerade Carey, der die herrschende
Theorie aufs heftigste der Armuth an soliden und deutlichen Begriffen be¬
schuldigt. Außer A. Smith bleibt kein Volkswirth übrig, an dem er ein
gutes Haar ließe. Der Nerv seines Buches ist Opposition: die bestehende
Doctrin muß unter allen Umständen bekämpft werden, koste es, was es wolle.
Er hat das Bedürfniß, sein Räsonnement überall in Paradoxien zuzuspitzen,
die Dinge auf den Kopf zu stellen. So wird polemisirt gegen den herrschen¬
den Begriff von "Capital". Daß Capital nur durch Sparen gewonnen und
vermehrt werden könne, ist ihm eine lächerliche Ansicht, "der Trieb zum Spa¬
ren ist ein Sclaventrieb". Was aber wird uns von Carey Besseres geboten?
In seiner ganzen breiten Ausführung erfahren wir eigentlich nicht, was das
Capital ist, sondern was es thut. Gewonnen wird durch diese Oppositions-
macherei hier wie allenthalben nicht mehr als eine gründliche Verwirrung.

Durchsichtigkeit, ja nur Uebersichtlichkeit ist bei diesem ewigen Durch¬
einander von Wahren und Falschen unmöglich. Es fehlt alle systematische
Strenge und Geschlossenheit. Wir wissen uns frei von scholastischer Pedan¬
terie, allein was helfen uns all' die geistreichen Apercus, die blendenden
Analogien? Eine Wissenschaft ist damit nicht aufzubauen. Freilich, Carey
hat sogar einen gewissen Hang zum Schematismus; selbst bildlich kommt
derselbe in verschiedener Weise zum Ausdruck. Allein auch diesen Illustra¬
tionen gegenüber könnten wir nicht sagen, daß wir aus ihnen klare wissen¬
schaftliche Einsichten geschöpft hätten. Der Verfasser redet viel von der Ein-


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fließen bei ihm durcheinander. „Gebrauchswerth" ist für ihn gar nicht vor¬
handen; sein Begriff umfaßt den „Tauschwerth" und das, was wir unter
„Preis" verstehen. „Nützlichkeit" und „Werth" sind keineswegs identische
Begriffe, sondern: „Nützlichkeit ist das Maß der Herrschaft des Menschen
über die Natur. Werth das Maß der Herrschaft der Natur über den Men¬
schen." Was soll die Wissenschaft mit diesen mystischen Formeln? — Be¬
sonders hoch gerühmt wird Careys Satz, daß der Werth (in unserer Sprache
„Preis") sich nicht bestimme durch die Herstellungs -, sondern durch die
Wiederherstellungskosten, und zwar durch diese allein. Diese „große refor-
matorische Entdeckung" läuft auf nicht viel mehr als auf eine bloße Wort¬
klauberei hinaus. Ergötzlich aber ist jedenfalls, daß der Werth einer Jenny
Lind sich lediglich bemessen soll nach der Höhe der Wiederherstellungskosten.
— Will man nun wissen, was denn eigentlich Preis sei, so erfährt man
S. 239, daß derselbe besteht in der „Kraft einer Waare, im Austausch über
Geld zu verfügen." Tiefsinnig mag die Definition sein, klar und präcise ge¬
wiß nicht. Derselbe Mangel wiederholt sich an den wichtigsten Punkten.
Oder haben wir etwas Festes in den Händen, wenn uns S. 69 „Reichthum"
erklärt wird als die „Macht, über die stets unentgeltlichen Dienste der
Natur zu verfügen"? Und dennoch ist es gerade Carey, der die herrschende
Theorie aufs heftigste der Armuth an soliden und deutlichen Begriffen be¬
schuldigt. Außer A. Smith bleibt kein Volkswirth übrig, an dem er ein
gutes Haar ließe. Der Nerv seines Buches ist Opposition: die bestehende
Doctrin muß unter allen Umständen bekämpft werden, koste es, was es wolle.
Er hat das Bedürfniß, sein Räsonnement überall in Paradoxien zuzuspitzen,
die Dinge auf den Kopf zu stellen. So wird polemisirt gegen den herrschen¬
den Begriff von „Capital". Daß Capital nur durch Sparen gewonnen und
vermehrt werden könne, ist ihm eine lächerliche Ansicht, „der Trieb zum Spa¬
ren ist ein Sclaventrieb". Was aber wird uns von Carey Besseres geboten?
In seiner ganzen breiten Ausführung erfahren wir eigentlich nicht, was das
Capital ist, sondern was es thut. Gewonnen wird durch diese Oppositions-
macherei hier wie allenthalben nicht mehr als eine gründliche Verwirrung.

Durchsichtigkeit, ja nur Uebersichtlichkeit ist bei diesem ewigen Durch¬
einander von Wahren und Falschen unmöglich. Es fehlt alle systematische
Strenge und Geschlossenheit. Wir wissen uns frei von scholastischer Pedan¬
terie, allein was helfen uns all' die geistreichen Apercus, die blendenden
Analogien? Eine Wissenschaft ist damit nicht aufzubauen. Freilich, Carey
hat sogar einen gewissen Hang zum Schematismus; selbst bildlich kommt
derselbe in verschiedener Weise zum Ausdruck. Allein auch diesen Illustra¬
tionen gegenüber könnten wir nicht sagen, daß wir aus ihnen klare wissen¬
schaftliche Einsichten geschöpft hätten. Der Verfasser redet viel von der Ein-


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[0079] fließen bei ihm durcheinander. „Gebrauchswerth" ist für ihn gar nicht vor¬ handen; sein Begriff umfaßt den „Tauschwerth" und das, was wir unter „Preis" verstehen. „Nützlichkeit" und „Werth" sind keineswegs identische Begriffe, sondern: „Nützlichkeit ist das Maß der Herrschaft des Menschen über die Natur. Werth das Maß der Herrschaft der Natur über den Men¬ schen." Was soll die Wissenschaft mit diesen mystischen Formeln? — Be¬ sonders hoch gerühmt wird Careys Satz, daß der Werth (in unserer Sprache „Preis") sich nicht bestimme durch die Herstellungs -, sondern durch die Wiederherstellungskosten, und zwar durch diese allein. Diese „große refor- matorische Entdeckung" läuft auf nicht viel mehr als auf eine bloße Wort¬ klauberei hinaus. Ergötzlich aber ist jedenfalls, daß der Werth einer Jenny Lind sich lediglich bemessen soll nach der Höhe der Wiederherstellungskosten. — Will man nun wissen, was denn eigentlich Preis sei, so erfährt man S. 239, daß derselbe besteht in der „Kraft einer Waare, im Austausch über Geld zu verfügen." Tiefsinnig mag die Definition sein, klar und präcise ge¬ wiß nicht. Derselbe Mangel wiederholt sich an den wichtigsten Punkten. Oder haben wir etwas Festes in den Händen, wenn uns S. 69 „Reichthum" erklärt wird als die „Macht, über die stets unentgeltlichen Dienste der Natur zu verfügen"? Und dennoch ist es gerade Carey, der die herrschende Theorie aufs heftigste der Armuth an soliden und deutlichen Begriffen be¬ schuldigt. Außer A. Smith bleibt kein Volkswirth übrig, an dem er ein gutes Haar ließe. Der Nerv seines Buches ist Opposition: die bestehende Doctrin muß unter allen Umständen bekämpft werden, koste es, was es wolle. Er hat das Bedürfniß, sein Räsonnement überall in Paradoxien zuzuspitzen, die Dinge auf den Kopf zu stellen. So wird polemisirt gegen den herrschen¬ den Begriff von „Capital". Daß Capital nur durch Sparen gewonnen und vermehrt werden könne, ist ihm eine lächerliche Ansicht, „der Trieb zum Spa¬ ren ist ein Sclaventrieb". Was aber wird uns von Carey Besseres geboten? In seiner ganzen breiten Ausführung erfahren wir eigentlich nicht, was das Capital ist, sondern was es thut. Gewonnen wird durch diese Oppositions- macherei hier wie allenthalben nicht mehr als eine gründliche Verwirrung. Durchsichtigkeit, ja nur Uebersichtlichkeit ist bei diesem ewigen Durch¬ einander von Wahren und Falschen unmöglich. Es fehlt alle systematische Strenge und Geschlossenheit. Wir wissen uns frei von scholastischer Pedan¬ terie, allein was helfen uns all' die geistreichen Apercus, die blendenden Analogien? Eine Wissenschaft ist damit nicht aufzubauen. Freilich, Carey hat sogar einen gewissen Hang zum Schematismus; selbst bildlich kommt derselbe in verschiedener Weise zum Ausdruck. Allein auch diesen Illustra¬ tionen gegenüber könnten wir nicht sagen, daß wir aus ihnen klare wissen¬ schaftliche Einsichten geschöpft hätten. Der Verfasser redet viel von der Ein- 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/79>, abgerufen am 23.07.2024.